Konfliktforscher über Ukraine-Krieg „Es wird in Russland eine schwere Rezession geben“

Nur das russische Volk kann Putins Krieg in der Ukraine stoppen, sagt Konfliktforscher Tilman Brück Quelle: imago images

Der Ökonom und Konfliktforscher Tilman Brück bringt ein umfassendes Handelsembargo gegen Russland ins Spiel – und warnt vor einer russischen Aggression gegen das Baltikum. 

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Tilman Brück ist Gründer und Direktor des International Security and Development Center (ISDC) in Berlin. Die gemeinnützige Denkfabrik beschäftigt sich mit den ökonomischen Folgen von gewaltsamen Konflikten und dem Faktor Unsicherheit. Brück ist zudem Gastprofessor an der Universität Greenwich; früher war er unter anderem Professor für Entwicklungsökonomie an der Humboldt-Universität Berlin.

WirtschaftsWoche: Herr Brückdie Sanktionen des Westens sorgen für große wirtschaftliche Verwerfungen in Russland. Glauben Sie, dass Wladimir Putin davon beeindruckt ist?
Nein. Es wird in Russland eine schwere Rezession geben, aber ob seine Bürger nun ihre Jobs verlieren oder gar Hunger leiden, ist Putin egal. Das System Putin wird sicher nicht durch einen ökonomischen Crash verschwinden. Der Krieg vergeudet zwar enorme Ressourcen. Aber wenn dem russischen Staat das Geld ausgeht, dann kürzt er eben die Renten oder Sozialleistungen. 

Wer oder was kann Putin dann überhaupt stoppen?
Nur das russische Volk, die russische Zivilgesellschaft...

… die Putin gerade niederknüppeln und verhaften lässt, wo sie sich auf die Straße traut.
Ja, es ist ein langer und steiniger Weg. Die russische Führung schreckt vor nichts zurück, auch nicht vor Mord, da ist es für eine Opposition extrem schwer, sich zu formieren. Trotzdem kann der Wandel zu Demokratie und Rechtsstaat nur von der russischen Bevölkerung eingeleitet werden. Putin hat fast die absolute Macht, aber er ist auch verwundbar. Er geht quasi auf großen Stelzen, aber die beginnen zu wackeln, wenn unten einer sägt. Deshalb greift Putin ja gerade derart rabiat gegen Demonstranten durch. Von außen hingegen ist ein Regimewechsel nicht machbar, da sollte sich der Westen keinen Illusionen hingeben.

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Tilman Brück ist Gründer und Direktor des International Security and Development Center (ISDC) in Berlin Quelle: PR

Sollte der Westen trotzdem die Sanktionen verschärfen?
Darüber sollten wir nachdenken. Der Westen war über Jahre zu naiv im Umgang mit Putin. Der letzte Schritt wäre nun die totale wirtschaftliche Blockade, ein komplettes Kappen aller Handels- und Finanzströme mit Russland. Dieses Extremszenario ist die schärfste nicht-militärische Waffe des Westens. Putin würde das wahrscheinlich nach innen als neue und – wünschenswerte – Autonomie verkaufen und eine Art Subsistenzwirtschaft aufbauen. Ein Embargo würde aber die Lage der Bürger derart verschärfen, dass es innenpolitisch heikel werden könnte. Putin müsste sich zunehmend um den Machterhalt im Innern kümmern, statt Zeit für Krieg zu haben.  

Halten Sie es für denkbar, dass sich Putin mit der Ukraine nicht zufrieden gibt und im nächsten Schritt das Baltikum attackiert? 
Ich glaube nicht, dass er dort direkt einmarschiert, es ist ja Nato-Gebiet. Aber Putin wird im Baltikum zündeln, er empfindet die pure Existenz von Estland, Lettland und Litauen als Provokation. Das Baltikum ist für ihn ein Einfalltor für die weitere Destabilisierung des Westens. Putin könnte versuchen, die Bündnistreue der Nato auszuloten, etwa durch Cyberattacken oder durch die Aufstachelung der russischen Minderheit in diesen Ländern durch eingeschleuste Provokateure. Darauf sollten wir uns vorbereiten.

Diese Sanktionen gegen Russland wurden beschlossen

Die Bundesregierung will als Reaktion auf den Krieg ein 100-Milliarden-Sondervermögen zur Modernisierung der Bundeswehr einrichten. Der richtige Weg?
Angesichts der aktuellen Lage: ja. Man darf dabei allerdings nicht vergessen, dass Militärausgaben generell hohe Opportunitätskosten haben, wie es in der Ökonomensprache heißt. Das heißt: Die Gesellschaft verzichtet auf den hohen Nutzen einer alternativen Verwendung dieser Finanzmittel, etwa in Bildung, Forschung und Infrastruktur. Außerdem sollte dieses Geld klug und effizient ausgeben werden – und das hat die Bundeswehr in der Vergangenheit ja nicht geschafft.

Sie beschäftigen sich in Ihrer Forschung mit den ökonomischen Folgen von Konflikten. Wie ist denn der empirische Befund? Zerstörungen führen ja zynischerweise oft zu einer Sonderkonjunktur beim Wiederaufbau...
Aber nur, wenn das betroffene Land über ausreichende finanzielle Mittel für den Wiederaufbau verfügt. Eine Sonderkonjunktur muss man sich leisten können. Viele kriegsbetroffene Staaten, etwa in Afrika, haben das notwendige Geld aber nicht. Kriegsschäden können daher nicht nur einem temporären, sondern auch einen dauerhaften gesellschaftlichen Wohlstandsverlust verursachen. Der Konflikt ist vorbei, aber die Betroffenen leiden weiter. Konkret wirkt ein Krieg auf den Wohlstand der Menschen über die „drei D“: Death, Destruction, Dislocation. Der Konflikt zerstört physisches Kapital, Humankapital, aber auch soziales Kapital wie Vertrauen. Ohne ein Grundvertrauen der Wirtschaftsakteure in innere und äußere Sicherheit, Institutionen und Rechtssystem kann eine Ökonomie nicht gedeihen. Das steht jetzt auch für Deutschland auf dem Spiel.

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