Jetzt wird es innenpolitisch ernst für Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Die von ihm ernannte Regierung packt eins der wichtigsten und konfliktträchtigsten Projekte des neuen Staatschefs an: die Lockerung der Schutzrechte für Arbeitnehmer. Die französische Regierung hat das umstrittene Projekt am Mittwochmittag auf den Weg gebracht. Das Kabinett beriet in Paris den Entwurf eines Rahmengesetzes, das die Themen der Reform festlegt, wie Regierungssprecher Christophe Castaner sagte. Damit soll das Parlament der Regierung eine Vollmacht erteilen, die Änderungen in Eigenregie auszuarbeiten und in Form von Verordnungen zu erlassen. Das Vorhaben ist ein zentrales Versprechen von Präsident Emmanuel Macron, der Frankreichs Wirtschaft neuen Schwung verschaffen will. Es ist aber auch die zentrale Bewährungsprobe für Macron - und könnte zu einer riskanten Kraftprobe mit Gewerkschaften werden.
Warum ist die Reform so wichtig?
Sie ist ein zentraler Baustein im Programm des Präsidenten, der vor eineinhalb Monaten sein Amt angetreten hat. Daran wird sich zeigen, ob er seine Reformankündigungen auch umsetzen kann. Damit will die Regierung eins der größten Probleme angehen: Die dramatisch hohe Arbeitslosigkeit von zuletzt 9,5 Prozent. Das hat auch für Europa Bedeutung: Macron will im eigenen Land Veränderungswillen beweisen, um Vertrauen bei den EU-Partnern zurückzugewinnen und im Gegenzug Unterstützung für seine Vorschläge zum Umbau der europäischen Währungsunion zu bekommen.
Macron will die Lockerung per Verordnung durchsetzen. Bleibt das Parlament damit außen vor?
Nicht vollständig, aber der Einfluss der Abgeordneten wird eingeschränkt. Der Gesetzentwurf, den das Kabinett an diesem Mittwoch berät, ist eine Art Vollmacht: Das Parlament würde der Regierung das Recht einräumen, die geplanten Änderungen einfach zu erlassen - mit Verordnungen, die vom Kabinett beschlossen und vom Präsidenten unterschrieben werden. Das Parlament legt nur Leitplanken fest, welche Punkte die Exekutive anfassen darf.
Wenn die Regierung die Reform erlassen hat, bekommt das Parlament noch einmal das Wort: Die Abgeordneten stimmen dann darüber ab, ob sie die Reform als Ganzes anerkennen und sie damit zum Gesetz machen. Sie können somit aber nicht bei jedem Detail mitreden. Die Regierung begründet dies damit, dass es schnell gehen soll - die Gewerkschaft CGT spricht aber schon von einer „Verweigerung der Demokratie“.
Wirtschaftspolitische Pläne von Emmanuel Macron
Die Unternehmenssteuer soll von derzeit 33 auf 25 Prozent gesenkt werden. Die Steuergutschrift für Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung (CICE) soll umgewandelt werden in eine dauerhafte Entlastung für Arbeitnehmer mit niedrigen Löhnen.
An der 35-Stunden-Woche soll festgehalten werden. Allerdings könnte sie flexibler geregelt werden, indem Betriebe über die tatsächliche Arbeitszeit mit ihren Beschäftigten verhandeln.
Sie sollen von bestimmten Sozialabgaben befreit werden. Dadurch könnten Niedriglohnempfänger einen zusätzlichen Monatslohn pro Jahr in ihren Taschen haben.
Binnen fünf Jahren sollen 50 Milliarden Euro an öffentlichen Geldern investiert werden. 15 Milliarden Euro davon sollen in bessere Aus- und Weiterbildung gesteckt werden, um die Einstellungschancen von Jobsuchenden zu verbessern. Ebenfalls 15 Milliarden Euro sind geplant, um erneuerbare Energien zu fördern. Weitere Milliarden sind für die Landwirtschaft, die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung, für Infrastruktur und Gesundheitswesen geplant.
60 Milliarden Euro an Einsparungen sind bei den Staatsausgaben vorgesehen, die in Frankreich traditionell hoch sind. Zehn Milliarden Euro soll der erwartete Rückgang der Arbeitslosenquote von derzeit etwa zehn auf sieben Prozent bringen, indem die Ausgaben für Arbeitslosengeld sinken. Durch eine verbesserte Effizienz soll das Gesundheitswesen zehn Milliarden einsparen, weitere 25 Milliarden Euro die Modernisierung des Staatsapparates.
In Gegenden mit niedrigem Einkommen soll die Schülerzahl auf zwölf pro Klasse begrenzt werden. Lehrer sollen als Anreiz für eine Arbeit in solchen Regionen einen Bonus von 3000 Euro pro Jahr bekommen. Mobiltelefone in Schulen sollen für Kinder bis 15 Jahren verboten werden. Alle 18-Jährigen sollen einen Kulturpass im Wert von 500 Euro erhalten, den sie beispielsweise für Kino-, Theater- und Konzertbesuche ausgeben können.
Worum geht es bei der Reform?
Das Arbeitsrecht soll flexibler werden. Die Regierung will Unternehmern entgegenkommen, die starre Gesetze oft als Hindernis für Neueinstellungen nennen. So sollen Detail-Regelungen häufiger auf Ebene der Betriebe zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ausgehandelt werden. Für Entschädigungen bei ungerechtfertigten Kündigungen sollen nach einem von der Zeitung „Le Monde“ veröffentlichten Entwurf künftig Ober- und Untergrenzen gelten. Zugleich solle es Anreize für Mitarbeiter geben, Gewerkschaften beizutreten.
Grundpfeiler wie die 35-Stunden-Woche werden nicht angerührt - Kritiker vor allem von links befürchten trotzdem einen sozialen Kahlschlag. Die Details der Reform sind allerdings noch unklar.
Droht Frankreich jetzt ein „heißer Herbst“ mit Protesten?
Die Gefahr besteht, die CGT hat für den 12. September bereits zu landesweiten Streiks aufgerufen. Schon eine eher moderate Reform des Arbeitsrechts unter Macrons Vorgänger François Hollande hatte 2016 Hunderttausende auf die Straßen gebracht. Die Gewerkschaften in Frankreich sind klein, aber schlagkräftig - und haben teils schon klargemacht, dass sie die Pläne stoppen wollen. Allerdings kann der sozialliberale Staatschef argumentieren, dass er nur seine Wahlversprechen umsetzt. Ganz anders als bei seinem sozialistischen Vorgänger, dem ein Teil der eigenen Partei-Basis Verrat vorwarf.
Trotzdem: Könnte das Vorhaben Macrons Höhenflug beenden?
Das Gesetz ist die erste große Strukturreform nach dem Wahlmarathon, der Macron erst in den Élyséepalast gebracht und ihm dann eine komfortable Mehrheit in der Nationalversammlung beschert hat. Von daher ist der Einsatz in der Tat hoch - ein harter Sozialkonflikt könnte der Aufbruchsstimmung einen kräftigen Dämpfer verpassen. Allerdings gibt es grundsätzlich Bereitschaft für Veränderungen: 47 Prozent der Franzosen sehen laut einer Studie im Auftrag der Allianz die Notwendigkeit für weitgehende Reformen, 38 Prozent wollen „graduelle Reformen“. Und Macrons Strategie scheint, das brisante Thema schnellstmöglich abzuhandeln.
Wie ist der Zeitplan?
Das Parlament soll schnell das Rahmengesetz verabschieden. Die Regierung will nach weiteren Gesprächen mit Arbeitgebern und Gewerkschaften bis zum Ende des Sommers die Reform-Verordnungen erlassen. Danach müsste dann noch das Parlament darüber abstimmen, ob die Reform Gesetz werden soll. Falls sie diese letzte Hürde nicht nehmen sollte, wäre sie leichter wieder rückgängig zu machen.