Italien Bis hierher und nicht weiter

Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi verliert ein Referendum über die Vereinfachung des Politbetriebs – und tritt zurück. Das ist nicht der Untergang Italiens – aber ein (vielleicht letzter?) Warnschuss für die Gemeinschaft der Europäer.

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Der Ministerpräsident Italiens, Matteo Renzi, spricht am nach dem Referendum über eine Verfassungsreform im Palazzo Chigi in Rom. Quelle: dpa

Die Märkte reagieren also schon; um teilweise neun Prozent sank der Wert des Euro über Nacht an den asiatischen Börsen. Banker rumoren, nun werde es aber ganz, ganz kritisch mit den nach frischem Kapital lechzenden italienischen Banken. Und deutsche Politiker lassen sich zitieren, in Italien habe das Chaos über die Vernunft gewonnen, „ein Debakel“. Wer an diesem Tag eins nach der deutlichen Niederlage von Italiens sozialdemokratischem Ministerpräsidenten Matteo Renzi bei einem Referendum über die Änderung der Verfassung auf die internationalen Reaktionen schaut, fürchtet um ein Italien am Rande des Chaos. Das freilich kontrastiert seltsam mit der geschäftigen Routine, die in Rom schon kurz nach Beginn der Stimmauszählungen einsetzte: Renzi erklärte seinen Rücktritt; der Staatspräsident setzte für heute Nachmittag einen Termin zur Auflösung der Regierung an; in den Hinterzimmern der sozialdemokratischen Partei schälen sich erste Kandidaten für die Renzi-Nachfolge heraus. Und die lassen erahnen: Italien dürfte vor einigen unruhigen Wochen stehen, vor dem politischen Zusammenbruch aber steht das Land nicht. Womöglich fallen die inneritalienischen Schockwellen geringer aus als die europäischen.

Denn diese Wahl, die der einst als strahlender Reformer angetretene Renzi mit annähernd 40:60 Prozent bei einer Wahlbeteiligung von fast 70 Prozent so deutlich verlor, dürfte eine Zäsur in der Haltung des EU- und Eurogründungsmitglieds Italiens gegenüber den Europäern und dem Euro sein. Viele Italiener, das legen Stimmen wie Umfragen vor der Wahl nahe, haben nicht so sehr gegen die eigentlich im Referendum abgefragte Verfassungsreform gestimmt – im Gegenteil, eine Vereinfachung des politischen Betriebs, des teuersten Europas, befürworten viele Italiener – sondern gegen zwei sehr konkrete, größere Fragen: gegen die als harsch empfundenen Vorgaben an die eigene Politik aus Brüssel (und Berlin, wie viele Italiener sagen) und gegen das, was der deutsche Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) unlängst als „marktkonforme Demokratie“ bezeichnet hat, also ein Modell, dass Politik den scheinbar effizienten und schnellen Ansprüchen „der Märkte“ unterwirft.

Egal, wer nun mittelfristig die 66. italienische Nachkriegsregierung führen wird: An der Europa-Skepsis vieler Italiener wird er nicht vorbeikommen. Und die fühlen sich bei drei drängenden Themen von Europa im Stich gelassen: Obwohl die scheidende Renzi-Regierung in den Augen vieler Italiener schmerzvolle Reformen am Arbeitsmarkt, in der Steuerpolitik und bei der Liberalisierung von Märkten durchsetzte, wie Brüssel es forderte, bewegt sich das Wachstum kaum von der Nullgrenze weg – die meisten Italiener profitieren also nicht direkt von den Reformen.

„Nein“ zur italienischen Verfassungsreform: Stimmen und Reaktionen

Die Bankenrettung empfinden viele Italiener als von Nordeuropa diktiert: Nachdem Deutschland und Co ihre Banken im Zuge der Finanzkrise massiv staatlich unterstützen, änderten sie die Regeln und verboten Staatshilfe was nun die später in die Krise gerutschten italienischen Banken auszubaden hätten. In der Flüchtlingsfrage sehen viele Italiener die Kehrseite der Euro-Rettungs-Medaille: Während Nordeuropa in Sache Euro stetige Regeltreue fordere, lasse man Italien in der Flüchtlingsfrage allein; seit Schließung der Balkanroute ist das Land Hauptziel für Flüchtlinge aus Afrika, etwa 180.000 strandeten dieses Jahr schon in Italien und blieben dort, weil kein anderes europäisches Land sie aufnimmt.

Damit einher geht das zweite Motiv vieler Italiener, das schließlich eine Ablehnung in allen italienischen Regionen außer Trentino-Südtirol, Toskana und Emilia-Romagna der Renzi-Initiative bedeutet: Sie möchten ihre Demokratie nicht dem Diktat „der Märkte“ unterwerfen. Sie finden, Renzi habe auf Druck von Nordeuropäern und Finanzmarktteilnehmern den Staat Italien zu geschmeidig an die Ansprüche der Geldgeber anpassen wollen: durch die Stärkung des Regierungschefs, durch die quasi Entmachtung sämtlicher föderaler Gremien. „Wir können deswegen nicht zustimmen“, schrieb der Autor Marco Politi noch am Wochenende deswegen in einem offenen Brief an Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, der die Italiener vorher genau dazu ermahnt hatte.

Kein Sieg des „Populismus“

Auch wenn der Sturz des eigentlich so viel Hoffnung verbreitenden Premiers Renzi von außen wie ein Akt des Wahnsinns aussehen mag: So wahnsinnig ist der Schritt nicht. Deswegen tut auch Unrecht, wer das fünftgrößte Industrieland der Welt als drittes „Opfer“ des Rechtpopulismus nach entsprechenden Wahlergebnissen in Großbritannien und den USA sieht: Brexit, Trump, Italien? Der Dreiklang funktioniert nicht richtig. Denn in Italien wurde die Bewegung des „No“ nahezu ebenso stark von der linken wie von der rechten Seite des politischen Spektrums betrieben. Es waren nicht nur die Gaga-Populisten der Bewegung „Cinque Stelle“ um Komiker Beppe Grillo, die Renzi die Niederlage beibrachten, oder die Post-Faschisten von der Lega Nord sondern ebenso der linke Flügel von Renzis Sozialdemokraten selbst und große Teile des linksliberalen Bürgertums.

Und dennoch gilt es, an diesem Ergebnis nichts zu beschönigen. Nur, weil es rationale Gründe für das Nein der Italiener gibt, muss das Resultat kein schönes sein. Im Gegenteil: Italien, das so dringend einen wirtschaftlichen wie gesellschaftlichen Aufbruch bräuchte, stehen quälende Wochen wenn nicht Monate mit politischer Selbstbespielung bevor. Und für Europa wird es Zeit, sich die Sinnfrage zu stellen.

Und Europas Antwort?

Denn, anders als es der Luxemburger Außenminister Jean Asselborn etwa in einer erste Reaktion weißmachen wollte, stellen sich sehr wohl aus dem Ergebnis einige Frage an die europäische Gemeinschaft, die so gemeinschaftlich in diesen Wochen nicht scheint: Wie, etwa, will man die Bevölkerungen Südeuropas wieder von Sinn und Wert des Projektes überzeugen? Die Antwort darauf ist nicht unmöglich, muss aber gegeben werden. Und welche Zukunft hat ein Währungsregime, das im Norden des Kontinents als Weichwährung, im Süden des Kontinents aber als Hartwährung gesehen und von beiden Seiten deswegen bekämpft wird? Der bisherigen Mischung aus vertraglicher Härte (um Nordeuropa zu beruhigen) und realer Flexibilität (um Südeuropa zu beruhigen) scheint die Gemeinschaft jedenfalls in wenig gute Fahrwasser geführt zu haben.

Die Antwort, wie das zu lösen sein wird, müssen auch und vor allem die Nordeuropäer geben. Man braucht nicht viel Phantasie, um zu erahnen, dass ein erneuter Appell in Sachen Spardisziplin und „jetzt erst recht“ nicht reichen wird als Antwort. Zudem viele Südeuropäer eine Antwort für sich gefunden zu haben scheinen: Entweder raus aus dem Euro, wie es die Protestbewegungen fordern, oder den Euro und Europa nach eigenem Willen umgestalten. Denn, wie viele italienische Politiker gerade gerne zum Besten geben: „Wir Südeuropäer sind schließlich die Mehrheit in der Union.“ Das ist natürlich in gewisser Weise Quatsch. Aber eben Quatsch, dem man aus Brüsseler und Berliner Perspektive besser etwas entgegensetzt – bevor er endgültig als Wahrheit verfängt.

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