Knauß kontert Die französische Revolution des Parteiensystems

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Deutsche Besonderheiten

Deutschland scheint von dieser neuen Parteienkonstellation noch weit entfernt. Doch das könnte sich ändern. Eine entscheidende Voraussetzung besteht auch hierzulande: Der programmatische Schulterschluss von Christ- und Sozialdemokraten plus Grünen ist längst Realität. Seit den 90er Jahren gehen alle miteinander Pizza essen, man duzt sich überparteilich und jeder kann mit jedem koalieren.

Welcher deutsche Wähler könnte schon die programmatischen Unterschiede zwischen Schulz‘ SPD und Merkels CDU benennen? Sie finden sich allenfalls in technokratischen Details und ideologischen Nuancen, die in wenigen Schlagworten wie „soziale Gerechtigkeit“ zu Mobilisierungszwecken fast grotesk überbetont werden. Verglichen mit den Zeiten Adenauers und Schumachers oder Barzels und Brandts sind heutige Wahlkämpfe zwischen CDU und SPD längst zu Karikaturen früherer Richtungsentscheidungen geworden. Merkel und Schulz unterscheidet, wie ein Kollege der „Welt“ treffend schrieb, tatsächlich „nur der Bart“.

Le Pen will „Gift“ radikaler Islamisten „ausrotten“
Ihre Feindbilder sind „das System“ und „die Globalisierung“: Marine Le Pen ist eine der bekanntesten Figuren des Rechtspopulismus in Europa. Le Pen kam 1968 als jüngste Tochter des rechtsextremen Polit-Haudegens Jean-Marie Le Pen zur Welt. Im Alter von acht Jahren wurde sie von einer Bombenexplosion aus dem Schlaf gerissen - ein Anschlag auf ihren Vater, dessen Hintergründe nie geklärt wurden. Sie studierte Jura und arbeitete als Rechtsanwältin, bis sie 1998 die Justizabteilung des Front National (FN) übernahm. 2011 übernahm sie die Führung des FN von ihrem Vater. Die 48-Jährige hat der Partei ein gemäßigteres Auftreten verordnet, offenen Rassismus zurückgedrängt. Für diese Strategie ließ sie sogar ihren Vater aus der Partei ausschließen. Sie vertritt aber weiter radikale Positionen gegen die Europäische Union, den Euro und Einwanderung. Le Pen ist zudem Abgeordnete im EU-Parlament. Vorwürfe zur Verwendung von EU-Mitteln, wegen denen auch die französische Justiz ermittelt, lässt sie als Manöver ihrer politischen Gegner an sich abperlen.Nachfolgend einige ausgewählte Zitate Marine Le Pens. Quelle: dpa
Marine Le Pen Quelle: AP
Marine Le Pen Quelle: REUTERS
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Die französische Rechtspopulistin Marine Le Pen Quelle: dpa
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Marine Le Pen Quelle: AP

Dass die AfD so viel schwächer als der Front National ist, dürfte einerseits an der unverhältnismäßig guten Lage des deutschen Arbeitsmarktes liegen und andererseits an der hierzulande aus historischen Gründen besonders ausgeprägten Sensibilität gegen nationalistische, in irgendeiner Weise als „rechts“ empfundene Positionen. Dazu kommt der Mangel an demagogischem Talent bei der AfD. Dennoch: Harter politischer Streit, ja Feindschaft, wie man sie aus Bundestagsdebatten der 19070er Jahre kennt und jetzt in Frankreich zwischen Macron und Le Pen erlebt, kommt in der Bundesrepublik von 2017 nur auf, wenn die AfD im Spiel ist. 

Dieses Entstehen einer neuen parteipolitischen Konfliktkonstellation ist nicht inhaltlich aber strukturell mit dem parlamentarischen Aufstieg der Sozialdemokraten am Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts zu vergleichen. Die von den damals etablierten konservativen und liberalen Parteien unbefriedigten Interessen der neuen Arbeiterklasse führten in allen europäischen Ländern zum Aufschwung von mehr oder weniger marxistischen Arbeiter-Parteien.

In Bismarcks Deutschland galten sie zunächst als „Reichsfeinde“, eine Stigmatisierung, die jeden anständigen Bürger davon abhalten sollte, sie zu wählen. Aber selbst härtere Repressalien – die von 1878 bis 1890 gültigen „Sozialistengesetze“ – konnten deren zunehmende Stimmengewinne nicht verhindern. Bei den Reichstagswahlen 1912 wurden sie die größte Partei, ohne die kaum noch zu regieren war. In Großbritannien kippte das alte Zweiparteiensystem von Konservativen und Liberalen, das die britische Geschichte des 19. Jahrhunderts geprägt hatte, ab 1906 in nur wenigen Legislaturperioden zum neuen Zweiparteiensystem von Konservativen und Arbeiterpartei, dass dann bis heute die britische Politik prägte.

Vier Gründe für das starke Abschneiden der Extremen

 

Gesellschaftliche Interessenkonflikte, wie der zwischen den Profiteuren der migrationsoffenen, europäisch integrierten oder gar globalisierten Markt-Gesellschaft und den weiterhin national denkenden Gegnern und Verlierern dieser Entwicklung, lassen sich auf Dauer nicht mit moralisierenden Argumenten übertünchen. Wenn etablierte Parteien das ganze Spektrum der politischen Interessen nicht mehr selbst repräsentieren können oder wollen, werden sie sich letztlich damit abfinden müssen, dass ihnen eine neue politische Konkurrenz entsteht, die den Job übernimmt.  

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