Jean Pisani-Ferry "Es bleiben nur wenige Monate"

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"Es gibt weder in Paris noch in Berlin irgendeinen Grund, sich zurückzulehnen"

Sie sprechen von präzisen Instrumenten und Mitteln – aber es geht doch um Milliarden, oder?
Bei Investitionen nicht notwendigerweise. Privates Engagement kann auch durch gemeinsame Regulierung ausgelöst werden. Was die Stabilisierung im Krisenfall angeht, schlagen wir Ökonomen einen Fonds vor, der angeschlagene Länder unterstützt.

Über welchen Betrag reden wir denn?
Für so einen Krisenfonds wäre ein Umfang von 0,5 Prozent der Wirtschaftsleistung der Eurozone eine sinnvolle Größenordnung. Wohlgemerkt nicht jährlich, sondern als Kriegskasse.

Also rund 50 Milliarden Euro?
Ja, das haut hin. Dann hätte man ausreichend Mittel, um zum Beispiel Irland helfen zu können, sollte es unter einem harten Brexit leiden. Aber bevor hier irgendwelche Horrorszenarien entstehen, noch einmal: Die Summe bräuchten wir einmalig, um Hilfstransfers möglich zu machen – sicher nicht jedes Jahr. Präsident Macron wiederum hat ambitioniertere Pläne, wenn er von einem Budget für die Eurozone spricht. Das würde ökonomisch Sinn ergeben, aber – da haben die Deutschen völlig Recht – funktionierte nur mit klaren Regeln und einer parlamentarischen Kontrolle.

Wie würde ein Europäischer Währungsfonds (EWF) als Nachfolgerin des Rettungsschirms ESM in dieses System hineinpassen?
Das ist das Problem: Unter einem EWF stellen sich alle etwas anderes vor. Wolfgang Schäuble zum Beispiel wollte damit vor allem der EU-Kommission Kompetenzen wegnehmen...

...und was wollen Sie?
Der EWF müsste in Zukunft in der Lage sein, finanzielle Hilfe unabhängig vom IWF zu leisten. Und in der Tat sollte er direkt demokratisch kontrolliert sein. Darüber hinaus könnte der EWF eine wichtige Rolle als Reservepuffer bei der Abwicklung von Banken spielen.

Welche Rolle hätte ein EU-Finanzminister?
Jedenfalls eine andere als der heutige Eurogruppenchef. Er würde über mehr Repräsentationspflichten nach außen und mehr Kompetenzen für die Stabilität der Eurozone nach innen verfügen.

Merkel: Deutschland und Frankreich sollten vorangehen

Kann Deutschland im Hinblick auf Reformen eigentlich etwas von Frankreich lernen?
Wir belehren niemanden, zumal sich Frankreich noch in einem Aufholprozess befindet. Aber zur Wahrheit gehört, dass auch die Agenda 2010 rund 15 Jahre zurückliegt. Es gibt also weder in Paris noch in Berlin irgendeinen Grund, sich zurückzulehnen. Die digitale Revolution wird alle Industriestaaten mit ausgebauten Sozialsystemen vor riesige Herausforderungen stellen.

Dann wagen wir einen Blick in die Zukunft: Wird es in einem Jahr in der Euro-Zone so viele Fortschritte in Ihrem Sinne gegeben haben, dass es dann Zeit ist für eine Flasche Champagner?
Champagner kann man eigentlich immer trinken. Im Ernst: Wenn wir dann auf Europa anstoßen sollen, müssen sich Deutschland und Frankreich noch massiv bewegen.

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