Italiens Krise Sechs Gründe, warum die Märkte um Italien zittern

Die Aktienkurse sinken, die Zinsen auf Anleihen steigen: Die Märkte sehen in Italien ein Risiko für den Euro-Raum. Wer sich die Wirtschaft des Landes anschaut, sieht: zu Recht. Eine Bilanz der größten Baustellen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Quelle: Montage

Für Matteo Renzi ist die Sache klar: Obwohl Italiens Ministerpräsident laut Umfragen in der nächsten Woche über ein Referendum stolpern könnte, hat er seine Aufgabe an der Spitze des drittgrößten Euro-Landes gut gemacht. Das jedenfalls spricht aus all seinen Sätzen, als er am vergangenen Freitag in seinem römischen Amtssitz vor Journalisten trifft. 1000 Tage ist er da im Amt, und in Italiens von Regierungskrisen geprägter Nachkriegszeit mit 65 Regierungen ist alleine das eine Leistung. Er findet aber, dass seine Leistung noch größer sei. Und so zählt er auf: Um 1,6 Prozent ist Italiens Wirtschaft in seiner Amtszeit gewachsen, doppelt so viel wie im gleichen Zeitraum unter seinen beiden Vorgängern. 656.000 Arbeitsplätze wurden geschaffen, davon fast 500.000 unbefristete. Drei Prozent mehr Kaufkraft habe eine Familie. Und habe man nicht auch drei Milliarden Euro in Schulen investiert?

Ist das etwa nichts?

Allerdings gibt es zu all diesen Zahlen auch eine Kehrseite. Die Euro-Zone ist im gleichen Zeitraum um fünf Prozent gewachsen. Verglichen mit der Zeit vor 2012 ist die Kaufkraft immer noch um fünf Prozent niedriger. Die Rating-Agentur S&P sieht die Bonität des Landes kurz über Schrott-Status. Und das Kieler Institut für Weltwirtschaft konstatiert in einem Papier für die WirtschaftsWoche: „Die wirtschaftliche Entwicklung in Italien hängt bereits seit vielen Jahren hinter der des Euroraums insgesamt zurück.“

Und deswegen ist es kaum verwunderlich, dass viele Wähler am 4. Dezember bei einem Referendum, das eigentlich auf Wunsch des Premiers nur eine Verfassungsvereinfachung beschließen soll, ihren Unmut über die Regierung des Sozialdemokraten loswerden wollen. Der 41-Jährige war vor zweieinhalb Jahren als Erneuerer gestartet. Nun muss man feststellen: Vieles wurde angegangen, vieles versandete aber auch – und nur wenig wurde besser. Vor allem fand Renzi aber gegen das Hauptproblem des Landes bisher kein Mittel: Die Wirtschaft wächst nicht. Das Bruttoinlandsprodukt dürfte im laufenden Jahr auf demselben Niveau liegen wie im Jahr 2000, während es in diesem Zeitraum im Euroraum insgesamt um 18 Prozent, in Deutschland um 20 Prozent und in Spanien sogar um 25 Prozent zugelegt hat. Deswegen kriselt der Arbeitsmarkt. Deswegen wanken die Banken. Deswegen steigt die Staatsverschuldung immer mehr.

Wer sich das Land genauer anschaut, wie es die Forscher des Kieler Instituts für Weltwirtschaft für die WirtschaftsWoche gemacht haben, stellt fest: das Land kämpft vor allem mit vier Problemen.

1. Die Industrie verliert das Vertrauen

Man vergisst es leicht, aber Italien ist hinter Deutschland das Land mit der größten Industrie im Euro-Raum und hat weltweit die fünftgrößte Industrie eines Landes. Vor allem der Norden ist geprägt durch zahlreiche Mittelständler und die sonst nur aus Deutschland bekannten Ingenieurs getriebenen Weltmarktführer. 19 Prozent beträgt die Wertschöpfung des Verarbeitenden Gewerbes am Brutto-Inlandsprodukt.

„Betrachtet man die Entwicklung in der Industrie über die vergangenen 15 Jahre genauer, zeigt sich, dass in nahezu allen Branchen Rückgänge zu verzeichnen waren, die zum Teil beträchtlich waren“, schreibt das Kieler Institut für Wirtschaftsforschung. So schrumpfte die Erzeugung von Elektrogeräten um fast die Hälfte und die von Computern und Elektronikprodukten ebenso wie die von Bekleidung und Textilien um mehr als ein Drittel. Vor allem der Maschinenbau litt: Um ein viertel sanken etwa dessen Exporte.

2. Konsum und Investitionen schwächeln gleichzeitig

Wer samstags durch die Mailänder Innenstadt zieht mit ihren glitzernden Malls und teuren Boutiquen, erlebt eine Gesellschaft wie im Kaufrausch. Es wuselt und vibriert vor Menschen. Die Statistik allerdings sagt etwas anderes: Der private Konsum weist im vergangenen Jahrzehnt nur eine geringe Dynamik auf. Im Zusammenhang mit der globalen Finanzkrise und der Konsolidierung in der akuten Phase der Euro-Schuldenkrise ging er sogar spürbar zurück. In den vergangenen Jahren kam zudem eine ausgeprägte Schwäche der Investitionen hinzu. Seit 2006 ist die Investitionsquote in der italienischen Wirtschaft von knapp 22 Prozent auf unter 17 Prozent gesunken.

Renzi hat bereits angekündigt, im Falle eines Regierungsverbleibs ein großes Investitionsprogramm anzuschieben. Das Problem: Ihm fehlt das Geld.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%