Korruptionsaffäre Dubiose Machtzirkel im Europäischen Parlament

Jeder kann sie einrichten, niemand kontrolliert sie: Freundschaftsgruppen von Europa-Abgeordneten führten bisher ein Eigenleben. Das soll sich ändern.

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Eine offizielle Aufstellung gibt es nicht. Niemand weiß, wie viele Freundschaftsgruppen im Europäischen Parlament existieren. Vor ein paar Jahren kursierte eine Liste mit 40 Gruppen, aber die ist nicht mehr aktuell. Erst die Bestechungsaffäre um die abgesetzte Vizepräsidentin Eva Kaili hat die Europa-Abgeordneten dazu veranlasst, die bisherige Grauzone auszuleuchten. Am Donnerstag stimmten sie mit großer Mehrheit dafür, diese Machtzirkel künftig besser zu überwachen.

Bisher konnten sich Europa-Abgeordnete zusammenschließen und Kontakte zu Drittstaaten pflegen, ohne Rechenschaft abzulegen. Theoretisch müssen die Parlamentarier deklarieren, wenn sie von Unternehmen oder Regierungen eingeladen werden. In der Vergangenheit wurde das jedoch nicht überprüft. Und was genau bei Treffen oder Reisen passierte schon gar nicht.

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, David McAllister (CDU), störte sich schon länger an den inoffiziellen Zusammenschlüssen, die bei Besuchen im Ausland gerne einmal den Eindruck erwecken, sie würden Positionen des Europäischen Parlaments vertreten. „Es gibt einige Freundschaftsgruppen, die unsere Arbeit untergraben könnten“, sagt McAllister.

Die 45 offiziellen Delegationen des Europäischen Parlaments, die mit Drittländern Kontakt halten, kann McAllister als Ausschussvorsitzender überwachen. Es ist dagegen unwahrscheinlich, dass je herauskommt, was auf den Ausflügen der Freundschaftsgruppen und ihren Treffen mit Abgesandten von Drittstaaten wirklich passiert ist. Im Europäischen Parlament kursieren Geschichten davon, wie sich die informellen Zirkel von Gastgebern haben vereinnahmen lassen und wie Regierungen den hohen Besuch aus Brüssel zu inszenieren wussten.

Künftig soll es ein Register der Gruppen und ihrer Mitglieder geben. Bisher führen nur wenige Freundschaftsgruppen ihre Mitglieder auf. Ausgerechnet die Freundschaftsgruppe für Katar pflegt Transparenz. Allerdings spricht es für sich, dass die Liste auf der Website der Botschaft von Katar in Belgien zu finden ist. Die Freundschaft der Mitglieder mit dem Scheichtum scheint wahrhaftig sehr eng zu sein.

Unter den Mitgliedern der Freundschaftsgruppe Katar dominieren Männer aus Süd- und Südosteuropa. In der aktuellen Legislaturperiode, die 2019 begonnen hat, sei man noch nicht nach Katar gereist, versichert der Vorsitzende Cristian-Silviu Busoi in einer E-Mail. Seit 2020 sei die Gruppe ohnehin inaktiv. Der rumänische Christdemokrat weist darauf hin, dass ihm der Vorsitz des Industrieausschusses im Europäischen Parlament wenig Zeit für ein weiteres Engagement lasse. Für das Scheichtum Katar ist es dagegen sicherlich interessant, Zugang zu einem der wichtigsten Ausschüsse im Europäischen Parlament zu haben, in dem über Themen wie seltene Erden und Künstliche Intelligenz entschieden wird.



Einblick in frühere Reisen von Freundschaftsgruppen geben die offiziellen Erklärungen von Europa-Abgeordneten. Zum Beispiel die des spanischen Christdemokraten Antonio López-Istúriz White, der im März in die Vereinigten Arabischen Emirate reiste, gesponsert von den Gastgebern. Die Anreise erfolgte in der Business Class, die Gruppe logierte im Fünf-Sterne-Hotel Jumeirah Emirates Towers Hotel. Zwischen den Terminen blieb ausreichend Zeit zum Ausspannen am Pool oder Shoppen. Geschenke, die mehr als 100 Euro wert sind, müssten Europa-Abgeordnete theoretisch bei der Parlamentspräsidentin Roberta Metsola abgeben. In der Praxis prüft das niemand nach.

Die Freundschaftsgruppe China hatte Ende 2020 ihre Aktivitäten ausgesetzt, nachdem es Kritik an zu großer Nähe zu Peking gab. Die Gruppe war 2019 für sechs Tage auf Kosten von Huawei und China Petrol nach China gereist. Der AfD-Politiker Krah verteidigt den umstrittenen chinesischen Telekom-Infrastrukturausstatter Huawei gerne gegen Kritik. „Das Verteufeln von Huawei hat geopolitische und ökonomische Gründe“, argumentiert Krah etwa.

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Vor sieben Jahre hatte sich ein Europa-Abgeordneter beim damaligen Parlamentspräsidenten Martin Schulz (SPD) über die Freundschaftsgruppen beschwert. Es war der italienische Sozialdemokrat Antonio Panzeri, der heute im Mittelpunkt der Affäre Kaili steht. „Die Freundschaftsgruppen wurden und werden von den jeweiligen Ländern benutzt, um einen formalen Kontakt mit dem Europäischen Parlament zu vermeiden“, sagte Panzeri damals dem Online-Medium EU-Observer. Konsequenzen gab es damals nicht.

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