WirtschaftsWoche: Herr Weidmann, Bundeskanzlerin Angela Merkel verbreitet gedämpften Optimismus, dass wir in der Euro-Krise das Schlimmste hinter uns haben. Sie auch?
Jens Weidmann: Wir sind ein gutes Stück vorangekommen, aber wir dürfen die vor uns liegende Wegstrecke nicht unterschätzen. Der Anpassungsprozess in den von der Krise betroffenen Ländern ist noch lange nicht abgeschlossen, und die Arbeiten am institutionellen Rahmen der Währungsunion müssen entschieden weitergehen. Vor allem muss sich erst noch zeigen, ob neue Vereinbarungen, wie der Fiskalpakt, auch mit Leben erfüllt werden.
Sehen Sie eine Erholung der problematischen Volkswirtschaften?
Es gibt Lichtblicke. Der Ansatz „Hilfe gegen Auflagen“ zeigt Erfolge: Die Wettbewerbsfähigkeit hat sich in vielen Ländern verbessert, die Defizite in den Leistungsbilanzen und Staatshaushalten gehen zurück. Dies vollzieht sich in einem rezessiven Umfeld, was aber nicht bedeutet, dass dahinter nicht auch strukturelle Verbesserungen stecken. Natürlich gibt es große Unterschiede zwischen den Ländern. An einem Ende des Spektrums steht Irland, am anderen Griechenland. Gerade weil noch ein langer Weg vor uns liegt, dürfen wir die Anreize, vereinbarte Auflagen einzuhalten, nicht weiter schwächen.
Nicht noch weiter schwächen?
Die finanziellen Hilfsmaßnahmen sind mit der Zeit immer großzügiger ausgestaltet worden. Das mindert den Druck, die Haushalts- und Wettbewerbsprobleme entschlossen anzugehen.
Griechenlands neues Sparprogramm
Griechenland will mit dem neuen Sparprogramm die Staatshaushalte um 13,5 Milliarden Euro bis Ende 2014 entlasten. Weitere 3,4 Milliarden Euro sollen anschließend bis 2016 eingespart werden. Renten und Löhne werden drastisch gekürzt, das Rentenalter wird angehoben und Staatsbedienstete sollen entlassen werden. Das Paket ist eine der Voraussetzungen für die Zahlung weiterer Hilfen an das pleitebedrohte Land. Die wichtigsten Maßnahmen im Einzelnen:
(Quelle: dpa)
Die Rentner müssen mit Kürzungen um fast 4,8 Milliarden Euro rechnen. Alle Renten von 1.000 Euro aufwärts werden um fünf bis 15 Prozent gesenkt. Das Weihnachtsgeld für Rentner wird abgeschafft; es war bereits von einer Monatsrente auf 400 Euro gekürzt worden. Die Gewerkschaften rechneten aus, dass damit die Rentner im Durchschnitt 2.000 Euro im Jahr verlieren werden.
Die Abfindungen für entlassene Arbeitnehmer werden drastisch gesenkt. Arbeitgeber dürfen Verträge mit jedem einzelnen Arbeitnehmer schließen. Damit werden praktisch Tarifverhandlungen umgangen.
Auch den Staatsbediensteten werden die jeweils verbliebenen 400 Euro vom Weihnachtsgeld sowie vom Urlaubsgeld gestrichen. Viele Löhne und Gehälter sollen um sechs bis 20 Prozent verringert werden. Bis Ende 2012 sollen 2.000 Staatsbedienstete in die Frühpensionierung gehen oder entlassen werden. Bis zum Eintritt des Rentenalters erhalten sie dann 60 Prozent ihres letzten Gehalts.
Im Gesundheitswesen sollen 1,5 Milliarden Euro eingespart werden. Unter anderem sollen die Versicherten sich mit höheren Eigenbeiträgen beim Kauf von Medikamenten beteiligen. Zahlreiche Krankenhäuser sollen schließen. Andere sollen sich zusammenschließen.
Die Gehälter der Angestellten der öffentlich-rechtlichen Betriebe, wie beispielsweise der Elektrizitätsgesellschaft (DEI), sollen denen der Staatsbediensteten angeglichen werden. Dies bedeutet für die Betroffenen nach Berechnungen der Gewerkschaften bis zu 30 Prozent weniger Geld.
Familien, die mehr als 18.000 Euro im Jahr verdienen, haben keinen Anspruch auf Kindergeld mehr.
Das Rentenalter wird für alle von 65 Jahre auf 67 Jahre angehoben.
Weitere Details des Sparprogramms sollen mit Gesetzen geregelt werden, die in den kommenden Monaten gebilligt werden sollen.
Kennen Sie ein Konzept, mit dem Griechenland wieder wettbewerbsfähig wird und auf die Beine kommt?
Genau dies soll durch das Anpassungsprogramm erreichen werden. Am Ende muss jede Volkswirtschaft finanziell auf eigenen Beinen stehen können, ohne Transfers von außen. Eine Volkswirtschaft kann nicht dauerhaft mehr verbrauchen, als sie produziert. Sollte die europäische Politik beschließen, dieses Prinzip zu verletzen und einen Mitgliedstaat dauerhaft zu alimentieren, dann muss sie sich über die Folgen im Klaren sein.
Das ist technokratisch richtig, aber geht das auch politisch? Die Ausbrüche im Berlusconi-Lager, Deutschland führe den Dritten Weltkrieg, zeigen, dass die Währung die Gemeinschaft eher spaltet.
Wer andere zum Sündenbock erklärt, will nur von seiner eigenen Verantwortung ablenken. Natürlich stellen die wirtschaftlichen Anpassungen große Herausforderungen für die Politik und vor allem für die betroffene Bevölkerung dar. Aber Grenzen der politischen Akzeptanz gibt es nicht nur in den Krisenländern.
Haben wir in der EZB nichts mehr zu sagen?
Ihre Skala reicht von Irland bis Griechenland. Wo liegt Italien?
Italien leidet unter schwachem Wachstum, niedriger Produktivität und mangelnder Innovationskraft. Aber unter der Regierung Monti hat sich Italien ambitionierte Reformziele gesetzt, um das Vertrauen der Investoren zurückzugewinnen, und hatte damit Erfolge. Es wäre fatal, wenn der Eindruck entstünde, dieser Kurs könnte je nach Ausgang der Wahl zur Disposition gestellt werden.
Italien hat Reformbedarf
Im Klartext: Wer Berlusconi wählt, macht eine Rettung wahrscheinlicher. Aber der Rettungsschirm darf wegen Berlusconi nicht zahlen.
Über den Ausgang der Wahlen werde ich nicht spekulieren. Die jetzige italienische Regierung hat jedenfalls den Reformbedarf erkannt und ist ihn in wichtigen Bereichen angegangen. Käme der Reformprozess ins Stocken, verlöre Italien abermals das Vertrauen der Investoren.
Wenn dann die Zinsen steigen und keine handlungsfähige Regierung da ist, fängt alles wieder von vorn an, oder?
Das ist mir jetzt zu viel „wenn dann“. Klar ist doch, dass es im Interesse Italiens liegen muss, das zu verhindern. Es darf nicht erneut fahrlässig Druck auf die Notenbanken erzeugt werden. Als Währungshüter müssen wir klarmachen, dass wir ausschließlich unserem Primärziel verpflichtet sind: der Geldwertstabilität. Wir sind nicht Ausputzer für Politikversagen.
Gibt es diesen Konsens in der EZB noch?
Das ist doch ganz klar unser Mandat.
Der Instrumentenkasten der EZB
Wieder einmal blicken alle in der Euro-Schuldenkrise gebannt nach Frankfurt: die Europäische Zentralbank (EZB) soll es im schlimmsten Fall richten, mit ihrem Waffenarsenal intervenieren und so die Märkte beruhigen.
Zwar streiten sich Fachleute und auch die Notenbanker darüber, wie effektiv, nachhaltig und sinnvoll weitere Eingriffe der Geldpolitik sein könnten. Fest steht aber: die EZB verfügt als einzige Institution über einen gut gefüllten und theoretisch sofort verfügbaren Instrumentenkasten, um angeschlagenen Banken unter die Arme zu greifen, Institute im Falle eines Bank-Runs mit neuem Geld zu schützen und durch ihre Finanz-Feuerkraft wenigsten für eine begrenzte Zeit wieder für Ruhe an den Börsen zu sorgen.
Vor dem Wahlsonntag in Athen verdichten sich die Hinweise, dass die großen Notenbanken der Welt gemeinsame Sache machen und die Märkte mit Geld fluten könnten. Eine solche konzertierte Aktion der Zentralbanken gab es schon einmal - Anfang Oktober 2008, kurz nach dem Kollaps der US-Investmentbank Lehman Brothers, als weltweit die Finanzströme zu versiegen drohten.
In der aktuellen Krise rund um die Überschuldung Griechenlands und anderer südeuropäischer Länder hat bislang nur die britische Notenbank angekündigt, dass sie gemeinsam mit dem Finanzminister in London ihren Bankensektor zum Schutz vor aus Griechenland überschwappenden Problemen mit 100 Milliarden Pfund fluten will. Am Freitag sorgte die Aussicht auf eine gemeinsame Intervention der Zentralbanken zunächst für bessere Stimmung an den Märkten.
Aktuell steht der Leitzins der EZB bei 0,75 Prozent. Die Notenbank kann natürlich jederzeit an dieser in normalen Zeiten wichtigsten Stellschraube drehen. Es wäre ein historischer Schritt: Noch nie seit Bestehen der Währungsunion lag der Schlüsselzins für die Versorgung des Finanzsystems mit frischer Liquidität niedriger.
Allerdings nimmt der Spielraum der EZB mit jeder weiteren Leitzinssenkung ab - schließlich rückt damit die Nulllinie unausweichlich immer näher. Fachleute erwarten, dass die Zentralbank mit weiteren Zinssenkungen so lange wartet wie nur möglich, um für den Fall echter Verwerfungen an den Finanzmärkten, wie sie etwa bei einem Austritt der Griechen aus der Euro-Zone drohen würden, noch Munition zu haben.
Um den Geldmarkt wiederzubeleben und die Banken zu ermuntern mehr Geld in den Wirtschaftskreislauf zu geben, könnte die EZB den sogenannten Einlagezinssatz auf null Prozent kappen. Dieser Zins liegt aktuell bei 0,25 Prozent. Das bedeutet, dass Banken, die keiner anderen Bank mehr trauen, immerhin noch Geld dafür bekommen, wenn sie überschüssige Liquidität bei der EZB parken. Bei einem Einlagezinssatz von einem Prozent entfiele der Anreiz dies zu tun. Doch ob die Banken der EZB den Gefallen tun oder das Geld dann lieber horten, ist fraglich. Aktuell parken sie jedenfalls knapp 800 Milliarden Euro in Frankfurt.
Im Dezember und im Februar ist es der EZB gelungen, mit zwei jeweils drei Jahre laufenden Refinanzierungsgeschäften die Gemüter der Banker wenigstens für eine Zeit lang zu beruhigen. Damals sicherten sich die Geldhäuser insgesamt rund eine Billion Euro bei der Zentralbank zum Billigtarif von nur einem Prozent.
Einige Experten glauben, dass weitere langlaufende Geschäfte dieser Art das durch die Unsicherheit über die Zukunft der Euro-Zone untergrabene Vertrauen wieder zurückbringen könnten. Die Banken, die sich um den Jahreswechsel bei der EZB bedient haben, sind allerdings ohnehin bis mindestens Ende 2014 abgesichert. Außerdem kann jede Bank darüber hinaus bei den wöchentlichen Hauptrefinanzierungsgeschäften der Notenbank aus dem Vollen schöpfen.
Damit den Banken die Sicherheiten nicht ausgehen, die diese als Pfand bei den Refinanzierungsgeschäften mit der Notenbank stellen müssen, kann die EZB weitere Erleichterungen bei den Anforderungen beschließen. Sie kann dabei auch selektiv nach Ländern vorgehen, um gezielter zu helfen. Allerdings sind Erleichterungen bei den Sicherheiten immer auch ein Politikum, weil dadurch die Risiken steigen, die die Zentralbank durch die Refinanzierung in ihrer Bilanz ansammelt. Im Fall der Fälle müssten diese von den Steuerzahlern der Mitgliedsländer getragen werden.
Die EZB hat seit Mai 2010 Staatsanleihen hoch verschuldeter Euro-Länder für mehr als 200 Milliarden Euro gekauft. Das im Fachjargon SMP (Securities Markets Programme) genannte Programm ist wegen seiner möglichen Nebenwirkungen in Deutschland und einigen anderen nord- und mitteleuropäischen Ländern umstritten. Es ruht derzeit, kann allerdings jederzeit wieder vom EZB-Rat in Kraft gesetzt werden.
Ob es allerdings noch seine erhofften positiven Wirkungen am Bondmarkt entfalten kann, ist unklar. Wegen der Erfahrungen bei der Umschuldung Griechenlands im Frühjahr dürften wenige private Investoren wie Banken oder Versicherungen der EZB folgen und wieder in den Markt gehen, weil sie fürchten, dass die Zentralbank erneut einen Sonderstatus als Gläubiger durchsetzen könnte, wie sie es im Fall Griechenland getan hat.
Theoretisch kann die EZB neben Staatsanleihen auch andere Arten von Wertpapieren kaufen und auf diese Weise Geld schaffen: zum Beispiel Bankschuldverschreibungen, Aktien und Unternehmensanleihen. Während der Ankauf von Bank Bonds eine durchaus denkbare Möglichkeit wäre, Liquidität bei den Banken zu schaffen, scheinen andere Wege wenig erfolgversprechend. So könnte die EZB wohl schlecht erklären, warum sie etwa Aktien von Banken kauft, nicht aber von Auto- oder Chemiekonzernen. Oder sie setzt sich dem Verdacht aus, der einen Bank mehr Aktien abzukaufen als anderen oder zum Beispiel spanische Institute deutschen oder österreichischen Banken vorzuziehen.
Theoretisch kann die EZB auch ihre Anforderungen an die Mindestreserve der Banken, die diese bei ihr halten müssen, absenken. Sie hat dies um den Jahreswechsel bereits getan und den Satz ihrer gesamten Einlagen, den jede Geschäftsbank bei ihr parken muss, von zwei auf ein Prozent halbiert. Dadurch hatte sie damals eine Summe von rund 100 Milliarden Euro für die Banken freigemacht. Ein solcher Schritt würde es für Banken in Südeuropa, die wohl am ehesten unter einer Kapitalflucht leiden würden, leichter machen, Mittel flüssig zu halten.
Ist die EZB der Zuchtmeister der Staaten oder ihr Finanzier?
Die Rolle des Finanziers ist ihr ausdrücklich verboten, und die des Zuchtmeisters tut weder ihr noch der Währungsunion gut. Wenn wir Notenbanker anfingen, uns als Dompteure demokratisch gewählter Regierungen aufzuführen, dann würde man sehr rasch und zu Recht die Frage stellen, ob die Notenbank nicht ihren Verantwortungsbereich überschreitet.
Das angekündigte Ankaufprogramm hat erst mal für Ruhe gesorgt, Ihre Kollegen feiern es als großen Erfolg.
Natürlich können Notenbanken schon mit Ankündigungen Märkte kurzfristig beeinflussen. Aber die Frage ist doch: Ist das der richtige Maßstab für den Erfolg unseres Handelns? Wir haben uns auf eine abschüssige Bahn begeben, auf der die in das Programm eingebaute Bremse, die Konditionalität, nur schwer greifen wird. Der Druck der Märkte nimmt genau dann zu, wenn ein Land von seinem Reformkurs abkommt. Entweder man weigert sich dann zu kaufen und nimmt die Eskalation der Krise in Kauf, oder man lässt die Konditionalität fallen. Wir sollten unser Mandat eng auslegen und uns gar nicht erst in eine solche Zwangslage begeben.
Reicht eine Ankündigung zur Beruhigung?
Selbst wenn eine Ankündigung reichen sollte, würde ich nicht meine Meinung zu dem Programm ändern.
Abstand von der monetären Staatsfinanzierung
Was stört Sie so an den Anleihekäufen?
Zunächst beinhaltet das Programm die Bereitschaft, über die Notenbankbilanz massiv und im Grundsatz unlimitiert Insolvenzrisiken zwischen den Steuerzahlern einzelner Länder umzuverteilen. In einer Währungsunion mit 17 souveränen Mitgliedstaaten sollte das den demokratisch gewählten Parlamenten vorbehalten sein. Als Notenbank sollten wir außerdem ausreichenden Abstand von monetärer Staatsfinanzierung wahren. Schließlich kommt Moral Hazard hinzu, also dass der Reformeifer der Regierungen schwindet, wenn wir den Handlungsdruck durch unsere Maßnahmen reduzieren.
Wird die EZB die geldpolitischen Zügel wieder straffen – auch bei Risiken für die Finanzstabilität?
Unsere Hauptaufgabe ist es, für Preisstabilität zu sorgen. Wenn Inflationsrisiken zunehmen sollten, müssen wir handeln. Natürlich kann dies auf die Finanzstabilität zurückwirken. Wir beobachten, dass sich einige Staaten immer kurzfristiger finanzieren. Ihre Haushaltslage hängt dadurch enger an den aktuellen Kurzfristzinsen. Aber die Tatsache, dass die Finanzpolitik sich in diese Abhängigkeit begibt, kann nicht bedeuten, dass die Geldpolitik bei ihrer Hauptaufgabe Preisstabilität zurücksteckt.
Die wichtigsten Fragen für das Politik-Jahr 2013
Ganz im Gegenteil! Nicht nur die Euro-Länder, die gesamte Union rückt noch enger zusammen. In der Krise wächst der Zusammenhalt. Den großen Wurf, den die EU-Kommission propagiert, wird es aber 2013 ebenso wenig geben wie einen neuen Vertrag. Etwas Ruhe tut der Gemeinschaft an dieser Front gut.
Das wird eng. Dabei haben Eltern vom 1. August 2013 an einen Rechtsanspruch auf Betreuung für ihre ein- und zweijährigen Kinder. Das Statistische Bundesamt schätzt, dass derzeit aber bundesweit noch 220.000 Kita-Plätze fehlen – vor allem in westdeutschen Ländern. Für den Sommer rechnen viele Kommunen mit einer Klagewelle, weil Eltern einen Betreuungsplatz für ihre Kinder einfordern könnten.
Um etwa zwölf Prozent steigen die Strompreise bei den Energieunternehmen, die zum Jahreswechsel 2012/13 ihre Tarife hochsetzen. Teilweise liegt das an der steigenden Umlage für Erzeuger erneuerbarer Energie. Zugleich aber nehmen die Ausnahmen für die Industrie zu, deren Strompreis niedriger bleibt. Auch das zahlen Private mit. Ein ähnlich hoher Sprung ist zum Jahresende 2013 aber nicht absehbar.
Im Nahen Osten sprudelt die Prophetie wie das Erdöl, und meistens liegen die Propheten falsch. Dies lässt hoffen, weil derzeit die Weisen in Sachen Morgenland einhellig Katastrophen prognostizieren, von der iranischen Bombe bis hin zur ägyptischen Scharia-Finsternis. Aber wir wissen, dass es fast immer ganz anders kommt.
Moody’s hat zuletzt die Bonität der Euro-Rettungsfonds ESM/EFSF gesenkt, wegen der Schwäche Frankreichs. Ähnliches könnte auch Deutschland passieren – wenn es für kaputte Süd-Banken, ein malades Italien oder sogar für Frankreich in Haftung genommen wird. Dann wären auch wir unser Triple-A los.
China kann die deutsche Wirtschaft nicht retten. Dazu ist der Anteil an den deutschen Exporten von aktuell knapp sechs Prozent noch zu gering. Nach vorübergehender Schwäche wird die Wirtschaft in China 2013 wieder Fahrt aufnehmen, und die deutschen Exporteure profitieren, doch entscheidend für die Konjunktur ist dies nicht.
2013 werden die Preise langsamer steigen als im vergangenen Jahr. Die Inflationsrate für Deutschland und den Durchschnitt der Euro-Zone wird bei weniger als zwei Prozent liegen. Wegen der schlechten Wirtschaftslage und hohen Arbeitslosigkeit werden die Preise in Griechenland, Irland oder Portugal kaum noch wachsen.
In der Euro-Krise kann die Kanzlerin auf ihren Vertrauensvorsprung setzen. Energiepreise – das kostet sie Ansehen. Die SPD setzt auf soziale Gerechtigkeit (Mindestlohn, Vermögensteuer, Spitzensteuer) – das wird die Union kontern können.
Vorerst nicht. In Spanien und Griechenland sind gut 50 Prozent der unter 25-Jährigen ohne Job, in Portugal 35 Prozent, in Italien 31 Prozent. Doch Arbeitsplätze lassen sich nicht politisch verordnen, wie es der EU-Kommission vorschwebt, die eine Beschäftigungsgarantie für Junge durchsetzen will. Gegen die Misere helfen nur Bildung und Wachstum. Vor allem bei Letzterem sieht es 2013 im Süden düster aus.
Südostasien schwingt sich zur entscheidenden Wachstumshoffnung der Weltwirtschaft auf – auch weil aus der Asean-Gemeinschaft 2014 ein einheitlicher Wirtschaftsraum werden soll. Indonesien empfiehlt sich mit 240 Millionen Einwohnern und stabilem Wachstum von jahrelang sechs Prozent aufwärts als Alternative zu China. In Südamerika wird Mexiko zur Boom-Region, in Europa ist es die Türkei.
Stetige Deflation, ein riesiges Loch im Haushalt, ein gewaltiger Schuldenberg und das hohe Handelsdefizit schwächen Japans Wirtschaft. Die Bevölkerung altert und schrumpft. Sollte die neue Regierung wie geplant die Notenpresse stärker anwerfen und die Ausgaben noch mehr erhöhen, rückt im Falle eines exogenen Schocks ein Staatsbankrott in bedrohliche Nähe.
Das heißt im Klartext: Wenn die EZB die Zinsen erhöhen muss, um die Inflation zu bekämpfen, drückt sie die Staaten damit so stark ins Defizit, dass die Staatsschuldenkrise wieder von vorn beginnt.
Durch die Reformen sollte sich die Haushaltslage grundlegend verbessern. Und falls der Kapitalmarktzugang dennoch erschwert wäre, gäbe es mit dem ESM einen Rettungsmechanismus, der genau dafür geschaffen wurde. Grundsätzlich gilt aber, dass die Länder sich so aufstellen müssen, dass sie selbstständig mit der gemeinsamen Geldpolitik zurechtkommen. Wettbewerbsfähige Wirtschaftsstrukturen und solide Staatsfinanzen sind Voraussetzungen für eine stabile Währungsunion. Die Geldpolitik kann diese Voraussetzungen nicht schaffen. Damit wäre sie überfordert. Das war beim Einstieg in die Währungsunion völlig klar.
Ein Schiffskonvoi wird immer vom Langsamsten bestimmt.
Das Bild ist schief. Es geht nicht darum, dass alle gleich schnell fahren, sondern darum, dass jeder seetüchtig genug ist, um nicht beim nächsten Wetterumschwung in Seenot zu geraten – und dann nach der Zentralbank ruft, die ihn über Wasser halten soll. Es wird in der Währungsunion immer so sein, dass einige Volkswirtschaften sich dynamischer als andere entwickeln.
Aber es scheint, dass Deutschland noch recht flott fährt, die anderen aber immer weiter zurückfallen.
Im jetzigen Übergangszeitraum wird sich der Abstand erst weiter vergrößern, weil die Peripherieländer durch ihre Konsolidierungsmaßnahmen gebremst werden. Aber zum einen wird sich das auch wieder ändern – viele haben schon vergessen, dass vor einigen Jahren Deutschland noch das konjunkturelle Schlusslicht war. Und zum anderen ist Europa keine Insel. Wir konkurrieren mit der ganzen Welt. Also kann die Lösung nicht sein, das wettbewerbsfähigste Land zu bremsen. Um ein anderes Bild zu verwenden: Man sollte dem stärksten Spieler einer Mannschaft keinen Klotz ans Bein binden, damit es vermeintlich gerechter zugeht.
Kaum Unterstützung der Bevölkerung
Wir haben lernen müssen, dass die Währungsunion gerade deshalb nicht funktioniert, weil die Unterschiede bei Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftskraft so groß sind. Und nun kommt die Politik und sagt: Wir müssen nur noch enger zusammenarbeiten, dann klappt das schon. Aber niemand will eine gemeinsame Steuer- oder Wirtschaftspolitik, schon gar keine gemeinsame Haushaltspolitik.
Ich teile Ihre Einschätzung, dass die politische Bereitschaft und die Unterstützung der Bevölkerung nicht sehr ausgeprägt sind, nationale Souveränität aufzugeben. Am wenigsten übrigens oft in den Ländern, die eine verstärkte Gemeinschaftshaftung fordern. Ich sehe deshalb auch nicht den großen Sprung in Richtung Fiskalunion. Das heißt dann aber, sich an das zu halten, was wir bei Gründung der Währungsunion vereinbart hatten: den Maastricht-Vertrag, in dem die Mitgliedstaaten für sich selbst verantwortlich sind. Wir sollten uns jedenfalls davor hüten, Risiken immer stärker zu vergemeinschaften, ohne die nationale Souveränität anzutasten. Denn wenn Haftung und Kontrolle nicht im Einklang stehen, wird das Fundament der Währungsunion untergraben.
Die Rolle der EZB nach dem Maastricht-Vertrag
Artikel 104 (1) Überziehungs- oder andere Kreditfazilitäten bei der EZB oder den Zentralbanken der Mitgliedstaaten (...) für Organe oder Einrichtungen der Gemeinschaft, Zentralregierungen, regionale oder lokale Gebietskörperschaften oder andere öffentlich-rechtliche Körperschaften, sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentliche Unternehmen der Mitgliedstaaten sind ebenso verboten wie der unmittelbare Erwerb von Schuldtiteln von diesen durch die EZB oder die nationalen Zentralbanken.
Artikel 104 b (1) Die Gemeinschaft haftet nicht für die Verbindlichkeiten der Zentralregierungen, der regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften oder anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, sonstiger Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentlicher Unternehmen von Mitgliedstaaten und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein. (...)
Artikel 107 Bei der Wahrnehmung der ihnen durch diesen Vertrag und die Satzung des ESZB übertragenen Befugnisse, Aufgaben und Pflichten darf weder die EZB noch eine nationale Zentralbank, noch ein Mitglied ihrer Beschlussorgane Weisungen von Organen oder Einrichtungen der Gemeinschaft, Regierungen der Mitgliedstaaten oder anderen Stellen einholen oder entgegennehmen.
Artikel 105 (1) Das vorrangige Ziel des ESZB (Europäisches System der Zentralbanken, d. Red.) ist es, die Preisstabilität zu gewährleisten. Soweit dies ohne Beeinträchtigung des Zieles der Preisstabilität möglich ist, unterstützt das ESZB die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Gemeinschaft, um zur Verwirklichung der in Artikel 2 festgelegten Ziele der Gemeinschaft beizutragen.
Wird die EZB zur Supermacht, wenn sie von 2014 an nicht nur die Preisstabilität sichert, sondern auch die wichtigsten 200 europäischen Banken beaufsichtigt?
Zunächst einmal: Wir in der Bundesbank halten die Bankenunion für einen im Grundsatz sehr wichtigen und richtigen Schritt, um den institutionellen Rahmen der Währungsunion für die Zukunft solider zu machen. Es geht unter anderem darum, durch eine effektive Aufsicht und einen strengen Regulierungsrahmen die enge Verbindung zwischen Risiken aus den öffentlichen Finanzen eines Landes und der Lage des dortigen Bankensystems so weit wie möglich aufzulösen. Bei derart wichtigen Entscheidungen sollte Gründlichkeit vor Schnelligkeit gehen. Aus unserer Sicht ist insbesondere wichtig, dass Interessenkonflikte zwischen der Bankenaufsicht und der Geldpolitik vermieden werden. Das sehe ich noch nicht zufriedenstellend gelöst.
Kann der geplante Vermittlungsausschuss das Problem lösen?
Es soll künftig drei Gremien für die Bankenaufsicht geben: Zunächst den Aufsichtsausschuss, der in der EZB angesiedelt ist und die Entscheidungen für den EZB-Rat vorbereitet. Diese Beschlussvorschläge soll der EZB-Rat nur ablehnen oder annehmen, nicht aber verändern können. Das finde ich eigenartig: Wenn ich schon politische Verantwortung tragen soll, muss ich auch in der Lage sein, die Entscheidung zu gestalten. Damit nicht genug: Lehnt nun beispielsweise der EZB-Rat eine Vorlage des Aufsichtsgremiums ab, und ein Land ist damit nicht einverstanden, dann kommt ein drittes Gremium ins Spiel: der Vermittlungsausschuss. Er entscheidet mit einfacher Mehrheit. Doch seine Entscheidungen können nicht bindend sein – aufgrund des geltenden EU-Rechts muss der EZB-Rat das letzte Entscheidungsgremium sein.
Klingt nach einer sinnlosen, aber komplizierten Konstruktion. Warum tut man das?
Man versucht, auf einer dafür nicht wirklich geeigneten Rechtsgrundlage eine chinesische Mauer zwischen den geldpolitischen und den aufsichtsrechtlichen Aufgaben einzuziehen. Es ist aber eher eine japanische Wand oder ein Paravent. Vorzuziehen wäre es meiner Ansicht nach, durch eine Änderung der EU-Verträge eine robuste Trennung zwischen geldpolitischen und aufsichtlichen Entscheidungsstrukturen hinzubekommen.
Erwünschter Meinungsaustausch
Diese Trennung in der EZB ist ohnehin nur Theorie: Was nützt die chinesische Mauer in den Stockwerken fünf bis zwölf, wenn sich Geldpolitiker und Bankenaufseher mittags in der Kantine treffen?
Ein Meinungsaustausch der Fachleute und die Bündelung von Know-how sind durchaus erwünscht. Deshalb ist die Bundesbank ja auch heute schon Teil der deutschen Bankenaufsicht. Das Problem entsteht potenziell erst, wenn ein Gremium für zwei Aufgabenbereiche bindende Entscheidungen fällt. Insofern hat das deutsche System seine Vorteile, in dem die Bundesbank die laufende Aufsicht sicherstellt und die BaFin in Bonn hoheitliche Entscheidungen trifft.
Sie wollen also nicht, dass die EZB über die Schließung einer Bank entscheidet.
Diese Aufgabenbündelung ist zunächst so beschlossen, nun müssen die Interessenkonflikte minimiert werden. Als funktionierende Organisation könnte die EZB für die Aufsicht eine Geburtshelfer-Rolle übernehmen. Ich würde mir aber wünschen, dass die jetzige Konstruktion mit der Letztverantwortung des EZB-Rats nur eine Übergangslösung ist. Die Bankenaufsicht sollte einem in seinen Entscheidungen völlig eigenständigen Gremium übertragen werden. Nur dann können keine Zweifel an der Unabhängigkeit des EZB-Rats in der Geldpolitik aufkommen.
Europäische Banken
Die Düsseldorfer Traditionsbank IKB importiert die internationale Finanzkrise nach Europa. Fatale Spekulationen am US-Häusermarkt kosten die staatliche Mutterbank KfW 3,5 Milliarden Euro.
Der Freistaat muss die Sachsen LB wegen hoher Verluste an die baden-württembergische
Landesbank LBBW notverkaufen. Sachsens Bürger verlieren 430 Millionen Euro Garantien.
Zockereien bei der irischen Tochter Depfa brechen der einst als solide geltenden Immobilienbank
Hypo Real Estate das Genick. Die HRE kassiert knapp 10 Milliarden Euro staatliche Kapitalspritzen
und beansprucht Bürgschaften von bis zu 124 Milliarden Euro.
Die Münchner Landesregierung steckt 10 Milliarden Euro in ihre von der Finanzkrise gebeutelte Landesbank BayernLB. Brüssel verlangt in der Folge eine Schrumpfung der Bilanz um die Hälfte.
Nach der Übernahme der maroden Dresdner Bank mitten in der Finanzkrise ruft die Commerzbank nach dem Staat. Der pumpt 18,2 Milliarden Euro Rettungskapital hinein.
Die platzende Immobilienblase auf der grünen Insel zwingt mit der Bank of Ireland nicht nur Irlands älteste Bank in die Knie. Auch alle anderen irischen Institute brauchen Staatsgeld – ein 67-Milliarden-Paket der Euro-Zone und des IWF verhindert den Staatsbankrott.
Die Alpha Bank, zweitgrößte griechische Bank, fusioniert mit einer Konkurrentin. Allein kann das Institut 608 Millionen Euro Verluste aus griechischen Anleihen nicht tragen.
Ratingagenturen senken die Bonitätsklasse der französischen Großbanken BNP Paribas, Société
Générale und Crédit Agricole. Europäische Institute reduzieren ihre Frankreich-Einlagen.
Kurz nachdem der Finanzier für die öffentliche Hand den EU-weiten Bankenstresstest bestanden hat, muss Dexia von Brüssel und Paris verstaatlicht und mit 55 Milliarden Euro öffentlichen Garantien
gestützt werden. Grund: notleidende Kredite an griechische Schuldner.
Madrid verstaatlicht den aus regionalen Sparkassen entstandenen Bankkonzern Bankia. Wegen der
spanischen Immobilienkrise braucht Bankia bis zu 24 Milliarden Euro. Spaniens Krisenbanken könnten bis zu 100 Milliarden Euro Kredite und Kapital benötigen.
Die WestLB, Landesbank Nordrhein-Westfalens, macht nach gigantischen Verlusten für immer dicht. Brüssel ordnet die Abwicklung an. Kosten für Staat und Sparkassen: 18 Milliarden Euro.
Hohe Abschreibungen bei Firmenkrediten reißen eine der ältesten Banken der Welt in den Abgrund.
Die Bonität der 1472 gegründeten Monte dei Paschi di Siena sinkt auf Ramschniveau. Viele italienische Banken leiden zudem unter Abschreibungen auf Staatspapiere.
Die Regierung des Inselstaats Zypern fordert EU-Hilfen für ihren Bankensektor. Das größte Institut,
die Bank of Cyprus, kann ihre Kapitallücke nicht allein aus privaten Geldquellen stopfen.
Die Franzosen wollten bereits Anfang nächsten Jahres loslegen. Nun hat man sich auf März 2014 geeinigt. Reicht das, um eine funktionierende Aufsicht mit genügend Personal aufzubauen?
Die praktischen Anforderungen an eine Aufsicht, selbst wenn sie zunächst nur für die großen, systemischen Institute gilt, sollte man nicht unterschätzen. Aufseher müssen die Sprache, die jeweiligen Rechtssysteme, die Unternehmensstrukturen und die Besonderheiten der nationalen Märkte kennen. Und sie sollten große Erfahrung in der Bankenaufsicht mitbringen. Deswegen kann auch die Aufsicht der systemischen Institute nur mit einer sehr starken Einbindung der bisherigen nationalen Aufseher gelingen.
Was passiert, wenn die europäischen Aufseher erkennen, dass eine Bank zusätzliches Kapital braucht?
Dann muss die Bank das Kapital beschaffen. Wenn ihr dies nicht gelingt, ist sie zu restrukturieren oder abzuwickeln. Für solche Fälle brauchen wir einen von den Banken finanzierten Restrukturierungs- und Abwicklungsmechanismus auf europäischer Ebene. Er soll sicherstellen, dass zuerst die Eigenkapitalgeber der betroffenen Bank, dann sonstige Gläubiger, dann ein von den Banken finanzierter Fonds und erst zuletzt und damit in Ausnahmefällen der Steuerzahler haftet. Wir müssen diesen Mechanismus zügig schaffen, ohne ihn ist die Bankenunion unvollständig. Und auch dann darf die Bankenunion nicht der Deckmantel dafür sein, nationale Altlasten auf die europäische Ebene zu verschieben. Die Lasten, die derzeit in den Bankbilanzen stecken, gehen zurück auf nationale Fehlentwicklungen und Fehler der nationalen Aufseher und sollten deswegen von den Eigentümern und Gläubigern der jeweiligen Banken oder den nationalen Steuerzahlern getragen werden.
Erster Schritt zur europäischen Bankenunion
Ist es sinnvoll, dass die EZB erst ab einer Bilanzsumme von 30 Milliarden Euro zuständig ist?
Immerhin ist das ein klares Kriterium, mit dem sich die gemeinsam beaufsichtigten Banken leicht von den anderen abgrenzen lassen. Allerdings hätte man den Kreis der Banken auch etwas enger als die nun anvisierten 200 Institute ziehen können. Nach den Plänen kann die EZB ohnehin die Aufsicht über kleinere Institute an sich ziehen, wenn sie dies für notwendig erachtet.
Der Kompromiss ist ein erster Schritt zur europäischen Bankenunion. Ist der nächste eine gemeinsame Einlagensicherung, bei der deutsche Sparer für spanische Banken haften.
Nein. Der nächste Schritt ist, wie gesagt, ein Restrukturierungs- und Abwicklungsmechanismus. Eine Einlagensicherung halte ich nicht für erforderlich. Ein Noch-Mehr an Haftung würde erheblich stärkere Eingriffsrechte in die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten erfordern.
Ist es nicht ungerecht, dass Banken höhere Refinanzierungskosten haben, nur weil sie aus einem Land mit unsoliden Staatsfinanzen kommen?
Ebenso gerecht oder ungerecht wie höhere Prämien in der Kfz-Versicherung, wenn Sie in einer Region mit vielen Unfällen wohnen. Wir haben nun einmal unterschiedliche staatliche Solvenzrisiken. Dass sich die staatliche Solvenz und die Wirtschaftskraft auch in den Bilanzen der Banken und in deren Refinanzierungskosten widerspiegeln, ist keine Fehlentwicklung, sondern nur logisch. Die Folgerung daraus darf nicht sein, dass man diese Risiken negiert oder über ganz Europa verteilt, sondern dass man Staaten zwingt, sich an die Regeln zu halten, solide Haushalte aufzustellen und ihre Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen. Die Ursachen der Solvenzunterschiede müssen angegangen werden, nicht die Symptome, die sich in den Bankbilanzen widerspiegeln.
Bald treten weitere Länder dem Euro bei, dann rotieren die Vertreter im EZB-Rat. Irgendwann ist Deutschland dann nicht mehr dabei, wenn Entscheidungen fallen.
Eine solche Kritik halte ich für überspitzt. Besser, als am Abstimmungsmodus zu drehen, wäre es, wenn das Euro-System sich wieder auf seine eigentliche Aufgabe beschränken kann: auf Geldpolitik zur Sicherung der Preisstabilität. Das Umverteilen von Risiken ist Aufgabe der Fiskalpolitik, die dafür demokratisch legitimiert ist und sich vor den Parlamenten und letztlich den Wählern rechtfertigen muss.
Das ist ein Kapitel aus dem Lehrbuch der Notenbanker. Aber in Wirklichkeit werden Risiken umverteilt, und unser Vertreter bleibt vor der Tür.
Es geht um die Teilnahme an der Abstimmung, anwesend und diskussionsberechtigt sind stets alle Mitglieder des EZB-Rates. Und die Sorge, die viele Menschen umtreibt – welche Folgen haben die Maßnahmen der Notenbanken für uns als Steuerzahler und für die Preisstabilität –, lässt sich nicht durch einen anderen Abstimmungsmodus heilen.
Bei vielen Entscheidungen im EZB-Rat standen Sie ohnehin allein. Warum konnten Sie sich nicht durchsetzen?
Gerade in solch einer grundlegenden Debatte über die Rolle der Geldpolitik spielen viele Faktoren eine Rolle: zweifellos die Tradition, durch die man geprägt wurde. Aber man kann sich auch nicht immer vom Eindruck der wirtschaftlichen Lage im eigenen Land freimachen. Es ist ein Unterschied, ob zu Hause 50 Prozent der Jugendlichen arbeitslos sind oder annähernd Vollbeschäftigung herrscht. Ich habe in den Diskussionen aber nicht das Gefühl, dass meine Argumente nicht verstanden werden. Viele meiner Sorgen werden von Kollegen im EZB-Rat geteilt.
Kompromisslose Haltung
In den Abstimmungen stehen Sie allein!
Das gilt keineswegs für alle Entscheidungen. Wenn es um Maßnahmen geht, die als Staatsfinanzierung gesehen werden könnten, halte ich allerdings eine kompromisslose Haltung für besonders wichtig. Aber selbst dann sehe ich, dass die Mehrheit im EZB-Rat in ihren Entscheidungen Bedenken aufgreift, die ich vorgetragen habe.
Und wenn Sie die Geldschwemme wieder aufsaugen wollen, sagen die anderen dann: Lieber fünf Prozent Inflation als fünf Prozent Arbeitslosigkeit?
Damit unterstellen Sie, dass sich meine Kollegen nicht an unser Mandat halten. Wir alle fühlen uns der Preisstabilität verpflichtet. Und gemäß unseren jüngsten Prognosen dürfte die Inflationsrate in den nächsten zwei Jahren wieder unter zwei Prozent liegen. Um Preisstabilität auch darüber hinaus zu sichern, werden wir die ultraleichte Geldpolitik rechtzeitig wieder straffen müssen. Aber niemand kann derzeit sagen, wann der Zeitpunkt dafür gekommen sein wird.
Wie sorgt der hessische Familienvater Weidmann privat gegen die Inflation vor? Haben Sie schon Gold gekauft?
Nein, ich habe kein Gold gekauft. Im Übrigen sind meine Anlagemöglichkeiten bewusst sehr eingeschränkt, um den Anschein von Interessenkonflikten gar nicht erst aufkommen zu lassen.
Das klingt beruhigend. Aber der Bundesbank wird oft vorgeworfen, mit ihrem Alarmismus Unruhe zu schüren.
Unsere Positionen sind gut begründet, die deutsche Bevölkerung ist gut informiert, und sie schätzt die klare Haltung der Bundesbank. In einer so ungewöhnlichen Situation, in der der EZB-Rat im Grenzbereich seines Mandats handelt, muss es auch unterschiedliche Auffassungen geben – wir sind ja kein Politbüro.
Die Politik mault trotzdem über Sie.
Ein Politiker hat mir einmal vorgehalten, dass die beiden Lager im EZB-Rat wie Bergführer seien. Und wenn die sich streiten, bringe das Angst und Unruhe in die gesamte Seilschaft. Ich habe ihm geantwortet, dass ich es merkwürdig fände, dass die Politik, die eigentlich die Führung haben und die Entscheidungen treffen sollte, sich hinter uns einreihen und von uns leiten lassen will. Und wenn schon, sei es doch wohl besser, wenn die Bergführer in unerforschtem Gelände diskutieren, als fest entschlossen einen Weg wählen, der womöglich in den Abgrund führt.