Italien-Schreck lass nach Europas schillerndste Regierung im Wirtschafts-Check

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Reformen: Viel Show, wenig Substanz

Premierminister Conte ist eindeutig: „Meine Regierung arbeitet an Strukturreformen, um die Wettbewerbsfähigkeit der italienischen Wirtschaft zu stärken.“ In der Tat ist es nicht so, dass die Regierung völlig untätig geblieben ist an der Stelle – auch wenn den italienischen Wirtschaftsverbänden nicht alles gefällt. Als Kernstück der bisherigen Regierungsarbeit gilt ein Gesetz mit dem Titel „Würde“, das vor allem die „Fünf Sterne“ im Wahlkampf versprochen hatten.

Damit wurde vor allem die Befristung von Arbeitsverträgen eingeschränkt. Das Gesetz ist in der Bevölkerung sehr beliebt, wird von der Wirtschaft aber vehement kritisiert. Von 200.000 bedrohten Arbeitsplätzen ist die Rede. Beim Wähler kommt das alles dennoch gut an. Würde jetzt gewählt, käme die Regierung auf etwa 60 Prozent – etwa 30 Prozent für die „Fünf Sterne“ und dramatische 32 für die Lega (womit sich das Kräfteverhältnis gedreht hätte, die Lega kam bei der vergangenen Wahl auf 17 Prozent).

Weniger schnell voran geht die Steuerreform, mit der die vor allem im mittelständisch geprägten Nordost-Italien erfolgreiche Lega Wahlkampf gemacht hatte. Salvini fordert noch immer eine Flat-Tax, also einen Einheitssteuersatz auf alles – am liebsten bei 15 Prozent. Das Vorhaben ist allerdings zunächst aufgeschoben, weil es als unfinanzierbar gilt. Eingeführt wird dagegen eine Art soziale Grundsicherung im nächsten Jahr, die es so bisher in Italien nicht gibt.

Die neue italienische Regierung ist sich nach eigenen Angaben darüber einig, die Staatsfinanzen stabil zu halten und im kommenden Jahr die Schulden zu senken.

Unbearbeitet bleiben zudem viele Dauer-Baustellen der italienischen Wirtschaft: Schrumpfende Geburtenrate, Bürokratie, schlechte Infrastruktur, jahrelange Gerichtsverfahren und ein im EU-Vergleich unterdurchschnittliches Wirtschaftswachstum. Die Arbeitslosigkeit liegt immer noch bei mehr als zehn Prozent. All das hat die Regierung bisher weitgehend ignoriert: „Der internationale Aufschwung und ein paar Maßnahmen der vorherigen Regierungen haben den Enthusiasmus einiger Unternehmer wieder entfacht“, sagt Giulio Pedrollo vom Industrieverband Confindustria. „Aber das, was seit dem Frühjahr vor sich geht, hat diesen Enthusiasmus wieder eingefroren.“

Industriepolitik: Mehr Staat – aber nur ein bisschen

Die klaffende Lücke zwischen zwei Enden einer Autobahnbrücke über der nordwestitalienischen Stadt Genua ist das wohl prägendste Bild der bisherigen Regierungszeit. Und auch das steht symbolisch für die Art der neuen Regierung, Politik zu machen: Große Schritte laut anzukündigen, dann aber eher pragmatisch kleine zu gehen.

Die bunte ideologische Mischung in der neuen italienischen Regierung lässt sich auf drei Prämissen verdichten: eine schlanke Bürokratie, keine Angst vor hohen Schulden und den Glauben an die Verhaltensökonomie.
von Sven Prange

Unmittelbar nach dem Einsturz der Brücke forderten beide Vize-Premiers die Rückverstaatlichung der Gesellschaft, die die entsprechende Autobahn betreibt. Die gehört seit den 90ern der Industriellen-Familie Benetton. In der Tat haben die Eigner der Autostrade per l’Italia in den vergangenen Jahren einen obszön hohen Anteil der Gewinne aus den Mauteinnahmen für sich abgezweigt und nicht in den Unterhalt re-investiert. Allerdings ist längst nicht bewiesen, dass das der Grund für den Einsturz war. Und überhaupt hat sich die Einsicht durchgesetzt mittlerweile, dass eine Rückverstaatlichung nicht ohne weiteres kurzfristig umzusetzen ist. Also deutet sich ein Kompromiss an: Der Staat baut die Brücke wieder auf, Autostrade per l’Italia zahlt – und wer genau die Autobahnen langfristig betreibt, wird später geklärt.

Ähnlich läuft es bei anderen großen Industrieprojekte: Die insolvente Fluggesellschaft Alitalia möchten die „Fünf Sterne“ am liebsten verstaatlichen. Die Lega möchte sie an Private verkaufen. Deswegen tut sich zunächst: Nichts. Das Unternehmen wird mit immer neuen Interims-Subventionen des Staats durchgeschleppt. Die neue Schnellzugtrasse zwischen Lyon und Turin? Gleiche Ausgangslage, gleiche „Lösung“ bisher: das Thema wird aufgeschoben. So hat sich diese sehr ungleiche Regierung bisher durchlaviert, dabei ökonomisch wenig zerstört und wenig gelöst.

Nur in Sachen Ilva wird diese Hinhalte-Strategie nun an ihr Ende gelangen: eine Entscheidung muss her, weil mit Mittal ein Privater beteiligt ist, der ein weiteres Hinauszögern nicht hinnehmen will und kann. Es wird der Auftakt in Phase zwei dieser Regierung sein.

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