Das Problem an der Obergrenze ist nicht der Wille, mit ihr Zuwanderung zu begrenzen. Über alle Parteien hinweg sind sich die Verantwortlichen einig, dass das notwendig ist. Eine Obergrenze, Richtwert, Kontingent oder Orientierungswert – für welchen Begriff man sich auch immer entscheidet – kann dabei helfen, dass sich ein Land gar vergewissert, wie viele Menschen es aufnehmen und integrieren kann und möchte. Es wäre ein Bekenntnis, nach den eigenen Fähigkeiten so gut zu helfen wie möglich.
„Die Politik muss aber auch langfristig aufklären, dass die weltweiten Migrationsbewegungen nicht vorbei sind“; meint Almut Möller. Denn diese Bewegungen ließen sich nicht stoppen. „Wir müssen uns darauf einstellen, dass wieder Menschen zu uns kommen, die sich von definierten Obergrenzen nicht abhalten lassen.“
3. Deutsche Führung unerwünscht
Zuerst hatte Merkel die Solidarität aller Europäer gefordert, dann war sie überrascht und enttäuscht, als diese ausblieb. Die Kanzlerin spricht offen darüber, wie falsch sie die Lage im vergangenen Jahr eingeschätzt hat.
Die Frage ist, welche Konsequenz Berlin aus dieser Erfahrung zieht. Schließlich zeigte Deutschland 2015, dass es führen und vorangehen will. Das erkennen selbst die Osteuropäer an. „Es gibt jedoch starke Stimmen, die sagen, dass wir in die falsche Richtung laufen“, analysiert Möller. Dafür müssten wir mehr Sensibilität entwickeln. „Wir müssen schneller erkennen, wenn andere Länder und Gesellschaften Themen wie die Flüchtlingskrise völlig anders bewerten.“
Die Frage ist nur, wie stark das gegenseitige Verständnis geht. Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn hatte dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán kürzliche eine massive Verletzung von europäischen Grundwerten vorgeworfen. „Wer wie Ungarn Zäune gegen Kriegsflüchtlinge baut oder wer die Pressefreiheit und die Unabhängigkeit der Justiz verletzt, der sollte vorübergehend oder notfalls für immer aus der EU ausgeschlossen werden“, sagte Asselborn der Welt. Dies sei die einzige Möglichkeit, um den Zusammenhalt der Gemeinschaft zu bewahren.
Auch Almut Möller vom „European Council on Foreign Relations“ glaubt, dass die EU Orban nicht zu weit entgegen kommen darf. „Wenn er mit seinem Umbau des Landes Grundwerte der EU verletzt, muss das Thema sein. Alle verlieren, wenn einzelne die EU von innen aushöhlen, das ist keine nationale Debatte mehr“, sagt Möller.