Nach der überraschend klaren Referendums-Niederlage des italienischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi und seiner Rücktritts-Ankündigung gibt es einen vorläufigen Fahrplan. Staatspräsident Sergio Mattarella bat den Regierungschef am Montagabend, seinen Rücktritt aufzuschieben. Doch wie es danach in dem hoch verschuldeten Land weitergeht, bleibt völlig unklar - und könnte für neue Unsicherheiten sorgen.
Mattarella und Renzi hatten sich am Montagabend im Präsidentenpalast in Rom getroffen. Renzi verzichtete auf einen sofortigen Rücktritt, um auf Bitten des Präsidenten das Haushaltsgesetz für 2017 noch durchs Parlament zu bringen. Es muss bis Ende Dezember verabschiedet werden. Das Gesetz wurde am 28. November von der Abgeordnetenkammer gebilligt, muss aber noch durch den Senat. Laut Medienberichten könnte dies bereits Ende der Woche geschehen - dann stünde Renzis Rücktritt im Grunde nichts mehr im Wege.
Möglicherweise setzt Mattarella dann eine Übergangsregierung ein, die bis zum Ende der Legislaturperiode im Frühjahr 2018 halten soll. Er könnte aber auch Neuwahlen im Frühjahr oder Sommer 2017 ansetzen. Innenminister Angelino Alfano sagte am Montagabend in einer Fernsehsendung, aus seiner Sicht seien Neuwahlen auch schon im Februar möglich. Einfach wäre das nicht: Um Wahlen abzuhalten, müsste erst das komplizierte Wahlrecht neu gefasst werden.
Sollte sich Mattarella für eine Übergangsregierung entscheiden, könnte seine Wahl etwa auf Finanzminister Pier Carlo Padoan als deren Anführer fallen. Im Gespräch für Renzis Nachfolge sind auch Senatspräsident Pietro Grasso und Verkehrsminister Graziano Delrio.
In Rom müsse es dringend eine handlungsfähige Regierung geben, sagte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) am Montag bei einem Treffen der Euro-Finanzminister in Brüssel. Denn auch wenn die befürchtete Panik auf den Finanzmärkten nach dem „Nein“ im Referendum zunächst ausblieb, löste Renzis Niederlage europaweit Sorgen aus.
„Wir müssen befürchten, dass eine Regierung ins Amt kommt, die Italien dann aus dem Euro herausführt, weil die Italiener keine Perspektive innerhalb der Einheitswährung mehr sehen“, sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest der „Passauer Neuen Presse“ (Dienstag). Es sei damit zu rechnen, dass der Euro unter Druck gerate, sagte er den „Stuttgarter Nachrichten“ und der „Stuttgarter Zeitung“.
„Nein“ zur italienischen Verfassungsreform: Stimmen und Reaktionen
„Ich bin traurig, dass das Referendum in Italien nicht so ausgegangen ist, wie der Ministerpräsident sich das gewünscht hat. Denn ich habe seinen Reformkurs immer unterstützt. Aber das ist natürlich eine inneritalienische Entscheidung, die wir zu respektieren haben. (...) Aber ich habe immer sehr gut mit Matteo Renzi zusammengearbeitet.“
„Das ist bitter für Matteo Renzi und bitter für Italien. Ich hoffe, dass der eingeschlagene Weg der Modernisierung fortgesetzt wird. Denn vom Stillstand profitieren nur die Populisten.“
„Das ist ganz sicherlich kein positiver Beitrag in einer der schwierigsten europäischen Zeiten“. Renzi habe „das Richtige und Notwendige getan, aber er ist dafür von den Wählern nicht belohnt worden“.
Markus Söder (CSU) sprach von einem „Debakel für Renzi“. Der Wahlausgang in Italien zeige, „dass die Italiener nicht besonders reformwillig sind“, sagte Söder auf bild.de.
Bernd Riexinger begrüßte das Scheitern der Verfassungsreform. „Ministerpräsident Renzi wollte mit dem Referendum einen Demokratieabbau vorantreiben, um sein neoliberales Programm durchzusetzen.“
„Die Populisten stehen in den Startlöchern“, sagte Peter im Fernsehsender n-tv. Sie fürchte, dass dies Auswirkungen auf andere Länder habe. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) rief sie zur „Abkehr vom strikten Sparkurs“ auf.
Von Storch forderte eine Volksabstimmung auch in Deutschland. „Gratulation an die Italiener zu ihrem demokratischen Votum. Die Bürger müssen souverän und demokratisch entscheiden, ob sich Deutschland zukünftig weiter an der Rettung anderer Staaten wie Italien beteiligen und deren Schulden tragen soll.“
„Hier hat ein Regierungschef gezockt und verloren. Nach dem gescheiterten Referendum drohen dem Land spanische Verhältnisse“, sagte Lindner der dpa. „Mit größtem Respekt und in aller Freundschaft muss Deutschland unterstreichen, dass hausgemachte Wirtschaftskrisen nicht mit unserer Bonität gelöst werden können.“
"Die Niederlage Renzis ist kein Sieg der Europakritiker. Pro-europäische Kräfte haben sich sowohl für als auch gegen die Verfassungsreform ausgesprochen. Wer jetzt von einem 'Italexit' redet, hilft nur den Populisten in Italien, die das tatsächlich wollen."
„Damit nehmen die Risiken einer neuen politischen Instabilität für die wirtschaftliche Entwicklung, die Finanzmärkte und die Währungsunion weiter zu. Italien darf die Lösung seiner drängenden Probleme nicht aufschieben.“
Der SPD-Politiker Niels Annen hat Regierungschef Matteo Renzi für das Nein der Italiener zu weitreichenden Verfassungsreformen mitverantwortlich gemacht. „Die Verbindung zwischen seinem persönlichen politischen Schicksal und der Verfassungsreform ist sicherlich ein schwerer Fehler gewesen“, sagte Annen. Das Ergebnis sei eine „krachende Niederlage“ für Renzi. „Herr Renzi ist sehr selbstbewusst, manche sagen auch arrogant in diese Abstimmung hinein gegangen.“
Das Ergebnis der Abstimmung bedeute „weitere verlorene Zeit“, sagte DIW-Präsident Fratzscher nach Bekanntwerden des Referendums.
Laut Ifo-Präsident Clemens Fuest wird sich die wirtschaftliche Stagnation der drittgrößten Euro-Volkswirtschaft nach dem angekündigten Rücktritt von Regierungschef Matteo Renzi verlängern: „Die Wahrscheinlichkeit, dass Italien dauerhaft Mitglied der Eurozone bleibt, ist gesunken.“
Bundesbank-Präsident Jens Weidmann befürchtet nach dem klaren Nein im italienischen Verfassungsreferendum eine Verlangsamung der Reformen im Land. "Und das wäre nicht nur für Italien eine bedenkliche Entwicklung", warnte Weidmann am Montag auf einer Veranstaltung in München. Italien habe seit Jahren ein sehr schwaches Wachstum. Dazu komme eine sehr hohe Staatsverschuldung und große Bestände an faulen Krediten in den Bankbilanzen. "Umso wichtiger ist nun, dass die italienische Politik überzeugende Zeichen aussendet, die wirtschaftlichen Probleme an der Wurzel anzupacken."
Brzeski hält Sorgen vor einer neuen Eurokrise allerdings für übertrieben: „Gestürzte Regierungen in Italien sind nun wirklich nichts Neues, und Europa hat schon Vieles überlebt.“ Zwar sorge das Referendum für neue Unsicherheit. Möglicherweise liege in dem Nein aber auch eine Chance: „Eine technokratische Übergangsregierung kann die Probleme im Bankensektor und den erneuten Reformstau zusammen mit Europa rücksichtsloser angehen als die Regierung Renzi.“
Aus Sicht von Krämer hat Italien die Chance vertan, die politischen Voraussetzungen zur Lösung der wirtschaftlichen Probleme zu schaffen: „Italien bleibt ein Krisenkandidat.“
Kater schätzt, dass die europäischen Finanzmärkte auch eine weitere italienische Regierungskrise überstehen werden. „Allerdings bleibt Italien ein Langzeit-Patient mit Krisenpotenzial in der Eurozone“, schränkte er ein.
„Jetzt gibt es kein Wahlrecht für den Senat, vielleicht nicht mal eines für die Abgeordnetenkammer, es gibt keine Regierung. Der perfekte Gewittersturm, auf den alle gewartet haben, ist angekommen“, fasste die Zeitung „L'Espresso“ die Hinterlassenschaft Renzis zusammen.
Gelassener zeigte sich Italiens Ex-Ministerpräsident Mario Monti. „Ich sehe nicht, dass das Referendum Risiken für die Eurozone herbeiführen wird“, sagte er der „Bild“-Zeitung (Dienstag). Die Niederlage von Renzi müsse auch „nicht als Sieg des Populismus“ oder Votum gegen die EU gewertet werden, zumal sich der Sozialdemokrat selbst zunehmend populistisch geäußert und „die EU und Deutschland insbesondere häufig lächerlich gemacht und schlecht geredet“ habe.
Gut 59 Prozent der Wahlberechtigten hatten am Sonntag gegen die Verfassungsreform von Renzi abgestimmt, die unter anderem eine Verkleinerung und Entmachtung des Senats vorsah. Die Opposition aus eurokritischer Fünf-Sterne-Bewegung und ausländerfeindlicher Lega Nord feierte sich als Sieger und verlangte rasche Neuwahlen.
„Es wäre zu voreilig, aus dem Ergebnis zu schließen, dass Italien zukünftig automatisch einen anti-europäischen Kurs einschlagen wird“, sagte die Direktorin der Konrad-Adenauer-Stiftung in Rom, Caroline Kanter, der dpa. Die Ablehnung Renzis und seines Reformvorhabens bedeute auch nicht zwingend, dass Italiens nächster Regierungschef ein Anti-Europäer sein werde.
Für Ruhe in turbulenten Zeiten muss nun Mattarella sorgen, indem er das Land durch die Regierungskrise führt. Er dürfte Renzis sofortigen Rücktritt wohl kaum abgelehnt haben, um die Hängepartie zu verlängern - sondern eher, um ein beruhigendes Signal zu senden.