Die Lebensmittelpreise in Großbritannien sind nach Branchenangaben im März mit 17,5 Prozent so stark gestiegen wie noch nie. Dabei verteuerten sich vor allem Eier, Milch und Käse am deutlichsten, wie das Marktforschungsunternehmen Kantar am Dienstag weiter mitteilte. Demnach müssen britische Haushalte nun mit zusätzlichen 837 Pfund (rund 953 Euro) auf ihren jährlichen Einkaufsrechnungen rechnen, wenn sie ihr Shoppingverhalten nicht ändern, um Kosten zu senken. „Das ist eine weitere schlechte Nachricht für die britische Bevölkerung, die nun schon den neunten Monat in Folge mit einer zweistelligen Inflation bei Lebensmitteln zu kämpfen hat“, sagte Kantar-Experte Fraser McKevitt.
Im Februar war die Inflation in Großbritannien überraschend auf 10,4 Prozent gestiegen. Die Bank von England (BoE) hat im Kampf gegen die hohe Teuerung den Leitzins elf Mal in Folge erhöht. Erst vorige Woche hob die Londoner Notenbank den geldpolitischen Schlüsselsatz um einen Viertel Prozentpunkt auf 4,25 Prozent an. Preistreiber der Inflation sind höhere Kosten in Kneipen und Restaurants sowie die Knappheit von Salaten, die in den vergangenen Wochen für Schlagzeilen sorgte. Die Preise für Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke stiegen im Februar um 18 Prozent und damit so stark wie seit 1977 nicht mehr.
Die steigenden Lebensmittelpreise trieben die Gesamtinflation in britischen Geschäften im März auf den höchsten Stand seit mindestens 18 Jahren, wie am Dienstag aus Daten des Handelsverbands BRC und der Marktforscher NielsenIQ hervorging.
Schneller schlau: Inflation
Wenn die Preise für Dienstleistungen und Waren allgemein steigen – und nicht nur einzelne Produktpreise – so bezeichnet man dies als Inflation. Es bedeutet, dass Verbraucher sich heute für zehn Euro nur noch weniger kaufen können als gestern noch. Kurz gesagt: Der Wert des Geldes sinkt mit der Zeit.
Die Inflationsrate, auch Teuerungsrate genannt, gibt Auskunft darüber, wie hoch oder niedrig die Inflation derzeit ist.
Um die Inflationsrate zu bestimmen, werden sämtliche Waren und Dienstleistungen herangezogen, die von privaten Haushalten konsumiert bzw. genutzt werden. Die Europäische Zentralbank (EZB) beschreibt das wie folgt: „Zur Berechnung der Inflation wird ein fiktiver Warenkorb zusammengestellt. Dieser Warenkorb enthält alle Waren und Dienstleistungen, die private Haushalte während eines Jahres konsumieren bzw. in Anspruch nehmen. Jedes Produkt in diesem Warenkorb hat einen Preis. Dieser kann sich mit der Zeit ändern. Die jährliche Inflationsrate ist der Preis des gesamten Warenkorbs in einem bestimmten Monat im Vergleich zum Preis des Warenkorbs im selben Monat des Vorjahrs.“
Eine Inflationsrate von unter zwei Prozent gilt vielen Experten als „schlecht“, da sie ein Zeichen für schwaches Wirtschaftswachstum sein kann. Auch für Sparer sind diese niedrigen Zinsen ein Problem. Die EZB strebt mittelfristig eine Inflation von zwei Prozent an.
Deutlich gestiegene Preise belasten Verbraucherinnen und Verbraucher. Sie können sich für ihr Geld weniger leisten. Der Privatkonsum ist jedoch eine wichtige Stütze der Konjunktur. Sinken die Konsumausgaben, schwächelt auch die Konjunkturentwicklung.
Von Disinflation spricht man, wenn die Geschwindigkeit der Preissteigerungen abnimmt – gemeint ist also eine Verminderung der Inflation, nicht aber ein sinkendes Preis-Niveau.
Leere Regale werden womöglich zum Alltag
Die Briten müssen sich womöglich auf anhaltende Engpässe bei frischen Gemüse einstellen, da steigende Kosten die heimische Produktion bremsen. Verbraucherinnen und Verbraucher bekamen zuletzt den Mangel etwa bei Tomaten, Gurken und Paprika zu spüren. Zum einen sorgten Ernteausfälle in Nordafrika für ein geringeres Angebot. Zum anderen führte die Inflation dazu, dass Käufer in der Industrie mehr Geld für weniger Ware aus wichtigen Märkten wie Spanien ausgaben. Regierungsdaten zeigen, dass Großbritannien im Januar 2023 nur gut 266.000 Tonnen Gemüse importierte - dies ist die geringste Menge für einen Januar seit 2010, als die Bevölkerung noch sieben Prozent kleiner war.
Erschwerend kommt hinzu, dass die britische Produktion von Salatzutaten in diesem Jahr voraussichtlich ein Rekordtief erreichen wird. Denn die im Zuge des Ukraine-Kriegs verteuerte Energie hält britische Erzeuger davon ab, Pflanzen in Gewächshäusern anzubauen. Viele Lebensmittel-Einzelhändler kaufen derweil weniger ein und nehmen einen Gewinneinbruch in Kauf. Denn sie wissen, dass ihre Kunden sich nicht so viel leisten können.
Der Chef des britischen Erzeugerverbands, Jack Ward, sagte, die Zukunft der Produzenten von frischen Lebensmitteln sei bedroht. „Es gibt eine Grenze dafür, wie lange die Erzeuger noch mit Verlust produzieren können.“ Auch der Bauern-Verband NFU äußerte sich skeptisch. „Es besteht die reale Gefahr, dass leere Regale alltäglich werden“, warnte NFU-Präsidentin Minette Batters.
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