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Italiens Gewerkschaftschefin Susanna Camusso "Monti hat alles falsch gemacht"

Susanna Camusso führt die größte Gewerkschaft Italiens an und gilt als ärgste Gegnerin des Regierungschefs. Im Interview rechnet sie mit ihm ab.

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Was Sie über Italien wissen sollten
Griechen, Römer, katholische Kirche und die Renaissance: Italien ist das Land mit den meisten Denkmälern, die unter dem  Schutz der Unesco stehen. 47 nationale Monumente listet die Unesco derzeit auf. Mit dabei: der griechische Juno-Tempel von Agrigent, Sizilien. Quelle: AP
Italien hat mehrere aktive Vulkane. Der Ätna (im Bild), der Vesuv und der Stromboli sind in den vergangenen 100 Jahren mehrmals ausgebrochen. Das Naturschauspiel wandelt sich schnell zur Naturkatastrophe - Erdbeben und Vulkane fordern stets zahlreiche Menschenleben. Quelle: dapd
Italien - ein Land mit den Gebirgsketten Alpen und Apenninen und 60 Millionen Einwohnern. Da bleibt nicht viel übrig für die Landwirtschaft. Lediglich ein Drittel der Landesfläche kann dafür genutzt werden. Trotzdem gehört das Mittelmeerland zu einem der weltweit größten Exporteure für Kiwifrüchte. Außerdem baut das Land erfolgreich Wein und Olivenöl an - weitere Exportschlager.
"Liebe geht durch den Magen." Wenn das stimmt, dann kann man Italien einfach nur lieben. Olivenöl und Rotwein bilden die Basis der mediterranen Küche. In Neapel wurde im 18. Jahrhundert die Pizza populär. Und die Liebe zur Pasta ist keine Erfindung der Werbebranche: Pasta verspeisen Italiener in rauen Mengen - bis zu 25 Kilogramm pro Jahr und Kopf. Weil die Italiener ihr Essen lieben, mögen sie es gar nicht, wenn ihre kulinarischen Errungenschaften verhunzt werden. Hähnchen und Barbacue-Sauce auf der Pizza oder sogar die Variante Hawaii gelten in Italien als "deutsche Unsitte".
Der Hang, hierzulande italienische Dinge zu übernehmen, hat Tradition. 1861 wurde Italien als Nationalstaat gegründet, Deutschland unternahm den gleichen Schritt zehn Jahre später 1871. Die Faschisten marschierten unter Mussolini 1922 auf Rom, 1933 kamen die Nazis in Berlin an die Macht. Anfang der 1990er Jahre schaffte sich die bis dann am längsten regierende Partei Democrazia Cristiana ab. Ein Vorzeichen für die Union? Quelle: dpa
Auch das Marschieren hat Tradition. Als Rom noch eine Weltmacht war: Die Legionen aus der iberischen Stiefelhalbinsel marschierten auf der Höhe des römischen Imperiums im Jahr 117 von Portugal bis nach Syrien. 120 Millionen Menschen lebten in den Grenzen des Imperiums.
Italien hat einige bedeutende Entdecker und Abenteurer hervorgebracht. Marco Polo ging zu Fuß nach China und brachte Gewürze zurück. Im Dienste der spanischen Krone überquerte Christoph Kolumbus mit drei kleinen Karavellen den Atlantik - und entdeckte Amerika und die Neue Welt. Im Bild: Touristen betrachten Christoph Kolumbus' Grabmahl, in dem sich die sterblichen Überreste des Abenteurers befinden sollen, in Kathedrale von Sevilla, Spanien. Quelle: AP

Auf die mächtigste Frau Italiens blickt ein wuchtiger Männerkopf herab. Es ist das Porträt des ersten Gewerkschaftschefs der CGIL nach dem Faschismus, Giuseppe Di Vittorio. Der hätte es allerdings gehasst, als Ölbild über dem Schreibtisch von Susanna Camusso zu hängen. Denn das Werk des Malers Carlo Levi hatte in seinen Augen einen ehrenrührigen Makel: Es zeigte den kommunistischen Gewerkschafter ohne Krawatte. Der Künstler musste noch mal ran – und nahm Rache. Er porträtierte Di Vittorio so hässlich, wie es ihm möglich war, die Augen quollen hervor wie bei einer Kröte. Aber die Krawatte saß tadellos. Erst nach seinem Tod förderten die Genossen das ursprüngliche Porträt wieder zutage.

Welche Reformen Monti in Italien angepackt hat

Es sind Geschichten wie aus einer anderen Welt, als es in Italien noch die stärkste kommunistische Partei des Westens gab und die mit ihr verbündete CGIL den Klassenkampf und nicht etwa Tarifkonflikte austrug.

Susanna Camusso, 57 Jahre alt und seit etwas mehr als zwei Jahren an der Spitze der mit mehr als 5,5 Millionen Mitgliedern größten italienischen Gewerkschaft, ist parteilos. Sie kann bei Demonstrationen röhren wie eine Propagandistin, aber im Interview ist sie sanft und spricht so leise, dass man die Ohren spitzen muss, um sie zu verstehen; wenn auf ihrem iPhone ein Anruf eingeht, ertönt Bob Dylans Blowin’ in the Wind.

Nach eigener Einschätzung hat Camussos Büro einen der schönsten Ausblicke Roms, vom großen Fenster am Schreibtisch sieht man den sonnendurchfluteten Pinienpark der Villa Borghese. Während des Interviews greift Susanna Camusso immer wieder zur Zigarette. Gibt es bei den italienischen Gewerkschaften etwa kein Rauchverbot? Doch, sagt Susanna Camusso und lacht, »aber das hier ist ein Privatbüro«.

DIE ZEIT: Signora Camusso, wer ist heute der größte Feind der Arbeiter und kleinen Angestellten in Italien?

Susanna Camusso: Die Arbeitslosigkeit! Wir reden über ein Land, in dem sich seit drei, vier Jahren nichts mehr bewegt, in dem die Arbeitslosigkeit wächst, vor allem unter den jungen Leuten, die deshalb ein kollektives Schuldgefühl mit sich herumschleppen. Aber Schuldgefühle machen die Sache noch schlimmer.

Die wichtigsten Entscheidungen zum Euro 2012
Frankreich verliert BonitätFrankreich verliert am 14. Januar seine Bestnote als Schuldner bei Standard & Poor's. Nun wird immer klarer, dass allein Deutschland unter den großen Eurozonen-Ländern als Stabilitätsanker zu sehen ist. Quelle: REUTERS
FiskalpaktBeim EU-Gipfel in Brüssel unterzeichnen 25 der 27 EU-Länder am 2. März 2012 den von Deutschland und Frankreich durchgesetzten Fiskalpakt. Der sieht unter anderem eine Schuldenbremse nach deutschem Vorbild vor, die vom Europäischen Gerichtshof überprüft wird. In der Regel darf die Neuverschuldung demnach konjunkturbereinigt 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) nicht überschreiten. Aber: Die Schuldengrenze ist weniger streng als die des Bundes. Für Berlin darf das jährliche Staatsdefizit in Normalzeiten ab 2016 nur noch bei 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegen. Quelle: dpa
SchuldenschnittAm 12. März 2012 wird der sogenannte Schuldenschnitt für Griechenland fällig. Über 96 Prozent der Unternehmen, meist Banken, die Griechenland-Anleihen halten, verzichten auf einen Großteil ihrer Forderungen – mehr oder weniger freiwillig. Griechenland ist damit noch längst nicht gerettet. Die Schuldenquote steigt schnell wieder und viele der Gläubiger klagen vor Gericht. Quelle: dapd
Hollande gewähltAm 6. Mai 2012 wählen die Franzosen Francois Hollande zu ihrem Staatspräsidenten. Das Duo "Merkozy" ist damit Geschichte. Hollande hatte sich offen gegen das Merkelsche "Spardiktat" ausgesprochen. Seine sozialistischen Versprechen erweisen sich bald als unhaltbar. Quelle: dpa
Merkel erpresstEklat beim EU-Gipfel am 30. Juni 2012: Italien und Spanien ziehen alle Register, um Europa ihre Politik aufzuzwingen. Mit Erfolg. Künftig sollen Krisenländer den Euro-Rettungsschirm ohne verschärftes Anpassungsprogramm anzapfen dürfen. Quelle: dpa
Unbegrenzter Anleihenkauf der EZBAm 6. September gibt die EZB bekannt, dass sie im Notfall unbegrenzt Anleihen von finanziell angeschlagenen Euro-Staaten kaufen will, um die Zinsen für die Regierungen in Rom und Madrid drücken. Sie finanziert damit indirekt Staaten – was ihr eigentlich strikt verboten ist. Eine neue Ära der europäischen Geldpolitik beginnt. Der Bundesbankpräsident ist gescheitert. Quelle: dapd
Bundesverfassungsgericht entscheidet Am 12. September entscheidet das Bundesverfassungsgericht - im Bild Präsident Andreas Vosskuhle - über die deutsche Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Sie ist rechtens, solange es bei der Haftungsobergrenze von 190 Milliarden Euro bleibt und das auch völkerrechtlich fixiert wird. Die Kläger, darunter der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler, sehen das zumindest als Teilerfolg. Quelle: REUTERS

Offiziell liegt die Quote der Jugendarbeitslosigkeit bei 36 Prozent.

Ja, aber in Wirklichkeit ist die Zahl höher. Menschen, die die Jobsuche längst aufgegeben haben, tauchen zum Beispiel gar nicht in der Statistik auf, das gilt vor allem für Frauen und Süditaliener. Inzwischen machen viele Menschen kein Hehl mehr daraus, dass sie resigniert haben. Gleichzeitig wächst die Schattenwirtschaft.

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