Interview mit Jens Weidmann "Wir sind nicht Ausputzer für Politikerversagen"

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Kaum Unterstützung der Bevölkerung

Die zähsten Verhandlungen der EU
Zähe Verhandlungsmarathons sind in Brüssel beileibe kein Einzelfall, zumal in Krisenzeiten. An strapaziöse Überstunden haben sich die europäischen Staats- und Regierungschefs längst gewöhnt. Beim EU-Gipfel am Donnerstag müssen sie wohl auch auf den entspannten Genuss des Halbfinales der Fußball-EM zwischen Deutschland und Italien verzichten. Es wäre nicht die erste Selbstkasteiung. Quelle: dapd
Bereits die „Geburtsstunde der EU“ setzte in dieser Hinsicht Maßstäbe. Die Absegnung des Vertrags von Maastricht geriet 1992 zum zweitägigen Ringen um das Wesen und Werden der Europäischen Union. Damals kreißte der Berg und gebar: ein 320-seitiges Papiermonstrum, inklusive 17 Protokollen und 33 Erklärungen. Delegationsmitglieder erinnern sich mit Grauen an die schwer zu durchdringende Bleiwüste. Am 7. Februar 1992 unterzeichneten Hans-Dietrich Genscher (l) und Theo Waigel (r) den Vertrag zur Wirtschafts- und Währungsunion der Europäischen Gemeinschaft in Maastricht.
Für Unmut bei den Beteiligten sorgte im Mai 1998 auch das „längste Mittagessen in der Geschichte der EU“. Damals zettelte Frankreich einen Streit um den künftigen Präsidenten der Europäischen Zentralbank, der erst nach zehn Stunden beigelegt wurde. Über die schlechte Vorbereitung des Treffens hagelte es später Beschwerden. Am Ende wurde Willem Duisenberg zum ersten EZB-Chef gewählt. Quelle: ap
Eine weitere denkwürdige Episode trug sich im Februar 1999 in Berlin zu. Nach einwöchigen Vorverhandlungen ihrer Fachminister rangen die EU-Spitzen bis sechs Uhr morgens um die künftige Finanzplanung der Union und das Agrarbudget. Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (l) versuchte noch, die Partner in nächtlichen Einzelgesprächen - dem sogenannten Beichtstuhlverfahren - auf Deutschlands Sparkurs einzuschwören. Sein Reformwunsch scheiterte aber am Widerstand Frankreichs. Quelle: Reuters
Legendär ist auch der fünftägige Gipfelpoker von Nizza. Dort ging es im Dezember 2000 um neue Abstimmungsverfahren, Stimmengewichtung, Parlamentssitze nach der EU-Osterweiterung - und „manchmal sogar aggressiv“ zu, wie ein Teilnehmer nach den Verhandlungen einräumte. Am Ende geriet der erhoffte große Wurf zum Minimalkompromiss. Quelle: ap
Zehn Jahre später beschlossen die EU-Finanzminister in einer weiteren Nachtsitzung einen 750 Milliarden Euro schweren Euro-Rettungsfonds unter Beteiligung des Internationalen Währungsfonds (IWF). Erst am frühen Morgen jenes 10. Mai 2010 stieg weißer Rauch auf. Anschließend traten die Minister völlig übermüdet vor die Presse, bevor sie ins Bett fielen. Quelle: dpa
Wer allerdings hoffte, dies sei die letzte Nachtschicht gewesen, der wurde im Oktober 2011 eines Besseren belehrt. Bis vier Uhr morgens feilschten Kanzlerin Angela Merkel und ihre europäischen Kollegen im Brüsseler Ratsgebäude über die Konditionen der Griechenland-Rettung. Das Gezerre endete mit einem 50-prozentigen Schuldenschnitt für Athen. Quelle: dapd

Wir haben lernen müssen, dass die Währungsunion gerade deshalb nicht funktioniert, weil die Unterschiede bei Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftskraft so groß sind. Und nun kommt die Politik und sagt: Wir müssen nur noch enger zusammenarbeiten, dann klappt das schon. Aber niemand will eine gemeinsame Steuer- oder Wirtschaftspolitik, schon gar keine gemeinsame Haushaltspolitik.

Ich teile Ihre Einschätzung, dass die politische Bereitschaft und die Unterstützung der Bevölkerung nicht sehr ausgeprägt sind, nationale Souveränität aufzugeben. Am wenigsten übrigens oft in den Ländern, die eine verstärkte Gemeinschaftshaftung fordern. Ich sehe deshalb auch nicht den großen Sprung in Richtung Fiskalunion. Das heißt dann aber, sich an das zu halten, was wir bei Gründung der Währungsunion vereinbart hatten: den Maastricht-Vertrag, in dem die Mitgliedstaaten für sich selbst verantwortlich sind. Wir sollten uns jedenfalls davor hüten, Risiken immer stärker zu vergemeinschaften, ohne die nationale Souveränität anzutasten. Denn wenn Haftung und Kontrolle nicht im Einklang stehen, wird das Fundament der Währungsunion untergraben.

Die Rolle der EZB nach dem Maastricht-Vertrag

Wird die EZB zur Supermacht, wenn sie von 2014 an nicht nur die Preisstabilität sichert, sondern auch die wichtigsten 200 europäischen Banken beaufsichtigt?

Zunächst einmal: Wir in der Bundesbank halten die Bankenunion für einen im Grundsatz sehr wichtigen und richtigen Schritt, um den institutionellen Rahmen der Währungsunion für die Zukunft solider zu machen. Es geht unter anderem darum, durch eine effektive Aufsicht und einen strengen Regulierungsrahmen die enge Verbindung zwischen Risiken aus den öffentlichen Finanzen eines Landes und der Lage des dortigen Bankensystems so weit wie möglich aufzulösen. Bei derart wichtigen Entscheidungen sollte Gründlichkeit vor Schnelligkeit gehen. Aus unserer Sicht ist insbesondere wichtig, dass Interessenkonflikte zwischen der Bankenaufsicht und der Geldpolitik vermieden werden. Das sehe ich noch nicht zufriedenstellend gelöst.

Kann der geplante Vermittlungsausschuss das Problem lösen?

Es soll künftig drei Gremien für die Bankenaufsicht geben: Zunächst den Aufsichtsausschuss, der in der EZB angesiedelt ist und die Entscheidungen für den EZB-Rat vorbereitet. Diese Beschlussvorschläge soll der EZB-Rat nur ablehnen oder annehmen, nicht aber verändern können. Das finde ich eigenartig: Wenn ich schon politische Verantwortung tragen soll, muss ich auch in der Lage sein, die Entscheidung zu gestalten. Damit nicht genug: Lehnt nun beispielsweise der EZB-Rat eine Vorlage des Aufsichtsgremiums ab, und ein Land ist damit nicht einverstanden, dann kommt ein drittes Gremium ins Spiel: der Vermittlungsausschuss. Er entscheidet mit einfacher Mehrheit. Doch seine Entscheidungen können nicht bindend sein – aufgrund des geltenden EU-Rechts muss der EZB-Rat das letzte Entscheidungsgremium sein.

Klingt nach einer sinnlosen, aber komplizierten Konstruktion. Warum tut man das?

Man versucht, auf einer dafür nicht wirklich geeigneten Rechtsgrundlage eine chinesische Mauer zwischen den geldpolitischen und den aufsichtsrechtlichen Aufgaben einzuziehen. Es ist aber eher eine japanische Wand oder ein Paravent. Vorzuziehen wäre es meiner Ansicht nach, durch eine Änderung der EU-Verträge eine robuste Trennung zwischen geldpolitischen und aufsichtlichen Entscheidungsstrukturen hinzubekommen.

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