Jetzt doch der harte Brexit? Und noch immer keine Mehrheit im Unterhaus

Brexit: Und noch immer keine Mehrheit im Unterhaus Quelle: REUTERS

Auch beim zweiten Anlauf hat sich in Londons Parlament keine Mehrheit für einen alternativen Brexit-Plan ergeben. Nun scheint eine Lösung aber zum Greifen nahe – jedoch nur, wenn die Gemäßigten die Hardliner überstimmen.

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Als wäre die Lage im britischen Politikbetrieb nicht schon chaotisch genug, passierte am Montag auch noch das: Ein Dutzend Aktivisten der Aktionsgruppe „Extinction Rebellion“ ließen auf den Besucherrängen im Unterhaus die Hüllen fallen und klebten, nur in Unterhosen bekleidet, ihre Hände an der Scheibe fest, die den Zuschauerbereich vom Plenarsaal trennt. Die Gruppe versucht seit einiger Zeit, mit Aktionen wie dieser Aufmerksamkeit zu schaffen für die Bedrohung, die vom Klimawandel ausgeht.

Die Politiker nahmen den Vorfall landestypisch humorvoll und gelassen hin. Der Speaker des Unterhauses, John Bercow, wies die Abgeordneten an, ihre Debatte fortzusetzen. Der konservative Abgeordnete Nick Boles erklärte salopp, es sei durchweg britisch, „sinnlose Nacktheit zu ignorieren“, und machte weiter mit seiner Rede. Und so debattierten und stritten die Abgeordneten auch dann, als die Saalordner die Demonstranten von der Scheibe lösten und aus dem Saal führten.

Im Unterhauses ging es, nun schon zum zweiten Mal, um mögliche Alternativen zum Brexit-Plan von Premierministerin Theresa May. Ihren Brexit-Deal haben die Abgeordneten drei Mal mit überwältigender Mehrheit abgelehnt. Vergangene Woche übernahm das Parlament in einem außerordentlichen Vorstoß für zunächst einen Tag die Kontrolle über die Tagesordnung. Bei Testabstimmungen setzte sich am vergangenen Mittwoch zwar zunächst keine der acht vorgeschlagenen Brexit-Varianten durch. Der Vorschlag, das Land in einer Zollunion mit der EU zu belassen, unterlag aber mit gerade einmal sechs Stimmen. Die Brexit-Hardliner unterlagen mit ihrem Vorschlag für einen „No Deal“-Brexit, bei dem das Land die EU ohne ein Abkommen verlassen würde, haushoch. Das machte ein weiteres Mal deutlich, dass die Hardliner auch heute nur eine Randgruppe sind.

Als die Abgeordneten am Montagabend zum zweiten Mal über nur noch vier Varianten abstimmten, war die Hoffnung daher groß, dass sich diesmal eine Mehrheit finden würde. Doch auch diese Abstimmungsrunde endete ernüchternd. Immerhin unterlag der Vorschlag, das Land in einer Zollunion mit der EU zu belassen, mit nur noch drei Stimmen: 273 zu 276. Auch der Vorschlag der Labour-Abgeordneten Peter Kyle und Phil Wilson brachte er erstaunlich weit. Sie forderten, die Menschen in Großbritannien in einer Volksabstimmung über den finalen Brexit-Deal entscheiden zu lassen. Hierfür stimmten 280 Abgeordnete, 292 stimmten dagegen.

Brexit-Minister Stephen Barclay erklärte nach der Verlesung der Ergebnisse, dass die Abgeordneten nun weder für den Brexit-Deal der Regierung noch für eine der Alternativen gestimmt hätten. Die Regierung werde sich daher am Dienstag beraten und versuchen, einen Weg nach vorne zu finden. Bereits im Lauf des Tages war bekannt geworden, dass sich die Regierung am Dienstag zu einer fünfstündigen Marathon-Kabinettssitzung treffen werde.

Labour-Chef Jeremy Corbyn erinnerte nach den Abstimmungen daran, dass das Parlament bereits drei Mal mit überwältigender Mehrheit gegen den Brexit-Deal von Theresa May gestimmt hat. Er rief dazu auf, am Mittwoch einer weiteren Runde an Testabstimmungen abzuhalten. Der Tory-Abgeordnete Nick Boles, der eine Lösung im Stil Norwegens vorgeschlagen hatte (das nicht in der EU und in der Zollunion aber im Europäischen Binnenmarkt ist), macht seine konservativen Kollegen dafür verantwortlich, dass sein Vorschlag an diesem Tag ebenfalls unterlegen ist. „Ich gebe zu, dass ich gescheitert bin. Aber ich bin vor allem deswegen gescheitert, weil sich meine Partei weigert, Kompromisse einzugehen“, sagte Boles nach der Abstimmung und erklärte daraufhin seinen Austritt aus der konservativen Partei. Von der Opposition erntete er dafür Applaus, in seinen eigenen Reihen herrschte Entsetzen.

Ist eine Lösung zum Greifen nahe?

Der Konservative Ken Clarke, dessen Vorschlag, das Land in einer Zollunion mit der EU zu belassen, nur hauchdünn unterlegen ist, brachte das Dilemma auf den Punkt: Die Befürworter eines weichen Brexits stünden sich gegenseitig im Weg. Sein Vorschlag habe nur deswegen keine Mehrheit erhalten, weil einige Befürworter anderer weicher Brexit-Varianten nicht dafür gestimmt hätten. Manchmal, sagte Clarke, glaube er, das Haus sei nicht besonders gut darin, „Politik zu machen“.

Obwohl sich auch am Montag keine Brexit-Alternative durchgesetzt hat, erscheint eine Lösung nun allerdings zum Greifen nahe. Denn die Abstimmungen haben gezeigt, dass die Brexit-Hardliner – denen Theresa May in den vergangenen zwei Jahren unverhältnismäßig stark entgegen gekommen war – niemals eine Mehrheit im Parlament zu Stande bekommen werden.

Eine weitere Runde an Testabstimmungen könnte durchaus eine Mehrheit für Clarkes Vorschlag bringen. Und das vor allem dann, wenn Theresa May die Abstimmungen nicht wie bisher boykottiert, sondern es auch Regierungsmitgliedern erlaubt, für ihre favorisierte Brexit-Variante zu stimmen. Ob sie das tun wird, ist allerdings fraglich.

Der konservative Remain-Unterstützer Dominic Grieve zeigte sich optimistisch. Er sagte: „Das mag langwierig erscheinen, aber ich habe immer geglaubt, dass es mehrere Anläufe brauchen wird, bis wir ans Ziel kommen, wenn wir diesen Prozess starten.“ Nun müssten Gespräche darüber geführt werden, ob einige der Vorschläge „zusammengeführt“ werden könnten. Theresa Mays Deal habe „weniger Unterstützung erhalten, als die Deals, die wir uns heute Abend angeschaut haben.“

Theresa May steht allerdings in ihrer Partei vor einem immer größeren Dilemma. Während sich die Befürworter eines weichen Brexits im Unterhaus näher kommen, drehen bei den Tories die Hardliner auf. Mehrere Minister, unter ihnen Andrea Leadsom und Liam Fox, beharren nun darauf, dass ein No Deal-Brexit einer fortgesetzten Mitgliedschaft in einer Zollunion mit der EU vorzuziehen sei. Erst vor wenigen Tagen haben 170 Tory-Abgeordnete in einem Brief gefordert, eine lange Verschiebung des Brexits zu vermeiden. Das ist mehr als die Hälfte der konservativen Fraktion.

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