Krim-Krise Russlands Nachbarn zittern vor Putin

Mit der Annexion der Krim legt Präsident Putin die europäische Sicherheitsarchitektur in Schutt und Asche. Russlands Nachbarn sorgen sich, wen Putins Großmachtträume noch treffen könnten.

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Angst in Osteuropa
Estland25 Prozent der Bevölkerung sind ethnische Russen. 2007 erlebte das High-Tech-Land einen schlimmen Hackerangriff wohl aus Russland – da wird die Krim-Krise zum Albtraum. Quelle: dpa Picture-Alliance
LettlandOhne russisches Gas gehen rund um Riga die Lichter aus. Das wissen die zwei Millionen Letten, von denen mehr als ein Drittel Russisch als Muttersprache angibt. Quelle: REUTERS
LitauenHier begann vor 25 Jahren der Zerfall der Sowjetunion, hier verschifft Russland heute viel Erdöl. Zum russischen Erdgas gibt es auch in Litauen bislang keine Alternative. Quelle: REUTERS
WeißrusslandDas unterentwickelte Land hat seine Pipelines an Russland verkauft und Raffinerien an Moskauer Banken verpfändet. Minsk ist abhängig von Moskau wie keine andere Regierung. Quelle: dpa
UkraineDie neue Regierung drängt in Richtung EU, der Osten des Landes ist mit Russland verbandelt. Aber der Handel mit Russland nimmt ab, die Oligarchen sind auf West-Kurs. Quelle: dpa
KasachstanIm Norden des Landes gibt es viele Städte, in denen Russen die Mehrheit stellen. Kasachstan ist mit seinen Rohstoffen außerdem für Russland wirtschaftlich sehr attraktiv. Quelle: dpa
AserbaidschanDie ölreiche Staat drängt sich den Europäern als alternativer Lieferant auf, der Europa bei der Diversifizierung der Energieversorgung helfen kann.Das passt den Russen gar nicht. Quelle: dpa

In diesen Tagen des aufgeheizten Nationalismus floriert in der Ostukraine ein Café, in das die Angst vor einem Krieg mit Russland noch nicht vorgedrungen ist. In der „Lemberger Schokoladen-Meisterei“ am Puschkin-Boulevard von Donezk kredenzen sie vor dem Interieur im Habsburger Stil feine Pralinen zum Filterkaffee. Der prorussische Osten wirkt hier gar nicht sowjetisch – eher europäisch, was paradox ist: Ausgerechnet in diesem Café stärken sich jene, die auf der nahen Artjom-Straße gegen die Kiewer Regierung und ihren EU-Kurs demonstrieren. „Wir haben nichts gegen den Westen“, sagt Olena Mishkevych, die öfters hier einkehrt, „aber der Einfluss der Radikalen auf die Regierung in Kiew macht uns Angst.“

An der Kaffeehaus-Kultur mag man eine Spaltung der Ukraine nicht erkennen, doch die Spannungen zwischen Ost und West nehmen zu. Die zur Propaganda-Maschinerie verkommenen russischen Staatsmedien trommeln ohne Unterlass die Mär, in Kiew hätten einzig Faschisten die Macht. Statisten streifen sich für Putins TV Hakenkreuzbinden über – so wollen die Medien Panik schüren. Derweil fragt man sich in Kiew und in der Welt: Krallt sich Kremlchef Wladimir Putin die Ostukraine – natürlich zum vermeintlichen Schutz der Landsleute?

Die Büchse der Pandora ist geöffnet. Mit dem Krim-Anschluss greift sich der Kreml das Territorium eines fremden Landes. Das ist ein dreister Bruch des Völkerrechts, territoriale Integrität hat Russland der Ukraine etwa im GUS-Vertrag von 1993 zugesichert. Russland erweitert seine Grenzen, weil es sich dazu stark genug wähnt. Selbst die russische Mittelschicht, die vor zwei Jahren gegen Putin auf die Straße ging, klatscht Beifall. Europa hat nichts entgegenzusetzen.

Ohnmacht dominiert

So zerfällt die Sicherheitsarchitektur, die seit dem Ende des Ost-West-Konflikts Frieden und Sicherheit in Europa aufrecht erhalten hat. Für Deutschland mag das keine unmittelbare Bedrohung sein, wirtschaftlich ist Russland mit der Bundesrepublik zu sehr verzahnt, als dass eine konfrontative Außenpolitik dauerhaft möglich wäre. Umso mehr fürchten sich Russlands Nachbarn vor der expansiven Politik: die Kasachen mit ihrer russischen Minderheit, die Balten mit ihrer massiven Abhängigkeit von russischem Gas. Wie umgehen mit dem Oberbefehlshaber einer der größten Armeen der Welt, der keine Grenzen mehr zu kennen scheint?

In Europa dominiert die Ohnmacht. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) wirkt erschöpft, als er am Mittwoch vergangener Woche im Berliner Hotel Adlon von der „schwersten Krise seit dem Kalten Krieg“ spricht. Wegen des Völkerrechtsbruchs stehe Europa „vor der Rückabwicklung zivilisatorischen Fortschritts“. Putins Vorgehen auf der Krim wecke bei Nachbarn „böse Erinnerungen und Befürchtungen“. Dieser Präzedenzfall könne bedeuten, „dass in Europa weitere Grenzen infrage gestellt werden“. Tags darauf wird er in Brüssel zwar den leicht verschärften Sanktionen zustimmen – einen Wirtschaftskrieg mit Russland aber will er nicht lostreten. Andere sehen das kritischer: „Es geht nicht um jahrelange Sanktionen, sondern um wirksame Signale“, sagt der CDU-Abgeordnete Roderich Kiesewetter. „Aber die Wirtschaft wird sich daran beteiligen müssen, sonst wertet Putin das als Zeichen der Schwäche des Westens.“

Das Denken in den simplen Kategorien von „Stärker“ und „Schwächer“ fällt den Europäern schwer. Das Einmaleins der Geopolitik hat Europa in den Jahren der Nabelschau, als es stets nur um die Euro-Krise ging, verlernt. Künftig wird sich Brüssel wieder mit der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik auseinandersetzen müssen, sagt Jan Techau vom Thinktank Carnegie Europe, wobei „Debatten bisher ohne das Bedrohungsszenario geführt wurden“. Schlagkraft zeigt Europa dabei nur, wenn Frankreich, Deutschland und Großbritannien sich einig sind.

Sicherheitsexperte Michael Paul von der Stiftung Wissenschaft und Politik rät der Politik, Putins geopolitisches Denken stärker zu berücksichtigen: „Wir müssen akzeptieren, dass es in der Welt noch Denken in Einflusszonen gibt.“

Das Baltikum und Weißrussland

Das Baltikum

Beklommenheit macht sich dieser Tage in Lettland breit. Der Journalist Didzis Melkis vom Wirtschaftsblatt „Dienas Bizness“ erklärt das so: „Das Drehbuch Putins auf der Krim ließe sich hier eins zu eins kopieren.“ Lettland hat einen russischen Bevölkerungsanteil von 35 Prozent, in vielen Stadtteilen der Hauptstadt Riga hört man mehr Russisch als Lettisch, in Daugavpils, der zweitgrößten Stadt des Landes unweit der weißrussischen Grenze, machen die ethnischen Letten laut staatlicher Volkszählung keine 20 Prozent der Bevölkerung aus. „Glücklicherweise haben wir nicht mehr die Spannungen mit der russischen Volksgruppe wie vor 15 Jahren, und darum fühle ich mich doch sehr sicher“, sagt der lettische Journalist.

Der tolerante Umgang des lettischen Staats mit der Minderheit hat sich ausgezahlt: EU und Nato haben Lettland wie seine beiden Nachbarn Estland und Litauen als vollwertige Mitglieder akzeptiert. Das stärkt den kleinen Ostseeanrainern den Rücken gegen den riesigen Nachbarn im Osten – und hat dazu geführt, dass die Russen heute „sehr loyale“ lettische Staatsbürger sind, wie Melkis beobachtet. Trotzdem stünden die meisten im Krim-Konflikt auf Putins Seite: „Die konsumieren russisch-sprachige Medien, die russischen Oligarchen gehören und Propaganda für Russland machen – das ist schon schizophren!“ Und vielleicht doch nicht ganz harmlos.

Lettlands wirtschaftliche Abhängigkeit von Russland hält sich in Grenzen – bis auf die Achillesferse Energieversorgung. Wie Lettland importieren auch Estland und Litauen das gesamte Gas aus Russland, andere Energieträger spielen bis auf das ebenfalls aus Russland stammende Erdöl in Litauen und einen überschaubaren Kohlebergbau in Estland kaum eine Rolle. So soll es freilich nicht bleiben: Mit finanzieller Unterstützung aus Brüssel wollen die EU-Mitgliedstaaten Finnland, Estland und Lettland den Bau eines gemeinsamen Hafens zur Anlandung von Flüssiggas (LNG) in Angriff nehmen. Das Projekt hat sich lange verzögert, weil jedes der Länder den Hafen an der eigenen Küste bauen wollte. Jetzt drängt die Zeit, und wahrscheinlich wird die Entscheidung für einen Standort in Estland fallen.

Weißrussland

Alexander Lukaschenko, der Dauerherrscher in Minsk, reagiert gleichgültig auf die Ereignisse in der Ukraine. Es sei „billig“ vonseiten westlicher Journalisten, sein Land mit Fragen nach möglichen Attacken der Russen zu beunruhigen, sagte er vor wenigen Tagen vor dem Nationalen Sicherheitsrat. „Wir und die Russen sind ein Volk, genauso wie die Ukrainer: Als Slawen werden wir stets zusammenstehen.“

Das war nicht immer so. Europas letzter Diktator Lukaschenko legte sich häufiger mit dem Bruderstaat Russland an – meist ging es um die Öl- oder Gaspreise, die die russischen Lieferanten erhöhen wollten. Weißrussland ist aber auf billiges Gas angewiesen, um die quasi-sowjetische Umverteilungswirtschaft erhalten zu können: Hohe Gaspreise drohen die mäßig wettbewerbsfähige Industrie völlig vom Weltmarkt abzuhängen. Mehrfach ging Lukaschenko den Weg der Eskalation: 2007 ließt er Öl aus der Druschba-Pipeline abzapfen, drei Jahre später blieb er bei Gasrechnungen säumig. Jedes Mal stellte Russland die Lieferungen an den Nachbarn ein, was in Europa Versorgungsängste hervorrief.

Heute ist die Infrastruktur des Landes praktisch in russischer Hand: Der Pipeline-Betreiber Transneft, ein Konzern unter der Kontrolle des Kremls, hält die Mehrheit am weißrussischen Rohrleitungsnetz, Raffinerien sind teilweise an Russlands staatliche Sberbank verpfändet oder gehören der Öltochter von Gazprom. Das war der Preis für Kredite, mit denen der Kreml den kriselnden Nachbarn in der Finanzkrise päppelte. Der litauische Politologe Vitis Jurkonis sagt: „De facto hat Russland die Weißrussen bereits okkupiert.“

Brenzlich könnte es werden, wenn in Minsk ein Machtwechsel ansteht. Alexander Lukaschenko wird zwar in diesem Jahr erst 60 und könnte noch einige Jahre den Diktator spielen. Doch manch einer ist den Personenkult und ökonomischen Stillstand leid. Nach manipulierten Präsidentschaftswahlen im Dezember 2010 kam es zu Massenprotesten von Regimegegnern, die die Staatsmacht brutal zurückschlagen ließ. Beobachter halten Proteste wie in der Ukraine auch in Weißrussland für möglich – doch ob Putin dies beim Nachbarn Weißrussland zulassen würde? Wohl kaum!

Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn

Polen

Das hat es im polnischen Parlament seit fast einem Jahrzehnt nicht gegeben: Der Oppositionsführer spendet dem Ministerpräsidenten demonstrativ Beifall. Spinnefeind sind sich ansonsten der stockkatholische Nationalist Jaroslaw Kaczynski und der bürgerlich-liberale Regierungschef Donald Tusk, aber dieses Thema lässt sie allen Hader vergessen: Alle Polen, auf die es ankommt, stehen aufseiten der Ukraine und blicken mit Angst nach Moskau.

Die Angst liegt in der leidvollen Erinnerung an die sowjetkommunistische Dominanz vor 1990 begründet, die seit der Krim-Krise wieder besonders ausgeprägt ist. Alle polnischen Regierungen werben seit Jahren für die Integration des großen Nachbarn Ukraine in den Westen, auch aus ökonomischen Gründen. Die Ukraine, hofft Warschau, könnte Polens Entwicklung an der Ostgrenze befördern.

Polnische Unternehmen spielen unter den wenigen EU-Investoren in der Ukraine eine führende Rolle, etwa fünf Prozent des gesamten polnischen Exports gehen in das Nachbarland. Schon jetzt rechnen Warschauer Ökonomen damit, dass die ukrainischen Turbulenzen Polens Wirtschaftswachstum in diesem Jahr um 0,3 Prozent schmälern werden. Dergleichen wird in Warschau mehr diskutiert als ein möglicher Stopp der russischen Erdgaslieferungen, die ungefähr 55 Prozent des polnischen Gasverbrauchs ausmachen. Die Polen haben auch aus Verärgerung über die über ihre Köpfe hinweggehenden russisch-deutschen Erdgasdeals in den vergangenen Jahren den Bau eines LNG-Terminals in Swinoujscie begonnen, über den in knapp einem Jahr schon Erdgas aus Katar oder Algerien nach Polen kommen soll. Und vielleicht auch nach Deutschland? Die Hafenstadt auf der Insel Usedom – das alte Swinemünde – liegt 232 Straßenkilometer von Berlin entfernt.

Tschechien, die Slowakei und Ungarn

Die zehn Millionen Tschechen brauchen keine Angst haben, dass Russland ihnen den Öl- oder Gashahn zudreht. Das Land ist der drittgrößte Energie-Exporteur unter den EU-Staaten und sieht sich mit einem Energiemix aus importiertem Gas und Öl, heimischer Steinkohle und im Land unumstrittener Kernkraft auf der sicheren Seite. Die Sorge hat mit Ökonomie wenig und mit politischen Erinnerungen viel zu tun: Der sowjetische Truppeneinmarsch in die damalige Tschechoslowakei 1968 kehrt als Trauma wieder angesichts der Nachrichten aus der Ukraine.

Diese Erinnerungen gibt es genauso im Nachbarland Slowakei. Und dazu kommt eine erhebliche Abhängigkeit von russischen Öl- und Gaslieferungen. In Bratislava denkt man mit Unbehagen an die Tage Anfang 2009, als Gazprom der Ukraine den Gashahn abdrehte – worauf es auch in den slowakischen Häusern und Fabriken kalt wurde. Seitdem bemühen sich die Slowaken um geografische Differenzierung ihrer Energieversorgung. Es gibt das Projekt einer Nord-Süd-Pipeline von der Ostsee in Polen über die Slowakei und Ungarn bis zur kroatischen Adriaküste, durch die Erdgas in beide Richtungen fließen soll.

Auch die Ungarn hängen am russischen Gas. Das Land hat praktisch keine eigenen Energiequellen. Lange hatten Budapester Politiker auf das Nabucco-Projekt gesetzt – eine Pipeline, die aus Aserbaidschan Gas nach Mitteleuropa befördern sollte. Das ist geplatzt, nun schaut das Land in die Röhre. Was besonders schlimm ist, weil Ungarn für Bürger und Unternehmen die Energie erheblich subventioniert – typisch für Regierungschef Viktor Orbán, der Putin in seinem Populismus in nichts nachsteht.

Rumänien und Bulgarien, Moldawien

Rumänien und Bulgarien

Die amerikanische Kriegsmarine schickte vergangene Woche einen Zerstörer ins Schwarze Meer – zum Manöver mit bulgarischen und rumänischen Streitkräften. Washington will den Nato-Mitgliedern damit Unterstützung signalisieren. Zwar sind militärische Aggressionen der Russen gegen beide Länder ganz unwahrscheinlich, aber gerade Bulgarien wäre bei einem Stopp der Energieexporte aufgeschmissen: 98 Prozent ihres Öls und mindestens 85 Prozent des benötigten Gases beziehen die Bulgaren aus Russland – die heimische Steinkohle reicht nicht einmal für den eigenen Bedarf.

Kein Wunder, dass Bulgarien im Kreis der 28 EU-Länder am deutlichsten vor harten Sanktionen gegen Russland warnt. Viel unabhängiger von Moskau sind dagegen die Rumänen, deren Erdöl zu 43 Prozent aus eigener Produktion stammt, beim Erdgas sind es sogar 78 Prozent. Der Krim-Konflikt macht den Rumänen aus anderen Gründen Sorgen: Eine Flüchtlingswelle aus dem Nachbarland Ukraine wäre für das arme Land kaum zu verkraften. Und ganz schlimm käme es, wenn die starke Minderheit der ethnischen Ungarn im Nordwesten des Landes nach dem Vorbild der Russen auf der Krim versuchen würde, die Staatsgrenzen zu verschieben.

Moldawien

Als die Sowjetunion zerfiel und der Nationalismus neu erwachte, wollten die Moldawier nur mehr Rumänisch sprechen – und schafften Russisch als Amtssprache ab. Das trieb 1990 die Bewohner der Region Transnistrien dazu, ihre Unabhängigkeit zu erklären. Damit entstand der erste De-facto-Staat im erodierenden postsowjetischen Raum. Auf dem Territorium im Grenzgebiet zwischen Moldawien und der Westukraine sind derzeit russische Truppen stationiert. Bereits 2006 stimmte die Möchtegernrepublik Transnistrien in einem Referendum für einen Anschluss an Russland. Nun soll die Staatsduma erneut über die Aufnahme des fernen Landstrichs beraten.

Während die Region Transnistrien am Tropf des Kremls hängt, drängt Moldawien nach Europa. Ähnlich wie Georgien hat das kleine Land, das wirtschaftlich eng mit Rumänien verknüpft ist, Fortschritte bei der Übernahme von EU-Standards gemacht. Im Sommer soll das Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnet werden, was dem Land über die Öffnung des EU-Wirtschaftsraums ökonomische Vorteile und Rechtssicherheit bringen soll. Bis dahin ist der Weg allerdings noch weit. „Russlands Erfolge in der Nachbarschaft werden Moskau wohl verleiten, den Druck auf die Republik Moldawien zu erhöhen“, fürchtet Stanislav Secrieru vom European Council on Foreign Relations. Im November sind zudem Wahlen – und die proeuropäische Regierungskoalition steht unter Beschuss: Trotz hoher Wachstumsraten sind Umfragen zufolge mehr als 70 Prozent der Moldawier mit dem Kurs der Regierung unzufrieden. Die Übernahme der EU-Standards hat ökonomische Härten zur Folge. Bald könnte Moskau die Visa für moldauische Gastarbeiter verweigern, um weiter Druck zu machen. Womöglich schlägt in Chisinau bald die Stunde der Populisten.

Georgien und Aserbaidschan

Georgien

Als der Hitzkopf Michail Saakaschwili seine Armee in der Nacht zum 8. August 2008 auf das abtrünnige Südossetien losließ, standen russische Panzer hinter den Bergen mit laufendem Motor bereit. Es dauerte vier Tage, ehe Russland den Kaukasuskrieg gewonnen hatte – und noch einmal zwei Wochen, bis der Kreml Georgiens abtrünnige Republiken Südossetien und Abchasien als unabhängig anerkannte. Georgien hat also erlebt, was der Ukraine später widerfahren ist: der Verlust von Teilen eigenen Territoriums an Russland.

Sicher hatte Moskau die Reibereien in den Teilrepubliken bewusst angeheizt. Die Menschen wurden mit der russischen Staatsbürgerschaft ausgestattet, um der weiß-blau-roten Armee einen Vorwand für Interventionen zu geben. Gleichwohl ging die Attacke klar von georgischer Seite aus, wie hinterher auch ein Untersuchungsbericht der EU-Kommission bestätigte. Der damalige Präsident Saakaschwili hatte die Bereitschaft der USA überschätzt, seinem kleinen Land mit mehr als ein paar Militärberatern beizustehen.

Georgien stürzte durch den Krieg damals in eine tiefe Sinnkrise, die sich nicht nur daran ablesen ließ, dass der hypernervöse Präsident in einem Fernsehinterview an seiner Krawatte knabberte. Vor allem traf ein Embargo der Russen das Land mit seinen 4,5 Millionen Einwohnern hart: Plötzlich war der größte Absatzmarkt für Wein und Wasser weggebrochen. Die Georgier haben den Schock inzwischen verdaut: Da lokale Unternehmen auf Richtung Europa expandieren mussten, führten die Winzer EU-Standards ein. In der Verwaltung kehrten die Georgier korrupte wie faule Beamte aus, um das Land fit für Investitionen aus dem Westen zu machen.

Zwar hat Georgien auch heute noch eine hohe Arbeitslosigkeit. Im Doing-Business-Report der Weltbank findet sich Georgien aber auf Platz 8 von 189 – weit vor der Bundesrepublik auf Rang 21. Damit ist die kleine Kaukasusrepublik das mit Abstand investorenfreundlichste Land im postsowjetischen Raum. Georgien hat rasch die Vorgaben eines EU-Assoziierungsabkommens vorweggenommen, das in diesem Sommer unterzeichnet werden soll. Danach müssen nur Investoren kommen.

Aserbaidschan

In der Ölstadt Baku schaut man mit Sorge auf die offensive Nachbarschaftspolitik der Russen. Politisch ist der neun Millionen Einwohner zählende Staat nicht auf einer Linie mit Moskau – erst recht, seit sich Aserbaidschan als alternativer Gaslieferant für den Westen in Stellung bringt: Über die Pipelines TAP und Tanap könnte der staatliche Konzern Socar in wenigen Jahren Gas nach Europa pumpen und so dazu beitragen, die Abhängigkeit Europas von Energielieferungen aus Russland zu senken.

Was keineswegs dazu beiträgt, dass sich Aserbaidschan sicherer fühlt. Im Land leben rund 100.000 Russen, was Moskau Gelegenheit gibt, ein Mitspracherecht für die Zukunft des Landes zu beanspruchen. Ein Druckmittel könnte der Konflikt um Bergkarabach sein. Die Region im Grenzgebiet zwischen Aserbaidschan und Armenien hat sich 1991 für unabhängig erklärt. Auf dem ursprünglich aserbaidschanischen Territorium leben heute überwiegend Armenier, die ihre aserischen Nachbarn einst vertrieben haben. Heute noch wähnt sich Aserbaidschan im Kriegszustand, ohne dass man sich militärische Aktionen zutraut: Denn den christlichen Armeniern steht Russland bei.

Baku laviert zwischen Russland und Europa, aber die Unsicherheit wächst. Vafa Guluzade, der als langjähriger Berater der Regierung in Baku stets einen klaren Westkurs propagierte, warnt: „Wir sind ein kleines Land, aber Russland ist nach den Ereignissen in der Ukraine wieder zur Supermacht aufgestiegen.“ Jetzt habe Putin das Völkerrecht verletzt – und was tun die USA? „Die sind ein bisschen beleidigt, aber nach einer Zeit werden sie den Russen wieder die Hand reichen“, sagt Guluzade.

Kasachstan und China

Kasachstan

Tief im Osten des weiten Landes ist das Klima selten angenehm: Im Winter schüttelt einen die Kälte bei minus 40 Grad, bis April liegt Schneematsch in den Schlaglöchern, im Sommer fallen dann die Stechmückengeschwader ein. Trotzdem boomt die Stadt Öskemen, die die Einwohner auf Russisch Ust-Kamenogorsk nennen: Autobauer Asia Avto, bisher Lohnfertiger für Kia, Skoda und die russische Marke Lada, baut eine Fabrik mit einer Kapazität von 120.000 Pkws. Co-Investor ist Lada-Hersteller Awtowas – ein russischer Konzern. Die meisten Arbeiter werden Russen sein.

Nirgendwo wächst Kasachstan so rasch mit Russland zusammen wie in Ust-Kamenogorsk. Von 300.000 Einwohnern der Industriestadt besitzen zwei Drittel den Pass mit dem doppelköpfigen Adler; die russische Großstadt Barnaul im Altai-Gebirge ist 500 Kilometer entfernt. In Kasachstans Hauptstadt Astana betrachtet man diese Nähe kritisch: Könnte sich Moskau eines Tages bemüßigt sehen, auf Kasachstan stärkeren Einfluss zu nehmen?

Auf kurze Sicht ist die Gefahr gering. Mit Nursultan Nasarbajew, der das rohstoffreiche Steppenland seit 1990 wie ein Sultan regiert, verfügt Kasachstan über einen auf Ausgleich bedachten Präsidenten. Der beginnt Reden auf Kasachisch und schwenkt dann ins Russische, um so alle Volksgruppen einzubeziehen. Geschickt balanciert er Interessenkonflikte innerhalb der Machtelite aus. Das Verhältnis zu Putin gilt als konstruktiv – und in der Ukraine bietet sich „Papa“ Nasarbajew als Vermittler an. Doch Nasarbajew ist 73 Jahre alt. Der Machtapparat des Landes ist so sehr auf seine Person zugeschnitten, dass ein Wechsel ein Machtvakuum zur Folge haben könnte.

In solchen Phasen haben oft Nationalisten ihre große Stunde – und die könnten leicht in Konfrontation zur russischen Minderheit treten. Für den Kreml wäre das ein guter Vorwand für eine Intervention. Was dazukommt: Im Osten des Landes lagern üppige Zink-, Uran- und Titan-Vorkommen. Damit ist Kasachstan ein Teil der alten Sowjetunion, mit dem sich die Wiedervereinigung aus russischer Sicht sehr lohnen würde.

Ökonomisch gesehen, hat der Kreml die Kasachen schon im Griff: Das Land ist Mitglied der Zollunion, die Moskau dominiert. „Theoretisch könnten kasachische Hersteller von Russland als Absatzmarkt profitieren“, so Fabian Nemitz von „Germany Trade and Invest“ in Almaty. „Aber in Russland sind die kasachischen Güter nicht konkurrenzfähig, sodass Kasachstan von der Zollunion bisher kaum profitiert.“

China

Noch pflegt Chinas Staatschef Xi Jinping eine Allianz mit Russland. Seine erste Auslandsreise nach Amtsantritt vor einem Jahr ging nach Moskau. Wenn es um die Krim-Krise geht, sprechen die Zeitungen von der „Hybris des Westens“ und wohlbegründeten Sicherheitsinteressen Russlands. Denn Moskau und Peking teilen die Sorge um wachsenden Einfluss der USA in der Region ebenso wie die Furcht vor Islamismus und revolutionären Umstürzen.

Ökonomisch sind China und Russland enge Partner: Dieses Jahr werden sie Waren im Wert von rund 100 Milliarden Dollar austauschen. „An den guten Beziehungen wird der Konflikt nichts ändern“, sagt Feng Shaolei, Politik-Professor an der East China Normal University. Geheuer ist China die Krise allerdings nicht. Die Vorstellung, die Krim könnte zum Präzedenzfall werden, ist Peking ein Graus. Staatlichen Medien ist deswegen jeder Vergleich mit Konflikten innerhalb Chinas untersagt.

Peking fürchtet vor allem, dass Tibeter und Uiguren sich die Sezession der Krim zum Vorbild nehmen. Auch eine förmliche Unabhängigkeitserklärung der Bürger Taiwans von China ließe sich mit dem Selbstbestimmungsrecht à la Putin immer begründen. Das dämpft den chinesischen Beifall für Moskau, aber distanzieren will man sich von Russland nicht. Was hinzukommt: Wenn es ganz schlimm würde beim Konflikt Putins mit dem Westen, käme China günstiger denn je an Energie.

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