Interview mit Partei-Vize Was Grüne und FDP von den Schweizer Grünliberalen lernen können

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„Am Schluss hat das Volk das letzte Wort“

Die drei Akteure kommunizieren in der Schweiz besser miteinander als in Deutschland?
Die Schweiz hat einen sehr breiten partizipativen Entscheidungsfindungsprozess (lacht). Nicht nur mit der direkten Demokratie, also den regelmäßigen Volksabstimmungen, die im Ausland häufig besprochen werden. Es ist auch sonst so, dass etwa Gesetze zuerst mit zivilgesellschaftlichen Organisationen und Wirtschaft vorbesprochen werden, bevor sie ins Parlament kommen. Und am Schluss hat das Volk das letzte Wort.

Die Schweiz ist kein Mitglied der EU, Klimapolitik kann man nur global gestalten. Wie arbeiten Sie mit dem Ausland zusammen?
Das Pariser Abkommen hat die Schweiz natürlich unterzeichnet. Die Schweiz kann bei globalen Verhandlungen eine gute Rolle spielen, weil sie über eine gewisse Glaubwürdigkeit und Wirtschaftskraft verfügt. Seit Jahrzehnten ist die Schweiz Spitzenreiterin in Innovation, gerade auch im Bereich Cleantech. Kürzlich haben wir ein Freihandelsabkommen mit Indonesien abgeschlossen, das erstmals Nachhaltigkeitskriterien berücksichtigt und hiermit eine Vorlage liefert für nachhaltigeren globalen Handel. Der Bankensektor hat auch gemerkt, dass es ein Vorteil ist, wenn er gute nachhaltige Produkte anbietet.

Man hat den Eindruck, jede Bank und jeder Fonds ist jetzt nachhaltig. Ist nicht viel Greenwashing darunter?
Klar, das ist ein großes Thema. Die Branche hat sich noch nicht auf vergleichbare Kriterien geeinigt und die einzelnen Akteure ringen um Deutungshoheit. Auch die EU-Taxonomie soll den Banken ja konkrete, messbare Standards liefern. Das ist noch nicht perfekt. Aber es ist schon ein großer Schritt zu merken, dass das vom Markt nachgefragt wird und welchen Rieseneffekt dieser Wandel in der Finanzbranche auf die Umsetzung der Klimaziele haben kann.

Jung- und Erstwähler haben die große Koalition abgewählt. Sie fühlen sich bei FDP und Grüne besser aufgehoben. Und die haben mehr gemeinsam, als viele denken.
von Sonja Álvarez, Sophie Crocoll, Daniel Goffart, Max Haerder, Cordula Tutt

Sie setzen sich explizit für eine Klimapolitik mit Anreizsystemen ein. Wie sollten die aussehen?
Wir gehen davon aus, dass der Mensch vernünftig handelt. Wenn es sich für die Menschen und Unternehmen lohnt, sich nachhaltig zu verhalten, tun sie das auch. Das sieht man an der Elektromobilität. Ein Konzern wie Volkswagen hat gemerkt, dass der Markt das nachfragt. Die stellen jetzt komplett um, weil sie merken: Das ist das bessere Angebot und lohnt sich.

Für den Wandel hin zu umweltfreundlicheren Autos bekommen die Konzerne nach Jahren bester Gewinne hohe Fördermittel. Könnten die nicht viel mehr selbst leisten?
Schon, aber auch hier befinden wir uns als Volkswirtschaft in diesem kontinuierlichen Ringen darum, wie Risiken und Kosten von öffentlichen Gütern und Aufgaben verteilt werden. Wenn ich daran denke, wie immens die Atomstromproduktion subventioniert wurde – das ist ein Modell, das sich wirtschaftlich nie gelohnt hat. Das war immer massiv staatlich unterstützt. Wenn sich aber herausstellt, dass eine Technologie schädlich ist und man damit aufhören muss, entstehen natürlich Transitionskosten, die gemeinschaftlich getragen werden müssen. Nur: Es werden immer noch sehr viele Technologien und Geschäftsmodelle staatlich gefördert, teilweise sogar subventioniert, von denen man bereits weiß, dass sie massive Folgekosten für die Allgemeinheit verursachen. Damit muss man aufhören. Das ist nicht zu wenig Regulierung, sondern falsche Regulierung.

Was halten Sie von Verboten?
Es gibt Beispiele, wo sie sehr gut funktioniert haben, wie das Sprühdosen-Gas FCKW, das in den 80er- und 90er-Jahren für das Ozonloch verantwortlich war. Die Staatengemeinschaft hat sich einer globalen Herausforderung angenommen und das Gas verboten. Die Ozonschicht hat sich innerhalb weniger Dekaden erholt. Das Gas ließ sich in Sprühdosen durch andere Stoffe ersetzen. Der Vorteil war, dass man mit der Industrie verhandeln konnte und diese Alternativen entwickelte. Die Firmen konnten weiterhin ihre Produkte anbieten und die Konsumenten haben nicht viel davon gemerkt. Wenn es aber um Verhaltensänderungen geht, ist es ganz wichtig, dass die Leute die neue Regel vorher akzeptieren. Ein Verbot allein reicht nicht.

Statt etwas zu verbieten kann man auch etwas proaktiv zum Gesetz machen, beispielsweise eine Technologie.
Richtig, aber das ist der letzte Schritt. In der ersten Phase muss man die Technologie bekannt und marktreif machen. Die Photovoltaik wurde zuerst stark gefördert. Wer selbst investierte, bekam zusätzliche Fördergelder, sehr günstige Einspeisekonditionen und Steuernachlässe. Das ist eine Investition in die vorher erwähnten Transitionskosten bei einem volkswirtschaftlich gewünschten Wandel. Damit entsteht eine positive Dynamik mit den Marktakteuren und ein Abbau von Transitionshindernissen. Heute lohnt sich Photovoltaik auch finanziell und damit lässt sich der Mainstream erreichen. Wenn man es schafft, damit 80 Prozent des Potentials auszunutzen, ist somit ein neuer Standard gesetzt. Die letzten 20 erreicht man auch mit Anreizen nicht.

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Und dann?
Dann muss man politisch die Entscheidung treffen: Ist diese Technologie jetzt so wichtig zur Erreichung der gesellschaftlichen Ziele, dass man dafür noch ein Gesetz erlässt oder kann man das sein lassen, weil man ohnehin schon einen sehr großen Effekt erzielt hat? Der letzte Schritt wäre dann eine gesetzliche Pflicht.

Mehr zum Thema: Robert Habeck und Christian Lindner haben nach dem Wahlsonntag einen spektakulären Start hingelegt. Wie weit kann die Partnerschaft von Grünen und FDP tragen? Darauf gibt es zwei Antworten. Die erste: sehr weit. Die zweite: kann.

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