
Welche Auswirkungen das italienische Referendum für die Zukunft des Landes in der Euro-Zone hat, ist derzeit noch nicht absehbar. Die Märkte zeigten sich nach kurzen Schwankungen relativ unbeeindruckt, dass es eine italienische Regierung wieder nicht geschafft hat, das Land zu reformieren. Das Ergebnis der Volksbefragung war, wie es so schön heißt, bereits eingepreist worden.
Ein ähnlicher Trend könnte sich aus dem sogenannten Target-Saldo Italiens in den letzten Monaten herauslesen. Dieser Saldo misst die Zahlungsströme innerhalb der Euro-Zone. Länder, in die besonders viel Kapital aus dem europäischen Ausland hineinfließt, haben einen positiven Target-Saldo, so zum Beispiel Deutschland mit aktuell 754 Milliarden Euro. Wohingegen bei Ländern, aus denen viel Geld abgezogen wird, einen negativen Target-Saldo aufweisen. Aktuell hat Italien ein Target-Saldo-Defizit von rund 355 Milliarden Euro zu verbuchen. Das sind neue Rekordwerte, die über dem Allzeithoch während der Eurokrise liegen.
Doch die Europäische Zentralbank (EZB) hält diesen Anstieg für unproblematisch. Ihr Präsident Mario Draghi sagte, er sei nicht beunruhigt, es sei ein komplett anderes Phänomen als noch 2011 und 2012. Damals hatten viele Anleger ihre Geldanlagen in den Krisenländern sowie in Italien aufgelöst und stattdessen ihr Geld in ein nordeuropäisches Land überwiesen aus Angst, der Euro könnte auseinanderbrechen. Auch das EZB-Direktoriumsmitglied Peter Praet sieht den Anstieg der Target-Salden nicht als eine Folge einer Kapitalflucht aus den südeuropäischen Ländern. Vielmehr macht Praet das großangelegte Anleihekaufprogramm (Quantitative Easing) für den Anstieg der Target-Salden verantwortlich.
„Nein“ zur italienischen Verfassungsreform: Stimmen und Reaktionen
„Ich bin traurig, dass das Referendum in Italien nicht so ausgegangen ist, wie der Ministerpräsident sich das gewünscht hat. Denn ich habe seinen Reformkurs immer unterstützt. Aber das ist natürlich eine inneritalienische Entscheidung, die wir zu respektieren haben. (...) Aber ich habe immer sehr gut mit Matteo Renzi zusammengearbeitet.“
„Das ist bitter für Matteo Renzi und bitter für Italien. Ich hoffe, dass der eingeschlagene Weg der Modernisierung fortgesetzt wird. Denn vom Stillstand profitieren nur die Populisten.“
„Das ist ganz sicherlich kein positiver Beitrag in einer der schwierigsten europäischen Zeiten“. Renzi habe „das Richtige und Notwendige getan, aber er ist dafür von den Wählern nicht belohnt worden“.
Markus Söder (CSU) sprach von einem „Debakel für Renzi“. Der Wahlausgang in Italien zeige, „dass die Italiener nicht besonders reformwillig sind“, sagte Söder auf bild.de.
Bernd Riexinger begrüßte das Scheitern der Verfassungsreform. „Ministerpräsident Renzi wollte mit dem Referendum einen Demokratieabbau vorantreiben, um sein neoliberales Programm durchzusetzen.“
„Die Populisten stehen in den Startlöchern“, sagte Peter im Fernsehsender n-tv. Sie fürchte, dass dies Auswirkungen auf andere Länder habe. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) rief sie zur „Abkehr vom strikten Sparkurs“ auf.
Von Storch forderte eine Volksabstimmung auch in Deutschland. „Gratulation an die Italiener zu ihrem demokratischen Votum. Die Bürger müssen souverän und demokratisch entscheiden, ob sich Deutschland zukünftig weiter an der Rettung anderer Staaten wie Italien beteiligen und deren Schulden tragen soll.“
„Hier hat ein Regierungschef gezockt und verloren. Nach dem gescheiterten Referendum drohen dem Land spanische Verhältnisse“, sagte Lindner der dpa. „Mit größtem Respekt und in aller Freundschaft muss Deutschland unterstreichen, dass hausgemachte Wirtschaftskrisen nicht mit unserer Bonität gelöst werden können.“
"Die Niederlage Renzis ist kein Sieg der Europakritiker. Pro-europäische Kräfte haben sich sowohl für als auch gegen die Verfassungsreform ausgesprochen. Wer jetzt von einem 'Italexit' redet, hilft nur den Populisten in Italien, die das tatsächlich wollen."
„Damit nehmen die Risiken einer neuen politischen Instabilität für die wirtschaftliche Entwicklung, die Finanzmärkte und die Währungsunion weiter zu. Italien darf die Lösung seiner drängenden Probleme nicht aufschieben.“
Der SPD-Politiker Niels Annen hat Regierungschef Matteo Renzi für das Nein der Italiener zu weitreichenden Verfassungsreformen mitverantwortlich gemacht. „Die Verbindung zwischen seinem persönlichen politischen Schicksal und der Verfassungsreform ist sicherlich ein schwerer Fehler gewesen“, sagte Annen. Das Ergebnis sei eine „krachende Niederlage“ für Renzi. „Herr Renzi ist sehr selbstbewusst, manche sagen auch arrogant in diese Abstimmung hinein gegangen.“
Das Ergebnis der Abstimmung bedeute „weitere verlorene Zeit“, sagte DIW-Präsident Fratzscher nach Bekanntwerden des Referendums.
Laut Ifo-Präsident Clemens Fuest wird sich die wirtschaftliche Stagnation der drittgrößten Euro-Volkswirtschaft nach dem angekündigten Rücktritt von Regierungschef Matteo Renzi verlängern: „Die Wahrscheinlichkeit, dass Italien dauerhaft Mitglied der Eurozone bleibt, ist gesunken.“
Bundesbank-Präsident Jens Weidmann befürchtet nach dem klaren Nein im italienischen Verfassungsreferendum eine Verlangsamung der Reformen im Land. "Und das wäre nicht nur für Italien eine bedenkliche Entwicklung", warnte Weidmann am Montag auf einer Veranstaltung in München. Italien habe seit Jahren ein sehr schwaches Wachstum. Dazu komme eine sehr hohe Staatsverschuldung und große Bestände an faulen Krediten in den Bankbilanzen. "Umso wichtiger ist nun, dass die italienische Politik überzeugende Zeichen aussendet, die wirtschaftlichen Probleme an der Wurzel anzupacken."
Brzeski hält Sorgen vor einer neuen Eurokrise allerdings für übertrieben: „Gestürzte Regierungen in Italien sind nun wirklich nichts Neues, und Europa hat schon Vieles überlebt.“ Zwar sorge das Referendum für neue Unsicherheit. Möglicherweise liege in dem Nein aber auch eine Chance: „Eine technokratische Übergangsregierung kann die Probleme im Bankensektor und den erneuten Reformstau zusammen mit Europa rücksichtsloser angehen als die Regierung Renzi.“
Aus Sicht von Krämer hat Italien die Chance vertan, die politischen Voraussetzungen zur Lösung der wirtschaftlichen Probleme zu schaffen: „Italien bleibt ein Krisenkandidat.“
Kater schätzt, dass die europäischen Finanzmärkte auch eine weitere italienische Regierungskrise überstehen werden. „Allerdings bleibt Italien ein Langzeit-Patient mit Krisenpotenzial in der Eurozone“, schränkte er ein.
„Jetzt gibt es kein Wahlrecht für den Senat, vielleicht nicht mal eines für die Abgeordnetenkammer, es gibt keine Regierung. Der perfekte Gewittersturm, auf den alle gewartet haben, ist angekommen“, fasste die Zeitung „L'Espresso“ die Hinterlassenschaft Renzis zusammen.
Um das zu verstehen, muss man die Feinheiten des Eurosystems kennen. Die Geldpolitik entfällt nicht auf die EZB alleine, sondern wird durch die nationalen Zentralbanken der Euro-Zone gemeinsam durchgeführt. Für die Umsetzung ist jede Zentralbank in ihrem Land verantwortlich. Nach Darstellung der EZB sitzen viele Anleger, die in italienische Staatsanleihen investiert haben, nicht in Italien, sondern sind in nordeuropäischen Ländern beheimatet. So entsteht beim Ankauf durch die italienische Notenbank automatisch ein negativer Target-Saldo für die Banca d’Italia, da das Geld für den Ankauf auf ausländisches Konto überwiesen werden muss.
Ist der Verweis auf die wachsenden Target-Ungleichgewichte also nur Panikmache hinter der kein Grund zur Besorgnis steht? Diese Argumentation teilt der Osnabrücker Professor Frank Westermann nicht. Für ihn ist der Anstieg der Target-Salden in den letzten Monaten nur eine andere Form der Kapitalflucht. „Der von der EZB beschriebene Erklärungsansatz für den Anstieg der Target-Salden ist nur ein Erstrundeneffekt. Depositen sind in der Euro-Zone flexibel. Anleger wollen sich versichern und legen deshalb ihr Geld nach dem Verkauf der italienischen Staatsanleihen in werthaltige Assets in nordeuropäische Ländern wie Aktien, Anleihen, Immobilien oder Sichteinlagen an. Somit ist es doch eine Kapitalflucht und zwar aus der Anlageform der italienischen Staatsanleihen“, sagt Westermann.
Interessanterweise nennt auch die niederländische Zentralbank, die ebenfalls einen Zufluss an Kapital aus dem europäischen Ausland erfahren hat, nicht allein das Anleihekaufprogramm als Grund für die wachsenden Target-Ungleichgewichte. Zwar spiegle der aktuelle Anstieg keine wachsende Marktanspannung wider. Zur gleichen Zeit signalisiere der Anstieg jedoch auch, dass die Risikowahrnehmung in der Euro-Zone sich ebenfalls nicht normalisiert habe.