Italien vor der Wahl Das Berlusconi-Prinzip

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„Berlusconi Presidente“

Die Nummer mit den Tieren dient derweil nicht nur schönen Ansichten, sondern auch handfestem Kalkül: Italiener begeistern sich seit einigen Jahren in ungekanntem Ausmaß für Haustiere. Vor allem Hunde bevölkern mittlerweile die Großstädte in einer Zahl, dass manche Stadtverwaltung schon vor den Folgeproblemen kapituliert. Aber auch insgesamt stieg die Tierliebe so sehr, dass Berlusconi in ihr zuverlässiges Wählerpotenzial erblickte. Die fünf Lämmer von Beginn seines jüngsten politischen Comebacks waren denn auch nicht irgendwelche Lämmer: Sondern Osterlämmer, die Berlusconi – sich flugs zum Teilzeit-Vegetarier erklärend – vor der Schlachtung rettete.

2. Besetze eine Marktlücke

Womit Berlusconis zweite Erfolgsregel beschrieben wäre: Wie im Marketing seiner Unternehmen lässt Berlusconi auch sein politisches Engagement von jeher demoskopisch mit ungeheurem Aufwand begleiten. Schon ganz am Anfang seiner politischen Laufbahn ließ er sich von einem Werber und einem Marktforscher seine Kampagne maßschneidern, sich selbst quasi neu erfinden. Bis heute lässt Berlusconi auf diese Art ständig nach politischen Marktlücken suchen und beutet diese gezielt aus. Der Nummer mit den Osterlämmern etwa folgte Unterstützung zur Gründung einer Tierrechts-Bewegung, die heute wiederum Wähler für Berlusconi mobilisiert.

So setzt sich Berlusconi Stück für Stück sein Wahlprogramm zusammen. Wenn in der italienischen Bevölkerung die Angst vor Flüchtlingen steigt, schlägt Berlusconi härtere Maßnahmen gegen Flüchtlinge vor. Unabhängig davon, dass die Zahl der über das Mittelmeer neu ankommenden Flüchtlinge dank einiger Abkommen der amtierenden Mitte-Links-Regierung mit Anrainerstaaten auf Rekord-Tief ist. Schließlich, sagt Berlusconi, erlebe man „eine soziale Bombe, die jederzeit explodieren kann."

Kommen Forderungen nach mehr Kaufkraft für Italiens Familien auf, denkt sich Berlusconi eine Flat-Tax-Steuer von 20 Prozent für alle aus. Wittert er in der Bevölkerung eine Mehrheit gegen den Euro und sieht, dass keine andere Partei diese aufnimmt, ist er auch gegen den Euro. Merkt er, dass die Stimmung sich wieder dreht oder andere Parteien die Klientel besser abschöpfen als er, ist er wieder für den Euro. Wie derzeit. Und fragt der Markt den Typen Berlusconi, bedient er auch das: Auf den Wahlplakaten seiner Forza Italia steht „Berlusconi Presidente“. So, als ob er wirklich zur Wahl stände.

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„Berlusconi“, sagt ein Mailänder Manager, „handelt immer nach dem Motto: Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler. Das macht ihn auf eine Art politisch willkürlich. Man weiß aber auch, dass er sich nie zu weit von der Mitte entfernt.“ Tatsächlich findet sich kaum jemand in Italiens Politik und Wirtschaft, der Berlusconi nach diesen Wahlen als Wegbereiter für Extremisten sieht. Im Gegenteil: Vielen ist der vulgäre Mann, in dessen Villa bei Arcore einst schmuddelige Sex-Festspiele stattfanden, peinlich. Aber was nahezu alle, die ihm jemals näherkamen, sagen: Man darf seine Schwäche für vulgäre Inszenierungen nicht mit Dumpfheit oder Planlosigkeit verwechseln.

Im Gegenteil: Anders als etwa US-Präsident Donald Trump wird Berlusconi als jemand beschrieben, der zwar ruchlos sämtliche Positionen wechselt, am Ende aber rational seine Ziele verfolgt. Das Problem: Meist sind es recht egoistische. Als ausgeschlossen gilt deswegen, dass Berlusconi als starker Parteichef hinter einem möglichen Mitte-Rechts-Ministerpräsidenten, den Euro-Austritt Italiens befeuern könnte. Die Marktlücke dafür ist in der italienischen Gesellschaft derzeit zu gering.

3. Bilde Bündnisse, keine Glaubensgemeinschaften

Es ist ein Bündnis des Schreckens für viele Beobachter: Berlusconi tritt bei den Wahlen zusammen mit der offen fremdenfeindlichen Lega Nord und den Neonazis von den Fratelli d’Italia an. Das ist natürlich beunruhigend, darf allerdings auch nicht zu ernst genommen werden. Berlusconi hat noch immer nach dem Motto gehandelt: Am Ende bin ich mir selbst der nächste. Bündnisse geht er mit allen möglichen Kandidaten ein, die ihm beim Vorankommen helfen.

Deswegen rechnen die meisten Beobachter auch mit einer Auflösung des dubiosen Rechtsbündnisses nach den Wahlen. Berlusconi bildet seine politischen Bündnisse, wie Unternehmen sich Kooperationspartner suchen: Man arbeitet zusammen, um ein konkretes Problem zu lösen und geht danach wieder auseinander. Das konkrete Problem, dass seine Forza Italia mit rechten Partnern lösen will: Die rechte Flanke im Wahlkampf schließen.

Ist das gelungen, heißt das nächste Problem: Wie bildet man eine Regierung? Und da könnte der sozialdemokratische Partito Democratico der bessere Partner sein. Eine solche große Koalition gilt als eines der wahrscheinlicheren Szenarien. Dort soll dann der aktuelle Europaparlamentspräsident Antonio Tajani Regierungschef werden. „Nach meinem Bann 2019 könnte ich das aber auch wieder machen“, sagte Berlusconi gerade.

Aber auch eine dritte Variante gilt als denkbar: Berlusconi arrangiert sich für eine Große Koalition mit dem amtierenden Ministerpräsidenten Paolo Gentiloni von den Sozialdemokraten, den Berlusconi eher schätzt. Mit einem Rechtsaußen-Bündnis in den Wahlkampf ziehen, um mit Mitte-Links eine Regierung zu bilden. Das müsste Berlusconi erstmal jemand nachmachen.

Erklären aber, daran besteht kaum ein Zweifel, könnte er es seinen Wählern.

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