Interview mit Jaco van Dormael "Wenn wir nicht mehr lachen, haben die Terroristen gewonnen"

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Und wozu erzählen Sie Geschichten?

Mein Film sagt: Habt keine Angst. Der Gott im Film hat Autorität, man muss gehorchen, und wenn man es nicht macht, dann wird man bestraft. Er stellt eine Art von männlicher Autorität dar. Die Tochter Gottes sagt dagegen, es gibt keine Gesetze und keine Strafen. Macht, worauf ihr Lust habt. 

Das klingt wie ein Aufruf zur Anarchie. Ist das Absicht? 

Ich versuche, Filme zu machen, die lauter Fragen stellen, aber keine Antworten geben. Filme, die eine Wahrnehmung des Lebens zeigen, aber keine Botschaft. Ich halte es für einen Fehler, Geschichten auf nur einen Aspekt zu reduzieren. Das gilt ja auch, wenn wir die Geschichte unseres Lebens erzählen. Wir sagen dann: Mein Leben ist so – und nicht anders. In Wirklichkeit wind wir nicht eine Person, sondern hunderttausende mit vielen Möglichkeiten. Ich wundere mich auch immer, wie Journalisten Filme kategorisieren, und „Das brandneue Testament zur Komödie“ erklären. Als ich mit meinem Ko-Autor das Drehbuch schrieb, hatten wir kein bestimmtes Genre vor Augen. Man zeugt ja auch keinen Ingenieur, sondern ein Baby, das dann vielleicht mal Ingenieur wird.

Finden Sie es einfacher, Ihre Art von Filmen in Belgien zu machen, weit weg von der Traumfabrik Hollywood oder auch der französischen Filmindustrie?

Wenn man in Belgien einen Film macht, weiß man nicht einmal, ob ihn jemand ansehen wird. Wir Belgier sind Außenseiter im Filmgeschäft, haben bei weitem nicht dieselben Mittel wie in Ländern mit Filmindustrie. Dafür haben wir mehr Freiheit. 

Können Sie einen schrägeren Humor einsetzen, weil Sie keinen Erwartungen entsprechen müssen?

Ich wollte diesen Film unbedingt selbst produzieren, damit mir niemand verbietet, dass Gott im Film Bier trinkt und Zigaretten raucht.

Große Terroranschläge in Europa

Ein Produzent hätte mir womöglich verboten, dass Gott flucht und seine Tochter schlägt. Ich wollte über den Final Cut entscheiden, weil ich wusste, dass wir an einem Tabu rühren. In Frankreich haben alle Fernsehsender abgewunken, weil sie Bedenken gegen das Thema hatten. Kein Film für Primetime, hieß es, das würde schockieren. 

Aber die Lust an der Provokation gehört für Sie dazu?

Ich wollte nicht schockieren, ich wollte es aber auch nicht bewusst vermeiden, zu schockieren. Ich komme aus einem Milieu, das so gar nicht religiös ist. Interessanterweise hat mein Film in Belgien eine Diskussion über die Rolle der Frau in der Kirche ausgelöst. 

Wie kommt der Film in anderen Ländern an?

Er hatte in Deutschland 450.000 Zuschauer, in Italien 250.000 und in Korea 200.000. In Italien gab es erst Vorbehalte, weil die Menschen dachten, es gehe um Gotteslästerung. Dann haben sie aber gemerkt, dass es um Macht in der Gesellschaft und der Familie ging. Im buddhistischen Korea kam der Film wegen der Rolle der Frau an. Dort dominiert der Mann traditionell, die Frau schweigt. 

Was ist Ihr nächstes Projekt?

Ich fühle mich wie nach einer Ozeanüberfahrt im Ruderboot.

Ich möchte nicht gleich die nächste Reise antreten. Es gibt ja nur wenige, die so verrückt sind wie ich und gleichzeitig Drehbuch schreiben, Regie führen und produzieren. Karl Valentin hat ja so treffend gesagt: Kunst ist schön, aber macht viel Arbeit. 

Stachelt das Ihren künstlerischen Ehrgeiz an, wenn Sie wissen, dass Ihnen mit fortschreitendem Alter weniger Jahre bleiben?

Nein, ich arbeite ja nicht an einer Filmographie. Ich merke jedoch, dass jeder Film Elemente des Vorgängers enthält. Und dabei wollte ich jedes Mal etwas völlig anderes machen.

Eines Ihrer Lieblingsthemen sind Außenseiter. Wieso?

Wir haben doch alle ein Handicap, wir sind alle seltsam. Niemand ist wie alle anderen.

Gibt es für Sie einen typisch belgischen Humor?

Wir Belgier machen uns über uns selbst lustig, bevor es ein anderer tut.

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