
WirtschaftsWoche: Die Kanzlerin hat uns überrascht, dass sie nun beide Euro-Rettungsschirme, den ESM und den EFSF, parallel zueinander einsetzen möchte. Sie auch?
Trittin: Ich habe das schon vor einem halben Jahr vorhergesagt. Die Kanzlerin hätte einen größeren Rettungsschirm nicht durchbekommen, also hat sie den Umweg gewählt. Aber auch so erhöht sich die Haftung für Deutschland. Nun stehen nicht mehr rund 500, sondern rund 700 Milliarden Euro zur Bekämpfung der EU-Schuldenkrise bereit.
Reicht das?
Das ist eine ganz praktische Frage. Gehen die Zinssätze für spanische und italienische Anleihen wieder hoch oder nicht? Wenn die wieder steigen, war die Brandmauer nicht hoch genug. Das lässt sich bald feststellen. Druck nimmt auch die EZB heraus, die ja in großem Stil Geld an europäische Banken herausgereicht hat. Aber das hat eigene Risiken. Wir hätten eine viel bessere Lage, wenn wir einen solide finanzierten ESM hätten, der über eine Banklizenz verfügt. Dann hätte der Rettungsschirm, nicht die Banken, den Zinsgewinn aus solchen Geschäften. Das wäre transparenter. Diese Regierung verhält sich beim Umgang mit Steuergeld absolut verantwortungslos.
Beim Euro-Fiskalpakt braucht die Regierung die Zustimmung der Opposition. Was sind Ihre Bedingungen?
Der Fiskalpakt an sich wird weit überschätzt. Es wird ja gar nicht mehr vorgeschrieben, dass Schuldenbremsen in die Verfassung aufgenommen werden müssen, so wie das bei uns in Deutschland der Fall ist.. Das hat alles mehr mit Gesichtswahrung auf der Berliner Bühne zu tun als mit nachhaltigen Lösungen für die Krise. Der Fiskalpakt ist also nicht verkehrt, aber einseitig und unausgewogen. Wir wollen ihn erweitern. Wir wollen nicht zu lassen, dass weiterhin ungebremst und unbesteuert Spekulationsgeschäfte gemacht werden können, denn das bereitet den Boden für die nächste Krise. Deshalb muss es – notfalls in Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit mit einer Koalition der Willigen - zur Besteuerung des Finanzmarktes kommen. Gerade Derivate müssen besteuert werden, der Handel mit Aktien ist nicht das Problem. Ich bin ein großer Freund der Realwirtschaft und halte Aktien für nichts Böses. Ein zweites Problem ist, dass man gegen die Krise nicht nur ansparen kann. Wir brauchen auch nachhaltiges Wachstum. Man muss deshalb das Eigenkapital der Europäischen Investitionsbank aufstocken. Und drittens sollte man nicht nur neue Schulden begrenzen, sondern auch alte abbauen – durch einen europäischen Schuldentilgungspakt.
Die Finanztransaktionssteuer wird so schnell nichts. Herr Schäuble wäre aber wohl für eine Börsenumsatzsteuer zu haben. Gehen Sie da mit?
Eine reine Aktienbesteuerung hielte ich für unklug. Herr Schäuble ist uns bisher Vorschläge schuldig geblieben, wie er mit einer Börsensteuer den Derivatehandel erreichen will, der 70 bis 80 Prozent des Umsatzes in Frankfurt ausmacht.
Können Sie Finanzminister?
Darum geht es mir nicht. Ich möchte, dass Schwarz-Gelb abgelöst wird. Grundsätzlich sind wir Grünen in der Lage, jedes Ressort in einer Bundes- oder Landesregierung zu besetzen: sei es Umweltminister wie in Baden-Württemberg, Gesundheitsministerin in NRW, Wirtschaftsministerin in Rheinland-Pfalz oder Finanzsenatorin in Bremen.