Industriepolitik Die Welt wartet nicht auf Europa

Spatenstich für die Infineon Smart Power Fab in Dresden Quelle: imago images

20 Prozent des weltweiten Halbleiterbedarfs sollen künftig in der EU produziert werden. Doch statt Gießkannensubventionen wie den Chips Act zu verkünden, sollten die Europäer besser eine zielorientierte Industriepolitik betreiben. Ein Gastbeitrag.

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Lange Zeit haben Chiphersteller vor allem in Südostasien und China investiert. Nun wenden sie sich einer anderen Region zu – und das ist trotz des European Chips Act nicht Europa, sondern es sind die USA. Denn die Amerikaner sind schneller, agiler und flexibler. Zwar ist es richtig, dass die EU mit ihrem 43 Milliarden Euro schweren Subventionspaket Halbleiterhersteller nach Europa locken und künftig 20 Prozent des weltweiten Bedarfs an Chips lokal produzieren lassen will. Die Amerikaner haben allerdings mit ihrem Chips and Science Act ein fast siebenmal größeres Maßnahmenpaket geschnürt – und zwar schon 2022. Das Geld fließt bereits. In der EU hingegen ist der Chips Act noch nicht einmal final verabschiedet – obwohl seit der Ankündigung mehr als anderthalb Jahre vergangen sind.

Während auf der anderen Seite des Atlantiks schon neue Anlagen gebaut werden, wird in Europa noch darum gefeilscht, aus welchen Töpfen man das Geld nehmen soll. Sind die Europäer zu spät dran? Und reicht Geld allein aus? Schließlich müssen auch die Rahmenbedingungen stimmen.

Exyte baut Hightechanlagen für Halbleiter- und Batteriehersteller, für Datencenterbetreiber und Pharmakonzerne – überall auf der Welt. Wir haben die Branche sehr genau im Blick und wissen, warum und wo unsere Kunden investieren. Und wir können ihnen dorthin folgen, denn wir sind in Europa, Asien und Amerika entsprechend aufgestellt.

Zur Person

Halbleiterfabriken brauchen viel Energie, und vor allem brauchen sie konstante Energieversorgung. Doch die Energieversorgung ist in Europa derzeit ein heikles Thema: Abhängigkeit von fossilen Energieträgern, schleppender Ausbau erneuerbarer Energien, Atomausstieg in Deutschland, Wasserknappheit in Frankreich und die damit verbundene Gefahr von Blackouts, weil französische Atomreaktoren nicht ausreichend gekühlt werden können. Die Liste ließe sich fortsetzen. Versorgungssicherheit und hohe Energiepreise sind nur zwei Risikofaktoren, die Chiphersteller verschrecken. Es geht beim Thema Energie nicht nur darum, wie sie erzeugt wird, sondern wie sie zielführend verwendet wird und was sie kostet. Energiepolitik ist Standortpolitik.

Und dann sind da noch Bürokratie und Fachkräftemangel. Wer würde einen Vertrag unterzeichnen, dessen Inhalt er nicht versteht? Niemand. Ausländische Fachkräfte, die in Deutschland arbeiten wollen, müssen das. Die Bundesagentur für Arbeit akzeptiert zur Bearbeitung von Arbeitsvisa nur Arbeitsverträge und Subkontraktorenverträge in deutscher Sprache. Wird ein entsprechender Arbeitsvertrag nicht vorgelegt, erteilt die deutsche Botschaft im jeweiligen Heimatland kein Visum. Als international tätiges Unternehmen werden bei Exyte Verträge für ausländische Mitarbeiter in Englisch verfasst. Der Forderung, in Deutschland Englisch als zweite Amtssprache einzuführen, folgte kürzlich gleich ein Aufschrei. Mehr mentale Flexibilität wäre wünschenswert.

Mit dem Chips Act will die EU in der Chipproduktion unabhängiger werden. Wie wichtig das wäre, offenbart eine Analyse. Doch sie zeigt auch: Die neue EU-Förderung wird das Problem höchstens eindämmen, aber kaum lösen.
von Michael Kroker, Thomas Kuhn

In den USA ist nicht nur das Geld da, sondern auch der politische Wille, eine flexible Grundhaltung und günstige Energiepreise. Entscheidungen werden schneller gefällt und umgesetzt. Hinzu kommt: Viele Halbleiterhersteller kommen aus den Vereinigten Staaten und investieren in ihren Heimatmarkt, wenn sie in den USA bauen.

Halbleiter in Europa: EU muss klären, was sie will

Wenn die EU dem etwas entgegensetzen will, muss sie klären, ob sie nach den Regeln der Industrie spielen will – und überhaupt: was sie eigentlich will. Nicht in Maßnahmen, sondern in Zielen zu denken, wäre hier der erste Schritt. Nicht 43 Milliarden Euro als Gießkannensubventionen fließen lassen, sondern klären: Wofür soll Europa als Halbleitermarkt stehen? Was wollen wir überhaupt in Europa haben? Welche Chips sollen hier produziert werden? Welchen strategischen Zweck soll die Halbleiterindustrie erfüllen? Was können wir bieten, um als Standort attraktiv zu sein? Chips Strategy statt Chips Act! Technologische Souveränität ist mehr als die Vermeidung von Lieferengpässen.

Und Chip ist nicht gleich Chip. Es ist ökonomisch fragwürdig, Computerchips für Laptops in Europa zu produzieren, um sie nach Asien zu transportieren, wo sie in Computer eingebaut werden, die nach Europa verschifft und hier verkauft werden. Sinnvoller ist es, in Europa vorrangig Chips zu produzieren, die die europäischen Maschinenbauer und Autohersteller benötigen, die also in Europa auch verbaut werden. Die USA betrachten Halbleiter gar als Gut nationaler Sicherheit. In Europa werden solche Fragen nicht einmal gestellt – geschweige denn beantwortet.

Die Zeit für eine Chipswende wird knapp. Eigentlich ist es schon fast zu spät. Denn in den vergangenen zehn Jahren hat sich in Europa in Sachen Halbleiter kaum etwas getan. Andere Regionen der Welt locken jetzt mit (mehr) Geld und günstigeren Energiepreisen. Für Chiphersteller ist es zudem einfacher und günstiger, bestehende Anlagen zu erweitern, als eine komplett neue Infrastruktur aufzubauen.

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Diese und all die anderen Fragen zu beantworten bedeutet auch zu handeln: Gesetze müssen geändert, politische Entscheidungen getroffen und durch die Parlamente gebracht werden. Kleinstaaterei und Partikularinteressen helfen nicht.

Die Welt wartet nicht auf Europa. Wer nicht früh genug handelt, wird abgehängt.

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