Knauß kontert

Die drei zentralen Politiker in der EU

Seite 2/3

Macron, der Pragmatiker

Die erste könnte man als pragmatischen Universalismus bezeichnen. Es war und ist das klassische Erfolgsrezept der westlichen Staaten, die den Universalismus hervorgebracht hatten – Frankreich, England, Amerika: Man argumentiert zwar meist universalistisch, handelt aber letztlich doch im eigenen, nationalen Interesse oder zumindest nicht dagegen.

Westliche Politik ging stets davon aus, dass die geschichtliche Reise irgendwie schon langfristig in Richtung der einen universalen Welt geht und dass natürlich theoretisch alle Menschen dieselben Rechte haben. Aber man hatte es nicht allzu eilig mit dem Weg zur einen Weltgesellschaft und arrangierte sich mit der partikularen Realität der Gegenwart – umso lieber als die Verschiedenheit für sie selbst sehr viel angenehmer war als für den größten Teil des Restes der Welt.

Jenseits der großen Worte blieb also der Primat der Nähe selbstverständlich: Regierungspolitik hat sich eher für das Eigene und das Näherliegende als für die ganze Welt und die anderen einzusetzen.

In dieser Tradition steht vermutlich auch der junge französische Präsident. Macron ließ es in seiner großen Rede an der Sorbonne nicht an europäischem Pathos mangeln. Aber seine Vorschläge für weitere Integrationsschritte haben doch einen ganz handfesten Effekt, der für ihn und seine Wähler entscheidend sein dürfte: Sie würden Frankreich (vor allem deutsches) Geld verschaffen, das Macron braucht, um seine nationalen Reformen weniger schmerzhaft durchziehen zu können.

Deutschland steht offensichtlich nicht in dieser pragmatisch-universalistischen Tradition. Kein Wunder, es ist das Land, das vor 1945 am entschiedensten Widerstand gegen den Universalismus leistete – und durch die Verbrechen des Nationalsozialismus den offenen Partikularismus vollkommen delegitimierte.

Aus dem großen Gegner des Universalismus ist nach 1945 dessen eifrigster Anhänger geworden. In kaum einem anderen Land der EU und der Welt (am ehesten vielleicht noch Schweden) ist die Diskrepanz zwischen universalistischer Ethik und tatsächlicher Politik daher heute so gering wie hierzulande. Nirgendwo sonst ist der Wille, den Weg in die Weltgesellschaft zu beschleunigen und das „Eigene“ endgültig hinter sich zu lassen, so stark. In kaum einem anderen Land zeigen sich regierende Politiker derart überzeugt, dass es ihre Verantwortung sei, globale Probleme zu lösen (zum Beispiel Fluchtursachen) und den Interessen Europas und der gesamten Menschheit Priorität vor denen des eigenen Landes zu geben.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%