Über den Sinn und Unsinn von Fiskalprogrammen wird lautstark gestritten. Das anhaltend schwache Wachstum im Euroraum, die steigende Rezessionsgefahr und die weiterhin unerträglich hohen Arbeitslosenzahlen in vielen europäischen Ländern sind Grund genug für heftige Diskussionen.
Dabei wurde in den vergangenen Jahren von den Notenbanken alles getan, um das Wachstum anzukurbeln. Doch nachhaltiger Erfolg blieb aus, vielmehr ist das Wachstum weltweit weiterhin blutleer und anfällig.
Wie anfällig, das kann man im Moment in Deutschland aus der Nähe beobachten. Nach einem sehr guten Jahr 2013 und auch noch einem guten Start in das Jahr 2014 ist seit Sommer die wirtschaftliche Dynamik fast zum Erliegen gekommen.
Das Ende der Wachstumslokomotive
Die Ukraine-Krise und die in deren Gefolge verhängten wirtschaftlichen Sanktionen sowie die Beunruhigung um andere weltpolitische Risiken – Stichwörter „Islamischer Staat“ und „Ebola“ – haben dabei sicher eine Rolle gespielt.
Plötzlich steht Deutschland im 3. Quartal vor einer Rezession, jedenfalls im technischen Sinne von zwei aufeinanderfolgenden Quartalen mit Negativwachstum. Das verheißt nichts Gutes für die konjunkturelle Entwicklung im Euroraum. Denn Deutschland war hier in den letzten Quartalen die Wachstumslokomotive. Entsprechend sorgenvoll blicken nun die Regierungschefs in die Zukunft.
Reaktionen auf EZB-Zinssenkung und Wertpapierkäufe
Die EZB senkt im Kampf gegen eine drohende Deflation ihren Leitzins überraschend auf das neue Rekordtief von 0,05 Prozent. Der Schlüsselsatz für die Versorgung des Bankensystems mit Zentralbankgeld lag seit Juni bei 0,15 Prozent. In der anschließenden Pressekonferenz kündigte Zentralbank-Chef Mario Draghi zudem an, dass die EZB sogenannte Kreditverbriefungen (ABS) sowie Pfandbriefe aufkaufen wird. Ökonomen und Händler sagten dazu in ersten Reaktionen:
"Die EZB hatte ihr Pulver schon viel zu früh verschossen und die Zinsen zu weit gesenkt. Jetzt ist sie in der Liquiditätsfalle. Sie kann an dieser Stelle kaum noch etwas tun. Bedauerlicherweise deutet sich auch der Kauf von Anleihen durch die EZB an. Damit würde sie das Investitionsrisiko der Anleger übernehmen, wozu sie nicht befugt ist, weil es sich dabei um eine fiskalische und keine geldpolitische Maßnahme handelt. Eine solche Politik ginge zulasten der Steuerzahler Europas, die für die Verluste der EZB aufkommen müssten."
"Die Notenbanker argumentieren mit den zuletzt schwachen Konjunkturdaten und der geringen Inflation. Auch die gesunkenen mittelfristigen Inflationserwartungen wurden thematisiert. In diesem Zusammenhang wurden auch die Projektionen für Wachstum und Inflation in diesem Jahr nach unten angepasst. Insofern bleibt die Tür für weitergehende Lockerungsschritte weit geöffnet."
"EZB-Chef Mario Draghi hat geliefert, warum auch immer. Für uns ist das nicht gerade eine glückliche Maßnahme. Alle Banken und Vermögensverwalter sind jetzt in noch größerer Not, ihre Liquidität irgendwo zu parken, ohne bestraft zu werden. Auch die Sparer dürften sich verraten fühlen und werden immer mehr ins Risiko gezwungen."
"Die ökonomischen Wirkungen der heutigen Zinssenkung sind vernachlässigbar. Die EZB hat sich im Vorfeld der Zinsentscheidung unnötig unter Zugzwang gesetzt. Die Gefahr, dass der Euro-Raum in eine gefährliche Deflationsspirale rutscht, ist nach wie vor gering. Auf der anderen Seite wächst mit den Aktivitäten der EZB die Gefahr, dass die in mehreren Euro-Ländern dringend erforderlichen Wirtschaftsreformen weiter verschleppt werden."
"Das ist überraschend. Eine Zinssenkung hatte niemand so richtig auf der Agenda - zumal sie konjunkturell nichts bringt und verpuffen wird. Die Deflationsgefahr lässt sich damit nicht vertreiben. Dazu bedarf es eher eines Anleihen-Kaufprogramms. Die EZB signalisiert mit ihrer Maßnahme aber, dass sie sehr weit zu gehen bereit ist. Das ist eher ein symbolischer Schritt. Die realwirtschaftlichen Folgen sind bescheiden."
"Beginnt jetzt auch EZB-Chef Mario Draghi damit, Geld aus dem Hubschrauber abzuwerfen? Wenn Draghi um 14.30 Uhr mit der Pressekonferenz beginnt, wissen wir mehr. Dann wird sich zeigen, ob die Zinssenkung nur das Vorspiel für weiteres geldpolitisches Feuerwerk sein wird oder er damit den bequemsten Weg wählte, um unkonventionelle Maßnahmen in großem Stil ohne Gesichtsverlust abzuwenden."
"Das war schon eine heftige Überraschung, mit einer Zinssenkung hat kaum einer gerechnet. Bei der Senkung der Zinsen handelt es sich zwar nur noch um Nuancen, aber das ist ein wichtiges Signal an die Kapitalmärkte, dass die EZB bereit ist, alles zu tun, was nötig ist."
Arbeitslosigkeit
Die Arbeitslosigkeit ist in den meisten Ländern weiterhin erschreckend hoch, insbesondere bei jungen Menschen. So liegt die Arbeitslosenquote in Frankreich bei 11 Prozent und für Menschen bis 25 Jahre bei 24 Prozent.
In Italien ist es mit 12 Prozent und 44 Prozent noch schlimmer. In Spanien wird mehr als die Hälfte einer ganzen Generation vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen: Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 54 Prozent, die Arbeitslosenquote insgesamt beträgt 24 Prozent.
Die gesellschaftlichen Langfristfolgen kann man sich kaum ausmalen. Aber es liegt auf der Hand, dass solche Zustände das politische System insgesamt schwächen.
Nun wird also nach einem europaweiten Beschäftigungsprogramm gerufen, auch um den Druck von den nationalen Regierungen zu nehmen. Aber die Forderungen gehen jetzt darüber hinaus und richten sich auf ausgedehnte Fiskalprogramme – so sollen die öffentlichen Investitionen erhöht werden. Die laufende Diskussion hat umso mehr Gewicht, als auch der Internationale Währungsfonds sich hier einreiht.
Stimmen aus dem Ausland zur EZB-Politik
„Bei der Verkündung der EZB-Maßnahmen war ein Hauch von Verzweiflung zu spüren. Europa befindet sich im Sog eines Deflationsstrudels. Es ist zwar gut, zu wissen, dass sich die EZB dessen bewusst ist. Aber die Erleuchtung könnte zu spät gekommen sein.“
„Die Notenbank in Frankfurt hat ihr wirksamstes Instrumentarium weitgehend ausgereizt, die Strukturschwäche in der Euro-Zone kann und wird sie mit ihren Mitteln nicht überwinden können. […] Die EZB will um jeden Preis den Eindruck vermeiden, ihr gingen im Kampf um die Erhaltung der Währungsunion und des Euro die Mittel aus. Doch ihr Präsident gibt inzwischen unumwunden zu, dass es immer schwieriger werde, allein mit der Geldpolitik für Preisstabilität in der Euro-Zone zu sorgen.“
„Jetzt ist die perfekte Zeit für eine fiskalische Expansion und nicht für eine weitere Schrumpfung. Europa kommt gerade aus einer schweren Rezession, die von unzureichender Nachfrage verursacht wurde. Die Rentenerträge sind auf einem historischen Tiefpunkt, und viele Länder haben ungenutzte Kapazitäten im Bausektor. Wer glaubt, die EZB könne die Lage mit noch niedrigeren als den ohnehin schon minimalen Zinsen retten, der irrt.“
„Genau in dem Moment, als die amerikanische Notenbank Fed ihre Geldpolitik strafft, entschied sich die EZB, ihre zu lockern. Das Zusammenwirken wertet logischerweise den Euro ab, zur Zufriedenheit Frankreichs. Doch Draghi kann die Wirtschaften Europas nicht allein ankurbeln. Jetzt liegt es an jedem Land selbst, sich zu reformieren.“
„Es ist keine starke Waffe, wie das Quantitative Easing, um die Stagnation zu bekämpfen. Doch das neue Programm, das Mario Draghi zum Ankauf von Bankpapieren angekündigt hat, könnte sich trotzdem als sehr effizientes Instrument erweisen.“a
Geldpolitik löst nicht die Probleme, die das Wachstum behindern
Wie konnte es so weit kommen? Haben nicht die Zentralbanken ihr Mandat bis an die Grenzen, zuweilen auch darüber hinaus genutzt? Nach ersten Erfolgen zeigt sich aber nun, dass man mit der Geldpolitik die Probleme, die das Wachstum behindern, nicht lösen kann.
Auch wenn es schon oft gesagt wurde, bleibt richtig: Die Notenbanken können den Regierungen letztlich nur etwas Zeit verschaffen, um die Reformen anzugehen und umzusetzen. Und dieses Zeitfenster ist mehr als eng.
Die Notenbanken stoßen mit ihrer Politik an Grenzen. Die Effektivität der geldpolitischen Maßnahmen lässt nach – sie unterliegen also auch einem fallenden Grenznutzen. Wenn nun dieses Instrument ausgereizt ist, liegt es nahe, dass die Politik zum nächsten Instrument greift, der Fiskalpolitik.
Enge Grenzen durch den Maastricht-Vertrag
Hier sind den Ländern im Euroraum eigentlich durch den Maastricht-Vertrag enge Grenzen gesetzt, aber das zu erwähnen ist zurzeit nicht populär. Außerdem wird zunehmend klar gefordert, dass die starken Länder – insbesondere Deutschland – sich in europaweiten Programmen stärker engagieren sollen.