




Auf die mächtigste Frau Italiens blickt ein wuchtiger Männerkopf herab. Es ist das Porträt des ersten Gewerkschaftschefs der CGIL nach dem Faschismus, Giuseppe Di Vittorio. Der hätte es allerdings gehasst, als Ölbild über dem Schreibtisch von Susanna Camusso zu hängen. Denn das Werk des Malers Carlo Levi hatte in seinen Augen einen ehrenrührigen Makel: Es zeigte den kommunistischen Gewerkschafter ohne Krawatte. Der Künstler musste noch mal ran – und nahm Rache. Er porträtierte Di Vittorio so hässlich, wie es ihm möglich war, die Augen quollen hervor wie bei einer Kröte. Aber die Krawatte saß tadellos. Erst nach seinem Tod förderten die Genossen das ursprüngliche Porträt wieder zutage.
Welche Reformen Monti in Italien angepackt hat
Die Regierung hat eine Schuldenbremse auf den Weg gebracht. Ab 2014 soll sie für ausgeglichene Haushalte sorgen. Um das zu schaffen, wurde ein Sparpaket geschnürt. Es soll bis 2014 insgesamt rund 26 Milliarden Euro bringen.
Um den Haushalt zu sanieren, will der Staat mehr Geld eintreiben. Die Mehrwertsteuer wurde bereits von 20 auf 21 Prozent angehoben. 2013 soll sie auf 23 Prozent hochgeschraubt werden. Zahlreiche Steuererleichterungen wurden abgeschafft, während mit Obergrenzen für Bartransaktionen die Steuerflucht bekämpft werden soll. Besitzer von Jachten, Privatflugzeugen und Autos mit großem Hubraum müssen eine Luxussteuer entrichten. Wer mehr als 300.000 Euro im Jahr verdient, muss eine Solidaritätsabgabe von drei Prozent leisten. Auch die Immobiliensteuer wurde wieder eingeführt, die allein fast zehn Milliarden Euro in die Staatskasse spülen soll. Privatisierungen sollen 15 Milliarden Euro erlösen - etwa der Verkauf von Flughäfen, Netzbetreibern, Rückversicherungs- und Infrastrukturgesellschaften sowie Staatsimmobilien.
Allein durch die Kürzung von Urlaubstagen und Urlaubsgeld sowie bei Essensgutscheinen sollen im öffentlichen Dienst rund sieben Milliarden Euro gespart werden. Dort soll jede fünfte Leitungsstelle und jede zehnte in den unteren Gehaltsgruppen wegfallen. Der Rotstift regiert auch im Gesundheitswesen und bei Zivilgerichten. Regierungschef Monti leistet ebenfalls einen kleinen Beitrag: Er verzichtet auf sein Gehalt.
Um die chronisch schwache Konjunktur anzukurbeln, hat die Monti-Regierung zahlreiche Arbeitsmarktreformen in Angriff genommen. Festangestellte in privaten Unternehmen können leichter gekündigt werden. Das Klageverfahren auf Kündigungsschutz wurde verkürzt, Abfindungen gedeckelt. Unternehmen können neue Mitarbeiter ohne Angabe von Gründen befristet einstellen. Liberalisiert wird auch der Einzelhandel, wo es längere Ladenöffnungszeiten gibt. Kommunale Dienstleister erhalten weniger Rechte, um die Konkurrenz mit privaten Anbietern zu erhöhen. Zudem müssen die Italiener künftig länger arbeiten: Männer bis 66 Jahre, Frauen ab 2018 ebenfalls. Die Frühverrentung wird eingeschränkt.
Die Staatsfinanzen sehen nicht so schlecht aus, wie die hohen Risikoaufschläge für italienische Anleihen vermuten lassen: Der sogenannte Primärhaushalt - bei dem Zinszahlungen ausgeklammert werden - weißt einen Überschuss aus. Nach Prognose der EU-Kommission wird die Neuverschuldung sowohl 2013 als auch 2014 unter der in den EU-Verträgen festgelegten Drei-Prozent-Hürde liegen. Außerdem exportiert das Land inzwischen wieder mehr als es importiert. Der Überschuss in der Handelsbilanz lag im von Januar bis September bei 4,1 Milliarden Euro, während sie ein Jahr zuvor noch ein Defizit von 23,1 Milliarden Euro auswies. Der Außenhandel dämpft damit den Abschwung, der auf die wegen zahlreicher Steuererhöhungen schwächelnde Binnennachfrage zurückgeht.
Es sind Geschichten wie aus einer anderen Welt, als es in Italien noch die stärkste kommunistische Partei des Westens gab und die mit ihr verbündete CGIL den Klassenkampf und nicht etwa Tarifkonflikte austrug.
Susanna Camusso, 57 Jahre alt und seit etwas mehr als zwei Jahren an der Spitze der mit mehr als 5,5 Millionen Mitgliedern größten italienischen Gewerkschaft, ist parteilos. Sie kann bei Demonstrationen röhren wie eine Propagandistin, aber im Interview ist sie sanft und spricht so leise, dass man die Ohren spitzen muss, um sie zu verstehen; wenn auf ihrem iPhone ein Anruf eingeht, ertönt Bob Dylans Blowin’ in the Wind.
Nach eigener Einschätzung hat Camussos Büro einen der schönsten Ausblicke Roms, vom großen Fenster am Schreibtisch sieht man den sonnendurchfluteten Pinienpark der Villa Borghese. Während des Interviews greift Susanna Camusso immer wieder zur Zigarette. Gibt es bei den italienischen Gewerkschaften etwa kein Rauchverbot? Doch, sagt Susanna Camusso und lacht, »aber das hier ist ein Privatbüro«.
DIE ZEIT: Signora Camusso, wer ist heute der größte Feind der Arbeiter und kleinen Angestellten in Italien?
Susanna Camusso: Die Arbeitslosigkeit! Wir reden über ein Land, in dem sich seit drei, vier Jahren nichts mehr bewegt, in dem die Arbeitslosigkeit wächst, vor allem unter den jungen Leuten, die deshalb ein kollektives Schuldgefühl mit sich herumschleppen. Aber Schuldgefühle machen die Sache noch schlimmer.





Offiziell liegt die Quote der Jugendarbeitslosigkeit bei 36 Prozent.
Ja, aber in Wirklichkeit ist die Zahl höher. Menschen, die die Jobsuche längst aufgegeben haben, tauchen zum Beispiel gar nicht in der Statistik auf, das gilt vor allem für Frauen und Süditaliener. Inzwischen machen viele Menschen kein Hehl mehr daraus, dass sie resigniert haben. Gleichzeitig wächst die Schattenwirtschaft.