Die 2004 gegründete Schweizer Grünliberale Partei (GLP) verbindet grüne Politik mit Wirtschaftsliberalismus. Bei den Parlamentswahlen 2019 lag die Partei noch deutlich hinter FDP und Grünen. Doch GLP-Vizepräsidentin Melanie Mettler, die seit 2019 im Nationalrat sitzt, ist fest davon überzeugt, dass sich das Kräfteverhältnis ändert. Das Interview mit der WirtschaftsWoche führt sie am Ende einer stressigen Parlamentswoche. Die in Deutschland sondierenden Grünen- und FDP-Parteichefs Robert Habeck, Annalena Baerbock oder Christian Lindner kennt sie zwar nicht, aber die Ausrichtung ihrer Partei ist für die derzeitigen Gespräche in Berlin hoch relevant.
WirtschaftsWoche: Frau Mettler, hätten Sie als Deutsche FDP oder Grüne gewählt?
Melanie Mettler: Weder noch. Das ist ein Missverständnis, das wir in den ersten zehn Jahren in der Schweiz auch immer erklären mussten: Grünliberal heißt nicht halb grün und halb liberal, sondern etwas Neues, Zukunftsgerichtetes – ein dritter Weg.
Konkret, bitte.
Wirtschaftspolitik ohne Nachhaltigkeit ist nicht zukunftsfähig, sondern zerstört sich die eigenen Handlungsgrundlagen. Und Klimapolitik ohne Wirtschaft ist auch nicht umsetzbar. Es geht nur, wenn man das zusammenspannt und guckt, wie wir unsere Gesellschaft organisieren müssen, damit auch künftige Generationen handlungsfähig bleiben.
Grüne und FDP führen gerade Sondierungsgespräche, um auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, der für eine Regierungsbildung reicht. Freiheit und freier Markt vs. ökologische Notwendigkeit und Regulierung: Wie lösen Sie diesen Konflikt? Haben Sie einen Tipp für die Deutschen?
Ich möchte mich hüten, den deutschen Politikern Ratschläge zu geben. Ich kann nur sagen: Unserer Erfahrung nach als Grünliberale sind wir dann am glaubwürdigsten, wenn wir nicht nur Positionen vertreten, sondern die besten Lösungen bieten. Die entstehen, wenn man sie gemeinsam erarbeitet und sich nicht gegenseitig aus der eigenen Ecke heraus piesackt und mit inhaltlichen Einzelteilen bewirft. Wenn die Parteien in Deutschland so zusammenarbeiten, dass am Ende mehr als die Summe der Einzelteile steht, ist das eine riesige Chance.
Sie sagen, man kann grüne und klassische FDP-Themen durchaus miteinander verschränken?
Nicht nur verschränken. Es entsteht etwas Zusätzliches. Das ist meistens besser. Das ist wie mit den gemischten Teams, von denen man mittlerweile weiß, dass sie die besseren Entscheidungen treffen. Das ist bei den politischen Haltungen auch so, weil sie eben die Gesellschaft widerspiegeln.
In der Schweiz gibt es auch Grüne und FDP. Sie lagen bei den Parlamentswahlen 2019 mit 13 und 15 Prozent Stimmenanteil deutlich vor Ihnen. Warum braucht es die Grünliberalen?
Die Grünliberalen haben bei den Parlamentswahlen 2019 mit einer Wachstumsrate von über 60 Prozent fast acht Prozent Stimmenanteil erreicht. Inzwischen liegen die Parteien vielerorts nicht mehr wirklich vor uns oder wir haben sie bereits überholt. Wir können immer häufiger Regierungspositionen einnehmen. Das führt zu erhöhter Stabilität und zeigt, dass es die Grünliberalen braucht. Keine andere Partei macht ein Angebot, wo das Zusammenspiel von Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Politik so präsent ist.
Und wie sieht Ihre weitere Entwicklung aus?
Das ist sicher der Ausbau der Führungsverantwortung, die wir in den Regierungen wahrnehmen können. Ein strategisches, großes Ziel. Wir sind jetzt in allen Kantonen außer einem präsent. Diese Basis ist nötig, um unseren Gestaltungsanspruch umzusetzen.
Liegen Ihre Stimmenzuwächse auch daran, dass sich gesellschaftliche Themen verändert haben, bestimmte wie der Klimawandel mehr in den Vordergrund gerückt sind?
Die Themenlage hat natürlich viel Einfluss auf die Wahlergebnisse. Aber bei den Wählenden kommt an, dass wir einen progressiven Ausblick auf die Gesellschaft bieten und die Chancen von Veränderungen aufzeigen. Der Wille nach Handlungsfreiheit und Erhalt der Innovationskraft für die künftigen Generationen ist in der Schweiz stark.
Das heißt?
Es braucht die verschiedenen Rollen in der Politik: die Themen und den Druck aus der Zivilgesellschaft und die Umsetzung durch die Wirtschaft. Dazwischen ist eben die Politik, und die muss immer wieder verhandeln und ringen, wie man diese Aufgaben, die Risiken und Kosten von öffentlichen Gütern verteilt. Das ist in der Schweiz vielleicht etwas ausgeprägter als in Deutschland. Die inhaltlich guten Lösungen entstehen dann, wenn nicht einfach gegenteilige Haltungen hin- und hergeschubst werden, sondern eine gemeinsam getragene Lösung erarbeitet wird.