Jean Pisani-Ferry "Es bleiben nur wenige Monate"

Jean Pisani-Ferry (rechts) hat das Wirtschaftsprogramm von Emmanuel Macron ausgearbeitet und zählt zu den engsten wirtschaftspolitischen Beratern des französischen Präsidenten.

Deutschland und Frankreich brauchen eine gemeinsame Position zur Reform der Eurozone, sagt Jean Pisany-Ferry. Der Berater von Präsident Macron drängt zur Eile.

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WirtschaftsWoche: Herr Pisani-Ferry, haben Sie eine Flasche Champagner geöffnet, nachdem Sie den Koalitionsvertrag von Union und SPD gelesen haben?
Jean Pisani-Ferry: Ich muss Sie enttäuschen, dafür sind die Zeiten zu ernst. Mit Blick auf die gegenwärtige Situation in Deutschland würde ich aber hinzufügen: Wenn die große Koalition in Deutschland tatsächlich bald regiert, öffnet sich endlich das Fenster für Reformen in Europa. Einfach wird es allerdings nicht. Deutschland und Frankreich haben noch sehr unterschiedliche Ansichten darüber, was in der EU und der Eurozone passieren muss. Die guten Absichten sind da. Aber Absichten sind noch kein Konsens.

Wann schließt sich das Zeitfenster wieder?
Spätestens im Herbst. Dann beginnt langsam der Wahlkampf für die Europawahl 2019. Angenommen, es gibt Mitte März eine handlungsfähige deutsche Regierung und die Wahlen in Italien sind vorbei, bleiben also gerade mal wenige Monate.

Was muss in dieser kurzen Zeit gelingen?
Einfach gesagt: Die deutsche und die französische Position müssen so zusammengebracht werden, dass es Sinn ergibt. Die Franzosen sind überzeugt, dass die Eurozone eine politische Steuerung braucht, um widerstandsfähiger gegen Krisen zu werden. Die deutsche Seite wiederum pocht aus guter alter Tradition auf Regeln und Haushaltsdisziplin. Beide haben Recht.

Wie kann ein Kompromiss aussehen?
Wir müssen einander zuhören und auf Lösungen zielen, die sowohl politisch ausgewogen als auch ökonomisch klug sind. Nehmen Sie die Bankenunion: Der Teufelskreis zwischen geldgebenden Banken und verschuldeten Staaten, die sich im Krisenfall gegenseitig schwächen, muss ein für alle Mal unterbrochen werden. Da haben die Franzosen einen Punkt. Gleichzeitig stimme ich dem deutschen Standpunkt zu, dass es keine gemeinsame Einlagensicherung geben darf, so lange nationale Banken im großen Stil die Staatsanleihen ihrer Länder kaufen. Diese zwei Knoten müssen parallel durchschlagen werden.

Sie gehören zu den Autoren eines deutsch-französischen Ökonomen-Aufrufs, der versucht hat, Lösungen zu skizzieren. Trauen Sie der Politik nichts zu?
Doch, wir befürchten nur, dass ein klassischer politischer Kompromiss nicht ambitioniert genug wäre. Wir brauchen mehr. Deutschland und Frankreich müssen beide über ihre roten Linien steigen.

Die da wären?
Frankreich sträubt sich gegen die disziplinierende Wirkung der Finanzmärkte, also gegen höhere Zinsen für Staatsanleihen, wenn ein Land schlecht wirtschaftet. Und Deutschland will am liebsten keine Abstriche beim Stabilitätspakt machen – und vor allem keine Transferzahlungen in andere Länder zulassen. So kommen wir nicht weiter. Wir brauchen mehr Solidarität, sprich: Transfers – aber eben nur auf Zeit. Gleichzeitig muss es mehr Disziplin geben. Um bei dieser Gelegenheit mit einem Vorurteil aufzuräumen: Auch die Franzosen wollen keine permanente Umverteilung in Europa.

Zur Person

Genau das ist eine weitverbreitete Wahrnehmung in Deutschland: Frankreich will dauerhaft deutsches Geld in den Süden Europas umleiten.
Das ist Quatsch! Auch die Franzosen sind in der EU ein Nettozahler und kein -empfänger. Das Geld, das andere Länder bekommen, gehört auch uns. Und was die französische Innenpolitik angeht: Wir wollen ganz sicher nicht unsere Probleme mit deutschen Euros lösen.

Dann klären Sie uns auf: Was will Emmanuel Macron, wenn er von einer Reform der Eurozone spricht?
Was ich bereits sagte: eine Bankenunion. Darüber hinaus Mittel, um Wachstum und Investitionen auszulösen und für Stabilität zu sorgen. Wir sprechen hier von einem Instrument, um Krisenländern schnell helfen zu können.

"Es gibt weder in Paris noch in Berlin irgendeinen Grund, sich zurückzulehnen"

Sie sprechen von präzisen Instrumenten und Mitteln – aber es geht doch um Milliarden, oder?
Bei Investitionen nicht notwendigerweise. Privates Engagement kann auch durch gemeinsame Regulierung ausgelöst werden. Was die Stabilisierung im Krisenfall angeht, schlagen wir Ökonomen einen Fonds vor, der angeschlagene Länder unterstützt.

Über welchen Betrag reden wir denn?
Für so einen Krisenfonds wäre ein Umfang von 0,5 Prozent der Wirtschaftsleistung der Eurozone eine sinnvolle Größenordnung. Wohlgemerkt nicht jährlich, sondern als Kriegskasse.

Also rund 50 Milliarden Euro?
Ja, das haut hin. Dann hätte man ausreichend Mittel, um zum Beispiel Irland helfen zu können, sollte es unter einem harten Brexit leiden. Aber bevor hier irgendwelche Horrorszenarien entstehen, noch einmal: Die Summe bräuchten wir einmalig, um Hilfstransfers möglich zu machen – sicher nicht jedes Jahr. Präsident Macron wiederum hat ambitioniertere Pläne, wenn er von einem Budget für die Eurozone spricht. Das würde ökonomisch Sinn ergeben, aber – da haben die Deutschen völlig Recht – funktionierte nur mit klaren Regeln und einer parlamentarischen Kontrolle.

Wie würde ein Europäischer Währungsfonds (EWF) als Nachfolgerin des Rettungsschirms ESM in dieses System hineinpassen?
Das ist das Problem: Unter einem EWF stellen sich alle etwas anderes vor. Wolfgang Schäuble zum Beispiel wollte damit vor allem der EU-Kommission Kompetenzen wegnehmen...

...und was wollen Sie?
Der EWF müsste in Zukunft in der Lage sein, finanzielle Hilfe unabhängig vom IWF zu leisten. Und in der Tat sollte er direkt demokratisch kontrolliert sein. Darüber hinaus könnte der EWF eine wichtige Rolle als Reservepuffer bei der Abwicklung von Banken spielen.

Welche Rolle hätte ein EU-Finanzminister?
Jedenfalls eine andere als der heutige Eurogruppenchef. Er würde über mehr Repräsentationspflichten nach außen und mehr Kompetenzen für die Stabilität der Eurozone nach innen verfügen.

Merkel: Deutschland und Frankreich sollten vorangehen

Kann Deutschland im Hinblick auf Reformen eigentlich etwas von Frankreich lernen?
Wir belehren niemanden, zumal sich Frankreich noch in einem Aufholprozess befindet. Aber zur Wahrheit gehört, dass auch die Agenda 2010 rund 15 Jahre zurückliegt. Es gibt also weder in Paris noch in Berlin irgendeinen Grund, sich zurückzulehnen. Die digitale Revolution wird alle Industriestaaten mit ausgebauten Sozialsystemen vor riesige Herausforderungen stellen.

Dann wagen wir einen Blick in die Zukunft: Wird es in einem Jahr in der Euro-Zone so viele Fortschritte in Ihrem Sinne gegeben haben, dass es dann Zeit ist für eine Flasche Champagner?
Champagner kann man eigentlich immer trinken. Im Ernst: Wenn wir dann auf Europa anstoßen sollen, müssen sich Deutschland und Frankreich noch massiv bewegen.

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