
Am Donnerstag kommt das nächste Geldpaket. Dann können Europas Banken das zweite Mal in diesem Jahr die zielgebundenen Langfristkredite (TLTROs) bei der Europäischen Zentralbank (EZB) abrufen. EZB-Chef Mario Draghi muss dann hoffen, dass die Institute das viele Geld zu neuen Krediten machen und damit die Wirtschaft ankurbeln.
Soweit die Theorie. In der Praxis hat schon Draghis erste "Dicke Bertha" im September nicht den gewünschten Wirkungstreffer erzielt. Vor drei Monaten orderten die Banken 82,6 Milliarden Euro bei der EZB. Von Reuters in dieser Woche befragte Geldmarkthändler gehen für die zweite Salve von 130 Milliarden aus. Das ist mehr als im September, aber weniger als die selben Händler noch vor zwei Wochen erwartet hatten.
Reaktionen auf EZB-Zinssenkung und Wertpapierkäufe
Die EZB senkt im Kampf gegen eine drohende Deflation ihren Leitzins überraschend auf das neue Rekordtief von 0,05 Prozent. Der Schlüsselsatz für die Versorgung des Bankensystems mit Zentralbankgeld lag seit Juni bei 0,15 Prozent. In der anschließenden Pressekonferenz kündigte Zentralbank-Chef Mario Draghi zudem an, dass die EZB sogenannte Kreditverbriefungen (ABS) sowie Pfandbriefe aufkaufen wird. Ökonomen und Händler sagten dazu in ersten Reaktionen:
"Die EZB hatte ihr Pulver schon viel zu früh verschossen und die Zinsen zu weit gesenkt. Jetzt ist sie in der Liquiditätsfalle. Sie kann an dieser Stelle kaum noch etwas tun. Bedauerlicherweise deutet sich auch der Kauf von Anleihen durch die EZB an. Damit würde sie das Investitionsrisiko der Anleger übernehmen, wozu sie nicht befugt ist, weil es sich dabei um eine fiskalische und keine geldpolitische Maßnahme handelt. Eine solche Politik ginge zulasten der Steuerzahler Europas, die für die Verluste der EZB aufkommen müssten."
"Die Notenbanker argumentieren mit den zuletzt schwachen Konjunkturdaten und der geringen Inflation. Auch die gesunkenen mittelfristigen Inflationserwartungen wurden thematisiert. In diesem Zusammenhang wurden auch die Projektionen für Wachstum und Inflation in diesem Jahr nach unten angepasst. Insofern bleibt die Tür für weitergehende Lockerungsschritte weit geöffnet."
"EZB-Chef Mario Draghi hat geliefert, warum auch immer. Für uns ist das nicht gerade eine glückliche Maßnahme. Alle Banken und Vermögensverwalter sind jetzt in noch größerer Not, ihre Liquidität irgendwo zu parken, ohne bestraft zu werden. Auch die Sparer dürften sich verraten fühlen und werden immer mehr ins Risiko gezwungen."
"Die ökonomischen Wirkungen der heutigen Zinssenkung sind vernachlässigbar. Die EZB hat sich im Vorfeld der Zinsentscheidung unnötig unter Zugzwang gesetzt. Die Gefahr, dass der Euro-Raum in eine gefährliche Deflationsspirale rutscht, ist nach wie vor gering. Auf der anderen Seite wächst mit den Aktivitäten der EZB die Gefahr, dass die in mehreren Euro-Ländern dringend erforderlichen Wirtschaftsreformen weiter verschleppt werden."
"Das ist überraschend. Eine Zinssenkung hatte niemand so richtig auf der Agenda - zumal sie konjunkturell nichts bringt und verpuffen wird. Die Deflationsgefahr lässt sich damit nicht vertreiben. Dazu bedarf es eher eines Anleihen-Kaufprogramms. Die EZB signalisiert mit ihrer Maßnahme aber, dass sie sehr weit zu gehen bereit ist. Das ist eher ein symbolischer Schritt. Die realwirtschaftlichen Folgen sind bescheiden."
"Beginnt jetzt auch EZB-Chef Mario Draghi damit, Geld aus dem Hubschrauber abzuwerfen? Wenn Draghi um 14.30 Uhr mit der Pressekonferenz beginnt, wissen wir mehr. Dann wird sich zeigen, ob die Zinssenkung nur das Vorspiel für weiteres geldpolitisches Feuerwerk sein wird oder er damit den bequemsten Weg wählte, um unkonventionelle Maßnahmen in großem Stil ohne Gesichtsverlust abzuwenden."
"Das war schon eine heftige Überraschung, mit einer Zinssenkung hat kaum einer gerechnet. Bei der Senkung der Zinsen handelt es sich zwar nur noch um Nuancen, aber das ist ein wichtiges Signal an die Kapitalmärkte, dass die EZB bereit ist, alles zu tun, was nötig ist."
Mit ihren TLTROs will die Euro-Notenbank die Geldinstitute flüssig halten und die auslaufenden Dreijahreskredite ersetzen, die Draghi 2011/2012 auf dem Höhepunkt der Staatsschuldenkrise in Anlehnung an ein deutsches Kriegsgeschütz "Dicke Bertha" getauft hatte.
Diesmal allerdings sind die Kredite an Bedingungen geknüpft. Banken dürfen das billige Geld nur abschöpfen, wenn wenn sie mehr Kredite an Firmen vergeben als zuletzt. Dabei reicht rechnerisch schon ein Euro mehr. Das Kalkül der Europäischen Zentralbank: Sie gibt den Bankern Liquidität, mit der sie auch zu ihrem eigenen Vorteil spekulieren dürfen, so lange sie zugleich einen Teil an Mittelständler in den Euro-Ländern weiterreichen.
Zweifel am Kalkül der Banken
Analysten bezweifeln allerdings, dass viele Banken zugreifen werden. Laut einer Bloomberg-Umfrage könnte das Paket nicht einmal die Rückzahlungen abdecken, die aus einem vorangegangenen Finanzierungsprogramm fällig werden. Eine Zuteilung von 180 Mrd. Euro sei “im Grunde die Obergrenze”, sagte Thomas Harjes, leitender Europa-Ökonom bei Barclays Plc in Frankfurt., der Nachrichtenagentur.
Das Problem: Teilt die EZB nicht viele Kredite zu, kann wird das Ausweiten ihrer Bilanzsumme immer schwieriger. “Selbst mit 180 Mrd. Euro würde die EZB-Bilanzsumme mit den bestehenden Maßnahmen beträchtlich hinter dem zurückbleiben, was 'beabsichtigt' ist”, erklärt Harjes. Dabei hatte die Notenbank angekündigt, ihre Bilanzsumme auf ihr Niveau von Anfang 2012 ausweiten. Damals lag sie gut eine Billion Euro höher.
Um diese ungeheuere Summe auf die Beine zu stellen, dürfte aber weder die Nachfrage der Banken nach neuem ultrabilligem Geld ausreichen, noch der Kauf von Pfandbriefen oder Kreditverbriefungen, meinen Experten. Vieles deutet also auf ein umfangreiches Anleihekaufprogramm hin, auch Quantitative Easing genannt (QE). Experten rechnen damit, dass die EZB im kommenden Jahr mit einem solchen Programm beginnen könnte.
Während QE in den USA, Großbritannien und Japan zumindest teilweise erfolgreich war und als eine Art Super-Heilmittel der Geldpolitik gilt, ist es in Deutschland umstritten: einerseits wegen Risiken und Nebenwirkungen, andererseits wegen rechtlicher Bedenken, die insbesondere die Bundesbank hegt.
Europa
Kniffelige Notkredite
Zusätzlich hat die EZB Ärger mit ihren Notkrediten. Wie das "Handelsblatt" berichtet, denkt die Zentralbank darüber nach, die Regeln für ihre sogenannten Ela-Hilfen zu verschärfen. Diese "Emergency Liquidity Assistance" können von den nationalen Notenbanken an Banken mit temporären Liquiditätsengpässen vergeben werden. Pleitebanken sollen das natürlich nicht sein. Bisher sind die Grenzen hier allerdings nicht klar gefasst. Unter anderem in Zypern und Griechenland sollen so schon Banken in den Genuss der Kredite gekommen sein, die eigentlich marode sind.
Nun denkt die EZB darüber nach, unter anderem die Bezugsdauer der Kredite deutlich auf maximal sechs Monate zu begrenzen. Zudem soll es bestimmte Regeln geben, die ein Institut erfüllen muss, um die Kredite in Anspruch nehmen zu dürfen.