
Die EU-Kommission wird erst nach Ostern über den weiteren Verlauf ihres Prüfverfahrens zur umstrittenen polnischen Justizreform entscheiden. Die Behörde will dafür unter anderem die Stellungnahme von Rechtsexperten des Europarats auswerten. „Wir werden sie uns genau anschauen und sie berücksichtigen“, sagte ein Sprecher in Brüssel.
Die Rechtsexperten des Europarats wollten am Freitag in Italien über ihr Gutachten beraten. Zu dem Treffen der sogenannten Venedig-Kommission wurde auch der polnische Europaminister Konrad Szymanski erwartet.
Der Streit um das polnische Verfassungsgericht
Am Freitag beschäftigt der Streit um das polnische Verfassungsgericht auch die Rechtsexperten des Europarates. Die Verfassungshüter nannten das Gesetz der polnischen Regierung über die Arbeit des Tribunals rechtswidrig. Worum geht es in dem Streit?
Die Verfassungsrichter sehen in dem Gesetz einen Angriff auf die Unabhängigkeit ihrer Arbeit und betonen, eine ordnungsgemäße Arbeit des Gerichts sei unmöglich. Denn während zuvor über die Fälle mit einfacher Mehrheit entschieden wurde, sieht das im vergangenen Dezember verabschiedete Gesetz eine Zwei-Drittel-Mehrheit vor, damit eine Entscheidung der Verfassungshüter auch rechtsgültig ist. Doch oft sind die Entscheidungen nicht so eindeutig.
Außerdem kann das Gericht nach dem Gesetz nicht mehr selbst entscheiden, mit welchem Fall es sich als nächstes befasst, sondern soll chronologisch nach Eingang der Klagen vorgehen. Kritiker sagen, dass umstrittene Gesetze der aktuellen Regierung so womöglich erst nach Jahren zur Verhandlung kämen.
Das polnische Verfassungstribunal hat das Gesetz am Mittwoch für verfassungswidrig erklärt. Ist damit der Streit beendet?
Ganz im Gegenteil - der Konflikt scheint sich eher noch zu verschärfen. Das Gericht verlangt, dass der Status quo wiederhergestellt wird. Das heißt, die bisherigen Regeln vor der Reform des Gesetzes haben wieder zu gelten. Aus der Sicht der Mehrheit der Verfassungsrichter ist das eine endgültige Entscheidung. Der Oppositionspolitiker Ryszard Petru hat gesagt, es wäre ein Anschlag auf die Verfassung, sollte die Regierung den Richterspruch nicht umsetzen.
Nur: Die Regierung von Beata Szydlo erkennt das Urteil des Tribunals nicht an. Justizminister Zbigniew Ziobro sagte, die zweitägige Sitzung sei lediglich „ein Treffen von Richtern“ gewesen, nicht aber eine Sitzung der Verfassungstribunals. Und Szydlo sagte, das Vorgehen der Richter verstoße gegen das Gesetz über das Verfassungsgericht. Ziobro erinnerte zudem daran, dass ein Urteil mit seiner Veröffentlichung im Amtsblatt der Regierung Gültigkeit erlangt. Und er fügte hinzu: „Wir werden dieses Urteil gewiss nicht veröffentlichen.“
Hat die polnische Regierung Angst, der Ruf Polens in Europa stehe auf dem Spiel?
Regierungschefin Szydlo, aber auch der nationalkonservative Parteichef Jaroslaw Kaczynski verweisen da auf die Souveränität ihres Landes und ihre absolute Mehrheit im Parlament. Die Opposition erinnert dann gerne daran, dass bei der Wahl im Oktober - bei einer Wahlbeteiligung von gut 50 Prozent - 38 Prozent der Polen für die Nationalkonservativen gestimmt haben und keinesfalls das ganze Land geschlossen hinter den neuen Gesetzen steht. Vor der Sitzung der Venedig-Kommission haben Warschauer Regierungsvertreter zudem betont, dass die Meinung der Rechtsexperten des Europarats keine bindenden Verpflichtungen für Polen hat.
Heißt das, dass die Regierung mit einer schlechten Beurteilung rechnet?
Vor zwei Wochen sickerte in polnischen Medien bereits ein Entwurf der Venedig-Kommission durch - und da war von einer Verfassungskrise die Rede, von einer Störung der effizienten Arbeit des Verfassungsgerichts, die letztlich auch Demokratie und Menschenrechte in Polen gefährde. Auch der Menschenrechtskommissar des Europarats, Nils Muznieks, hat sich bei einem Besuch im Februar besorgt gezeigt: Eine Lähmung des Verfassungsgerichts bringe auch das Gleichgewicht der verschiedenen staatlichen Gewalten durcheinander.
In dem Verfahren der EU-Kommission soll geprüft werden, ob es eindeutige Anzeichen für eine „systembedingte Gefahr“ für die Rechtsstaatlichkeit in Polen gibt. Nur wenn dies der Fall ist, könnte die Regierung in weiteren Schritten offiziell aufgefordert werden, Änderungen herbeizuführen.
Das Verfahren der Brüsseler Behörde ist bislang beispiellos. Es beruht auf einem erst 2014 geschaffenen Mechanismus zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten.