Joseph Stiglitz Beerdigt den Euro - nicht die EU

Starökonom Joseph Stiglitz klagt in seinem neuen Buch den Neoliberalismus und Merkel an. Ohne Solidarunion sei der Euro nicht zu retten. Dann schon lieber eine schnelle Scheidung.

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Die letzten EU-Staaten ohne Euro
Schweden hat sich vertraglich verpflichtet, den Euro einzuführen. Quelle: AP
Tschechien ist bereit für den Euro – rein wirtschaftlich Quelle: Fotolia
Auch Dänemark hat das Recht, sich gegen die Euro-Einführung zu sperren. Quelle: dpa Picture-Alliance
Die Briten haben das vertraglich zugesicherte Recht, das Pfund zu behalten, auch wenn sie für den Euro qualifiziert wären. Quelle: dpa
Rumänien ist seit 2007 EU-Mitglied und beabsichtigt, den Euro einzuführen Quelle: dpa
Auch für Kroatien ist der Abschied von der Landeswährung Kuna kein Thema Quelle: dpa
In Bulgarien ist der Euro derzeit kein Thema Quelle: dpa

Scheitert der Euro, dann scheitert Europa, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) einmal gesagt.
Glaubt man Joseph Stiglitz, ist es nun so weit. Der Kontinent hat ein Jahrzehnt verloren, viele seiner Volkswirtschaften stagnieren, in Südeuropa sind 20 bis 50 Prozent der Jugendlichen arbeitslos – und alle Reformen in den vergangenen acht Jahren haben die Probleme Europas nicht etwa gelöst, sondern verschärft.

Die Staatsschulden der Krisenländer sind explodiert, der politische Extremismus ist auf dem Vormarsch und die Ungleichheit wächst, nicht zuletzt zwischen den Mitgliedstaaten. Vor acht Jahren erwirtschaftete Deutschland 10,4 Mal so viel wie Griechenland, heute das 15-Fache. Für Stiglitz, Träger des Nobel-Gedächtnispreises für Wirtschaft, ist die Sache daher klar: Der Euro hatte drei Ziele, und er hat sie verfehlt. Er hat nicht die Integration Europas vertieft, weder Wachstum noch Wohlstand verbreitet und schon gar nicht für Harmonie unter den Mitgliedsstaaten gesorgt. Besser also, man beerdigt ihn.

Deutschland raus aus dem Euro – warum nicht?

Es gehört zu den Vorzügen von Stiglitz’ neuem Buch, dass es in der Analyse der Währungsunion ohne politisches Gift auskommt. Der US-Ökonom schreibt mit schulterzuckender Verve, mit interessiertem, aber unbeteiligtem Blick, ganz im Stile eines Notars, der etwas Ungeheuerliches beurkundet. Vielleicht muss man jenseits des Atlantiks leben, um so kühl und mitreißend zugleich über den Anfang und das Ende des Euro-Raums schreiben zu können. Beides, so Stiglitz im überraschenden Anschluss an Hans-Werner Sinn und Hans-Olaf Henkel, sei letztlich ein und dasselbe: Ohne flexible Zinssätze und Wechselkurse sei der Euro zum Scheitern verurteilt (gewesen), von Anfang an. Die gemeinsame Währung hat die südeuropäischen Länder zunächst begünstigt – und ihnen in der Krise keine Chance gelassen, ihre Exportwaren durch Abwertung zu verbilligen und damit wettbewerbsfähiger zu machen.

Um das Drama der Stagnation zu beenden, stellt Stiglitz Europa vor vier Alternativen: die solidarische Vertiefung Europas zu einer Haftungsunion mit gemeinsamem Einlagenschutz, Euro-Bonds und europäischer Arbeitslosenversicherung – eine Lösung, die er als passionierter als Kritiker von Ungleichheit präferiert. Die Rückkehr Deutschlands zur D-Mark. Der Austritt der Südländer. Oder eine Teilung des Euro-Raums in zwei Währungsgebiete. Allein eine Fortsetzung des muddling through, eine Politik des Durchmogelns, die Misstrauen säe und internationale Animositäten schüre, die zwar „den Kollaps des Euro verhindert, aber auch Europas ökonomische Wiederauferstehung“, lehnt Stiglitz entschieden ab. Die Europäische Union, so der jederzeit thesenstarke Starökonom, sei zu wichtig, um sie auf dem Altar des Euro zu opfern.

Huldigt die Bundesbank dem Götzen Preisstabilität?

Das alles ist unbedingt diskutabel und anregend. Wenn nur der Aktivist nicht ständig dem Wissenschaftler ins Wort fallen würde! Stiglitz’ Denken ist begriffsstarr geworden, sein neo-keynesianisches Weltbild stabil; man wird den Verdacht nicht los, dass er nur noch aus Prominentenstolz und Überzeugung schreibt und nicht mehr aus Erkenntnisinteresse. Besonders sein Sinn für Ordnungspolitik ist schwach entwickelt. Stattdessen betet er, ausgesprochen selbstreferenziell, das Mantra der varoufakischen Globalisierungskritik nach: Der Neoliberalismus ist an allem schuld. Die Bundesbank huldigt dem Götzen Preisstabilität. Deutschland muss sein Handelsbilanzdefizit abbauen. Merkel spart Südeuropa zu Tode. Kurz: Stiglitz sucht keine Gründe, sondern Schuldige. Er analysiert nicht, sondern richtet. Er erklärt Deutschland für schuldig und spricht Griechenland frei. Jedenfalls kommen die ökonomischen Sünden der Problemstaaten viel zu kurz. Es wäre so leicht gewesen, sie zu behandeln, um die Argumentation wider die Fantasielosigkeit der Euro-Rettungspolitik zu kräftigen. Stiglitz vergibt die Chance, wie schade. Was ist gewonnen, wenn man nüchtern feststellt, dass Europa sich nicht aus der Krise sparen kann, nur um dann kühn zu behaupten, dass Südeuropa sich in eine vitale Wirtschaft hineinzukonsumieren vermag? Nichts.

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