
Vor fast einem Jahr, am 3. Juli 2013, hatte Angela Merkel im Kanzleramt die europäischen Staats- und Regierungschefs zu Gast, um ein drängendes Problem zu adressieren: die Jugendarbeitslosigkeit in der EU. Die Mienen waren ernst und finster an jenem Tag, als Europas versammelte Politikelite vollmundig versprach, sich mit viel Geld und neuen Förderprogrammen gegen den verheerenden Eindruck zu stemmen, die Schuldenkrise hinterlasse nicht nur marode Banken und zerrupfte Staaten, sondern Jugendliche ohne berufliche Perspektive.
Zwölf Monate sieht die Erfolgsbilanz so aus: Die Arbeitslosenquoten der 15- bis 25-Jährigen verharren in manchen EU-Staaten ungerührt über der 50-Prozent-Marke. Insgesamt mehr als fünf Millionen junge Spanier, Italiener, Griechen oder Iren suchen immer noch nach Jobs.
Der Sechs-Milliarden-Euro-Topf der EU-Jugendgarantie? Noch nicht einmal angebrochen. Über pflichtschuldig bei der EU-Kommission eingereichte „Implementierungspläne“ sind die Versprechen aus dem Sommer 2013 bisher nicht hinaus gekommen. Es ist eine mehr als magere Bilanz für den kommenden Jugendbeschäftigungsgipfel Anfang Juli in Turin.
Viel Elan und schillernde Ideen
Aber eine Chance für Peter Hartz. In Deutschland steht der Name des ehemaligen VW-Managers für die umstrittenste und zugleich wohl wirkungsvollste Sozialreform der jüngeren Vergangenheit. „Hartz“, das ist für manche Stigma und Skandal, für andere hingegen ein leuchtendes Exempel deutscher Reformpolitik.
Gerade im europäischen Ausland werden die Anstrengungen bewundert, mit denen Deutschland heute als Musterland ökonomischer Schaffenskraft dasteht – und als Zielland hoffnungsvoller junger Europäer, die nun in Berlin, Dresden oder Aschaffenburg ihr Glück suchen. Das hat, so wirkt es jenseits der Grenze, viel mit der Agenda 2010 zu tun, aber eben auch mit der Kommission, die Peter Hartz einst leitete.
Was macht die EU gegen Jugendarbeitslosigkeit?
Für die sogenannte Jugendgarantie sind sechs Milliarden Euro bis zum Jahr 2020 einplant. Auf diese EU-Gelder können die Staaten zurückgreifen, um Menschen unter 25 Jahren innerhalb von vier Monaten zu einer Arbeit, einer Ausbildungsstelle oder einem Praktikum zu verhelfen. Die EU-Kommission setzt sich dafür ein, dass vorgesehene Fördergelder schneller zum Einsatz kommen und schon in den kommenden beiden Jahren verwendet werden. Allerdings steht die endgültige Einigung auf den Finanzrahmen 2014 bis 2020 der Union noch aus.
Schon 2012 hatten die EU-Staats- und Regierungschefs beschlossen, das Kapital der Hausbank der EU um 10 Milliarden Euro aufzustocken, um sie schlagkräftiger zu machen. EIB-Präsident Werner Hoyer hat nun im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit eine Vorfinanzierung von EU-Initiativen angeboten. „Wir sollten überlegen, das vorzufinanzieren, um rasch Wirkung zu erzielen“, sagte Hoyer der „Welt am Sonntag“.
Die EU verstärkt ihren Kampf gegen die gefährliche Kreditklemme für Mittelständler in südeuropäischen Krisenländern. EU-Kommission und Europäische Investitionsbank (EIB) wollen dafür EU-Töpfe wie Regionalförderung und Forschungsrahmenprogramm mit Geldern der EIB kombinieren, um mehr Bürgschaften zu vergeben.
Hartz sieht sich deshalb berufen, die EU-Jugendarbeitslosigkeit anzugehen wie einst die deutsche Jobmisere: mit viel Elan und schillernden Ideen. Job-Floater, Europatriates, Talentdiagnose, Beschäftigungsradar, Ausbildungswertpapier – um griffige Namen für seine Konzepte war Hartz nie verlegen, so auch diesmal nicht.
„Das Problem der Jugendarbeitslosigkeit“, formulierte er gerade erst in einem Handelsblatt-Interview, „ist lösbar. Und wenn man weiß, wie es geht, muss man doch was sagen.“ An mangelnden Selbstbewusstsein wird Hartz‘ europäische Agenda jedenfalls nicht scheitern.
Ein paar innovative Gedanken sind in der Tat dabei: Hartz will auch bei Jugendlichen ohne Berufsabschluss Talente entdecken und Begabungen fördern, die auf den Arbeitsmärkten sofort gebraucht werden könnten. Natürlich ist dies keine Alternative zu Bildungsabschlüssen. Aber es ist dennoch ein Versuch, schnelle Linderung für Menschen organisieren, die von langfristigen Programmen erstmal nichts haben. Hinter der Idee der Job-Floater wiederum steht das Prinzip, Arbeit statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren: Mittelständler sollen für jeden eingestellten Arbeitslosen Firmendarlehen erhalten.
Zirkelmigration unter neuem Namen
Etwas anders liegt Hartz‘ Modell der Europatriates: Hier sollen sich junge Europäer eine Zeit lang im Ausland weiterbilden, um später mit mehr Know-how zurückzukehren. Auf diese Idee sind schon andere gekommen und nichts anderes findet in Europa gerade hunderttausendfach zwischen Süden nach Norden statt. Mit und ohne Unterstützung der Politik. Zirkelmigration nennen das die Experten. Nun hat die Realität einen hübscheren Namen.
Hartz‘ größte Herausforderung liegt ohnehin nicht in der Mehr-oder-weniger-Stimmigkeit seines Gesamtkonzeptes, sondern darin, für die klügsten Anstöße politische Unterstützer zu finden wie einst Gerhard Schröder. Schröder wollte die Impulse eines Nicht-Politikers einst unbedingt und vor allem er hatte das Mandat, sie in Gesetze zu gießen.
Ein Basta-Politiker, das ist es, was Peter Hartz zu einem Comeback auf europäischer Bühne also noch fehlt. Wer die EU und ihr kompliziertes Gefüge halbwegs kennt, weiß: Genau diese Suche dürfte schwierig werden.