Jahre vor Corona Vor Jahren gab die EU 86.000 Euro für einen Comic aus – über Pandemien

In dem Pandemie-Comic wird etwa auf Seite 45 angesprochen, wie schwer sich die Politik in Zeiten einer Pandemie tut, angemessen zu kommunizieren. Quelle: Marcel Stahn

Die Coronapandemie hat die EU auf dem falschen Fuß erwischt. Dabei hat die EU-Kommission 2011 einen Comic zeichnen lassen, in dem vieles vorhergesagt wird, was in der Coronakrise eingetreten ist.

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Die hochrangigen Experten besichtigen unter höchsten Schutzvorkehrungen ein sogenanntes P4-Labor in Peking, in dem sich hochansteckende Krankheitserreger befinden, ehe es zu einem Knall kommt und die VIPs evakuiert werden. So beginnt der gut fünfzigseitige Comic des Franzosen Jean-David Morvan (Szenario) und des Chinesen Huang Jia Wei (Zeichnungen) aus dem Jahr 2011. „Infected“ mischt Science Fiction mit Action. Und am Schluss findet der zeitreisende Held auch noch die große Liebe. Das ungewöhnliche an dem Werk: Die EU-Kommission hat es 2011 in Auftrag gegeben und dafür 86.000 Euro an Steuergeldern bereitgestellt.

Der Comic richtet sich an ein jugendliches Publikum und soll zwei Ziele erreichen: Eine Pandemie erklären und die Notwendigkeit internationaler Zusammenarbeit bei der Eindämmung hervorheben. Auf Seite 20 erklärt der UN-Spezialgesandte für Pandemien, Samuel de La Mancha, dass 75 Prozent der weltumspannenden Infektionskrankheiten ihren Ursprung im Tierreich haben und dass die Zahl der neuen Infektionskrankheiten exponentiell ansteigt. Er unterstreicht auch, dass die Globalisierung die Ausbreitung von Epidemien zu Pandemien erleichtert. „In wenigen Tagen könnte die ganze Welt betroffen sein“, warnt de la Mancha. Inspiriert ist seine Figur von David Navarro, der von 2005 bis 2014 UN-Berater für Vogelgrippe und Influenza war und aktuell WHO-Berater für Covid-19 ist.

Im Comic gerät die Situation zwar völlig außer Kontrolle. Die Pandemie fordert eine Milliarde Menschenleben, eine mafiöse Vereinigung übernimmt die Regierung, Menschen und Tiere dürfen nicht mehr in Kontakt kommen. Vieles klingt dagegen aber bekannt, etwa der Vertrauensverlust, mit dem Institutionen konfrontiert sind. „Niemand vertraute den offiziellen Institutionen mehr, die beschuldigt wurden, das Geschehen nicht ausreichend zu antizipieren“, sagt der Held. „Aber die Leute beschweren sich genauso, wenn man gut vorbereitet ist.“

Auch die Probleme von Social Distancing und Isolation spricht der Comic an, indem auf wachsende Depression hingewiesen wird. Die Leser erfahren aber vor allem etwas darüber, wie schwer sich die Politik in Zeiten einer Pandemie tut, angemessen zu kommunizieren. „Weder Bürger, weder Unternehmen oder die Presse hören gerne, dass die Experten nicht alles wissen“, sagt eine hochrangige Politikerin. „Wir werden Ungewissheit kommunizieren müssen“. Dem setzt sie ein „wow“ hinterher, um die Herausforderung noch ein wenig größer wirken zu lassen.

Doch am Schluss wird alles gut. Nicht nur weil sich der Held und die schlaue Assistentin des UN-Spezialgesandten finden, sondern weil die EU, die USA und die Vereinten Nationen einen gemeinsamen Ansatz im Kampf gegen die Pandemie wählen. Die Sprechblasen dieser Szenen dürften nicht aus der Feder des Szenaristen stammen, das Plädoyer für Multilateralismus klingt eher nach Verwaltungsprosa.

In einem Anhang werden die wichtigsten Konzepte aus dem Comic noch einmal erläutert. Dort erfährt der Leser auch, warum das Comic in Peking beginnt. Dort fand 2006 die erste internationale Ministerkonferenz für Vogelgrippe und pandemische Influenza statt. Als die Zeichner ein P4-Labor wählten, von denen es in der Welt weniger als 20 gibt, eines davon in Wuhan, konnten sie freilich noch nichts von Covid-19 ahnen.

Viele Leser dürfte das Comic nicht gefunden haben, nur gut 5000 Exemplare wurden gedruckt und in den EU-Delegationen in Asien verteilt. Gesundheitsexperten der EU-Kommission haben darüber gewacht, dass die Fakten stimmen.

Inspiriert wurde „Infected“ übrigens von einem Comic, den das Europäische Parlament bereits 2003 in Auftrag gegeben hatte, um den Gesetzgebungsprozess zu erklären. Gleich 500.000 Mal wurden die Abenteuer der Europaabgeordneten Irina gedruckt, die für sauberes Wasser kämpft. Doch das Konzept hat sich nicht durchgesetzt. „Trübe Wasser“ blieb ein einmaliger Versuch, jungen Europäern die EU näher zu bringen. Die Kosten von vier Millionen Euro hatten dem Parlament damals den Vorwurf der Verschwendung eingebracht.

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