WirtschaftsWoche online: Im Jahresbericht der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) schreiben Sie, die globalen Wachstumsraten lägen nahe am historischen Durchschnitt. Das klingt, als seien Sie zufrieden damit?
Hyun Song Shin: Zufrieden wäre das falsche Wort. Aber wir wollen die Konjunktur auch nicht klein reden, das würde die Erwartungen drücken und wäre falsch. Die wirtschaftliche Lage ist nicht so düster wie es scheint. Eine treffende Einordnung des Wachstums ist wichtig, um die richtigen Maßnahmen zur Belebung der Wirtschaft zu ergreifen. Oft werden die Dinge mit Absicht negativ gesehen, um Argumente für noch expansivere Maßnahmen zu sammeln, und das wäre gerade nicht angebracht.
Trotzdem wären Ihnen höhere Wachstumsraten vermutlich lieber, oder?
Natürlich würden wir die Weltwirtschaft gerne auf einem höheren, nachhaltigen Wachstumspfad sehen.
Geldpolitik der EZB: Belastungen durch Niedrigzinsen
In Deutschland beliebte Sparformen wie Tages- und Festgeld werfen kaum noch etwas ab. Die niedrige Inflation gleiche die negativen Effekte der niedrigen Zinsen allerdings aus, betont EZB-Präsident Mario Draghi. Derzeit liege die Verzinsung minus Inflation höher als im Durchschnitt der 1990er Jahre. „Zu der Zeit hatten Sie höhere Zinsen auf dem Sparbuch, aber zugleich meist Inflation, die weit darüber lag und alles auffraß“, sagte Draghi jüngst in einem Interview. Im Mai lagen die Verbraucherpreise in Deutschland nach vorläufigen Berechnungen gerade einmal um 0,1 Prozent über dem Vorjahresniveau.
Stand: 07.06.2016
Finanzinstitute müssen Strafzinsen zahlen, wenn sie Geld bei der EZB parken. Für den durchschnittlichen Privatkunden sind Strafzinsen bislang kein Thema. Man werde „alles tun, um die privaten Sparer vor Negativzinsen zu schützen - in Teilen auch zu Lasten der eigenen Ertragslage“, sagte jüngst der Chef des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, Georg Fahrenschon. Wenn die aktuelle Niedrigzinsphase aber lange andauere, würden die Sparkassen die Kunden letztlich nicht davor bewahren können. Zudem könnten Geldhäuser nach Angaben des Präsidenten des Bundesverbandes der deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR), Uwe Fröhlich, gezwungen sein, an der Gebührenschraube zu drehen: „Jeder muss in seiner Bank überlegen, wie er über Konditionen-Gestaltung gegen die Ertragsverluste anarbeitet, die ohne Zweifel da sind.“
Lebensversicherern fällt es immer schwerer, die hohen Zusagen der Vergangenheit zu erwirtschaften. Die Folge: Die Verzinsung des Altersvorsorge-Klassikers sinkt seit geraumer Zeit. Auch Betriebsrenten leiden, Firmen müssen wegen der Zinsschmelze immer mehr Geld für die Pensionsverbindlichkeiten zurücklegen. Viele Unternehmen versprechen bei Neueinstellungen daher keine konkreten Leistungen mehr, sondern sagen lediglich zu, einen bestimmten Betrag pro Monat in Vorsorgekassen einzuzahlen. Das Zinsrisiko tragen die künftigen Pensionäre.
Das Problem ist vor allem die gefährliche Mischung von Risiken, welche wir aktuell sehen. Auch wenn Wachstumsraten und andere Indikatoren wie Arbeitslosigkeit ein gutes Bild liefern, hat die Weltwirtschaft wenig Spielraum.
Weil die Zinsen ohnehin schon auf einem historisch niedrigen Niveau sind?
Genau.
Wo sehen Sie die größten Risiken?
Das global hohe Schuldenniveau gehört definitiv dazu.
Geldpolitik der EZB: Entlastungen durch Niedrigzinsen
Verbraucher sparen bei Darlehen, ob für den neuen Fernseher oder für die eigenen vier Wände. Hausbauer können sich zu historisch günstigen Konditionen Geld leihen. Nach Angaben des Bankenverbandes BdB sind Hypothekendarlehen mit zehn Jahren Zinsbindung derzeit zu Effektivzinsen von durchschnittlich etwa 1,4 Prozent zu haben. 2007 lagen sie noch bei mehr als fünf Prozent.
Billiger ist es auch geworden, das eigene Konto zu überziehen. Vor fünf Jahren lagen die Dispozinsen nach Angaben der Finanzberatung FMH im Schnitt noch bei 11,26 Prozent. Mittlerweile sind es demnach durchschnittlich 9,51 Prozent.
Seit Jahren ist günstiges Notenbankgeld der zentrale Treibstoff für die Börsen. Aktionäre können von steigenden Kursen profitieren. Zuletzt wagten sich die eher börsenscheuen Deutschen wieder stärker an den Aktienmarkt. Knapp 9,01 Millionen Menschen besaßen nach Angaben des Deutschen Aktieninstituts im vergangenen Jahr Aktien und/oder Anteile an Aktienfonds - das ist der höchste Stand seit 2012.
Mit der Ausgabe von Anleihen finanziert die öffentliche Hand - neben Steuereinkünften - einen Großteil ihrer Ausgaben. Am Montag fiel die sogenannte Umlaufrendite, die ein durchschnittliches Maß für die „Verzinsung“ von Staatspapieren mit einer Laufzeit von drei bis 30 Jahren ist, in Deutschland erstmals seit der Gründung der Bundesrepublik in den negativen Bereich. Der Bund „verdient“ in einer solchen Situation somit an seiner eigenen Schuldenaufnahme, anstatt den Gläubigern - den Käufern der Anleihen - einen Zins zu zahlen.
Stand: 7. Juni 2016
Wir sehen gerade, wie sich viele Volkswirtschaften neu ausrichten, vor allem in den Schwellenländern. Dort sehen wir gerade eine Wende im Kredit-Zyklus. Der große Überschuss an Dollar-Schulden beginnt sich langsam aufzulösen, und das hat gewaltige Konsequenzen für die Weltwirtschaft.
Welche?
Zum Beispiel das langsamere Wachstum in den Schwellenländern, Wechselkursschwankungen und die Anpassungen, welche wir gerade auf den Rohstoffmärkten sehen.
Wie kommen wir aus diesem Risiko-Zyklus wieder heraus?
Diese einzelnen Schocks hängen ja zusammen.
Wir können das Wachstum nicht kurzfristig mit noch mehr Schulden ankurbeln, damit würden wir das Problem nur größer machen. Wir müssen also vor allem daran arbeiten, die globalen Schulden, seien es Staats-, Privat oder Unternehmensschulden, abzubauen.
Welche Schulden bergen die größten Gefahren?
Das ist regional und branchenspezifisch sehr unterschiedlich. Den einen Risikoherd gibt es wohl nicht. In China zum Beispiel sind die privaten und die Unternehmensschulden gefährlich hoch. In den USA und Großbritannien sind die privaten Schulden dagegen bereits deutlich gesunken, in einigen Ländern Europas ist die hohe Staatsverschuldung weiterhin problematisch.
Wie kommen wir aus dem Kreis an Risiken wieder raus?
In dem wir die Produktivkräfte der Wirtschaft steigern. Neben den hohen Schulden ist das niedrige Produktivitätswachstum ein großes Risiko, ein Überbleibsel aus der weltweiten Finanzkrise. Investments müssen stärker gefördert werden.