Krieg in der Ukraine Wie der Abfluss ukrainischer Arbeiter Polen belastet

Zwei Männer warten am Grenzkontrollpunkt Hrebenne an der polnisch-ukrainischen Grenze auf die Einreise in die Ukraine, um sich den ukrainischen Streitkräften anzuschließen. Quelle: dpa Picture-Alliance

Die polnische Wirtschaft ist abhängig von Gastarbeitern aus der Ukraine. Doch die wollen nun zurück in ihre Heimat, um zu kämpfen. Der Arbeitskräftemangel spitzt sich zu. Auch deutsche Unternehmen sind betroffen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Kiew liegt in normalen Zeiten zehn Autostunden entfernt von Warschau. Und doch hat der Krieg in der Ukraine Steffen Zimney dort schon eingeholt. Der Deutsche, der seit 17 Jahren in Polen lebt, beschäftigt mit seinem Unternehmen Zumax, einer Plattform für Innenausbau, 60 Leute. Davon stammen 24 davon aus der Ukraine – und drei von ihnen sind bereits nach Hause gefahren. „Die anderen würden am liebsten auch sofort losfahren“, sagt Zimney. „Der Druck, was Arbeitskräfte angeht, wächst hier gewaltig.“

Ein Freund von ihm, der Bautrupps zum Aufstellen von Fertighäusern organisiert, ist noch erheblicher betroffen: Einer seiner Bautrupps mit je zwölf Leuten ist geschlossen in die Ukraine gefahren, um für ihr Land zu kämpfen. Polnische Medien zeigen Aufnahmen von Bussen voller in die Ukraine zurückfahrenden jungen Männern, die auch Medizin, Lebensmittel und Kleidung mit in die Heimat nehmen.

Polnischen Schätzungen zufolge sind während der ersten Kriegswoche allein aus der Bauwirtschaft 100.000 ukrainische Arbeiter aus Polen zurück in ihre Heimat aufgebrochen, um dort zu kämpfen. Weitere zehntausende ukrainische Lastwagenfahrer sind unterwegs, um in der Heimat Waffen aufzunehmen: „Am meisten vom Abfluss der ukrainischen Arbeitskräfte betroffen sind kleine und mittleren Unternehmen“, sagt Christopher Fuß von der deutschen Außenwirtschaftsagentur GTAI Germany Trade & Invest. Gleichzeitig strömten mehr als 700.000 Flüchtlinge, meist Frauen und Kinder, auf dem entgegengesetzten Weg aus der Ukraine nach Polen.

Arbeitskräftemangel verschärft sich

Polen litt angesichts der schnell wachsenden Wirtschaft ohnehin schon unter einem großen Arbeitskräftemangel: „Vom Ingenieur bis zum Fließbandarbeiter fehlen in Polen die Fachkräfte“, so GTAI-Ökonom Fuß. Vor der russischen Invasion in die Ukraine lebten zwischen ein und eineinhalb Millionen Ukrainer als Gastarbeiter in dem Nachbarland, 600.000 von ihnen sind sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Viele füllten die Lücken, die polnische Arbeiter gerissen hatten, die auf der Suche nach besseren Chancen und höheren Bezahlung seit dem EU-Beitritt 2004 Richtung Westen gezogen waren. Manche haben Aufenthaltsgenehmigungen für ein Jahr, viele kommen aber kurzfristig für drei oder sechs Monate zum Arbeiten nach Polen. Die polnische Zentralbank schätzte 2020, dass ukrainische Arbeiter jedes Jahr einen halben Prozentpunkt zum Wachstum der polnischen Volkswirtschaft beigetragen haben.

Das interessiert WiWo-Leser heute besonders

Geldanlage Das Russland-Risiko: Diese deutschen Aktien leiden besonders unter dem Ukraine-Krieg

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine belastet die Börsen. Welche deutschen Aktien besonders betroffen sind, zeigt unsere Analyse.

Krisenversicherung Warum Anleger spätestens jetzt Gold kaufen sollten

Der Krieg in der Ukraine und die Abkopplung Russlands von der Weltwirtschaft sind extreme Inflationsbeschleuniger. Mit Gold wollen Anleger sich davor schützen – und einer neuerlichen Euro-Krise entgehen.

Flüssigerdgas Diese LNG-Aktien bieten die besten Rendite-Chancen

Mit verflüssigtem Erdgas aus den USA und Katar will die Bundesregierung die Abhängigkeit von Gaslieferungen aus Russland mindern. Über Nacht wird das nicht klappen. Doch LNG-Aktien bieten nun gute Chancen.

 Was heute noch wichtig ist, lesen Sie hier


Die Situation betrifft auch deutsche Unternehmen in Polen. In jüngster Zeit hatten sich drei deutsche Unternehmen in Rzeszow im Südosten Polens ganz nahe der ukrainischen Grenze angesiedelt: Der Hersteller von Ladekabeln für Elektroautos, Phoenix Contact E-Mobility, der Hersteller von Bremssystemen Knorr-Bremse und das Logistikunternehmen DB Schenker. Keines der drei Unternehmen wollte auf Anfrage der Wirtschaftswoche offiziell Stellung nehmen. Von Phoenix Contact heißt es auf Anfrage lediglich, dass sie aktuell keine Arbeiter aus der Ukraine beschäftigten.

Neue Initiativen, Betriebe in Rzeszow anzusiedeln, sind erst einmal auf Eis gelegt worden. Ein Logistikzentrum, das von Polen aus Waren in den Osten liefern sollte, wird zunächst nicht weiter verfolgt. Eine andere Firma hatte angesichts der volatilen Lage in der Ukraine entschieden, einen Ortstermin in Rzeszow erst einmal zu verschieben.

Wojciech Trojanowski, der Geschäftsführer der polnischen Niederlassung des Bauunternehmens Strabag, spürt die Auswirkungen des Kriegs in seinem Unternehmen deutlich. Ein Großteil der 100 seiner ukrainischen Mitarbeiter sind in die Ukraine gefahren, um zu kämpfen. Angesichts der insgesamt 6500 Leute, die für Strabag in Polen arbeiten, ist das verkraftbar. Aber seine Subunternehmer beschäftigen oft zu 80 Prozent ukrainische Arbeiter.


Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%