Marcel Fratzscher „Fällt Italien, könnte es das Ende des Euro sein“

Eine Wirtschaftskrise in Italien träfe den Euro härter als seinerzeit die Beinahe-Pleite Griechenlands. Quelle: dpa

DIW-Chef Marcel Fratzscher spricht im Interview mit unserer Redaktion über die harte Kritik an der EZB, das Versagen der nationalen Politik in Europa und warum eine Krise in Italien schlimmer wäre als in Griechenland.

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Herr Fratzscher, die Wirtschaftsdaten in der Eurozone zeigen nach oben, die Politik der Europäischen Zentralbank EZB wirkt anscheinend. Dennoch reißt die Kritik, gerade in Deutschland, nicht ab. Wo liegt das Missverständnis?
Es gibt in ganz Europa eine Uneinigkeit über die richtige Notenbankpolitik. Jeder zerrt an der EZB. In Südeuropa wünscht man sich, die EZB möge noch mehr tun, den Krisenländern noch mehr helfen, die Banken nachsichtiger behandeln. In Deutschland indes glaubt man oft, die EZB kümmere sich vor allem um den Süden – und vernichte derweil hier die Sparguthaben durch ihre Nullzinspolitik. Hierzulande ist die Kritik an der EZB besonders hart. Das sollte uns zu denken geben.

Ist die Kritik nicht berechtigt?
Nein, der größte Teil der Kritik ist fehl am Platz, da sie entweder eine rein deutsche Perspektive beinhaltet oder etwas von der EZB verlangt, das sie nicht tun kann und darf. Die Eurozone ist heterogen. Wir haben ein Auseinanderlaufen der Wirtschaftskraft: Italien hat heute ganz andere Anforderungen als Deutschland, braucht eine ganz andere Geldpolitik als die Bundesrepublik. Die EZB muss dennoch Währungspolitik als Ganzes machen. Und dann ist es auch eine Frage der Philosophie: In Deutschland wollen viele, dass die EZB die Politik diszipliniert, zum Sparen zwingt oder zu Reformen der Banken. Ich würde sagen, das ist beides nicht Aufgabe der EZB. Denn: Was sind die richtigen Strukturreformen, was ist die richtige Finanzpolitik? Und wer entscheidet darüber? Die EZB? Das wäre vermessen und letztlich ein Mandatsbruch. Das wäre keine Geldpolitik mehr.

Momentan stützt die EZB die Krisenländer der Eurozone mit Milliarden, ermöglicht Firmen riskante Übernahmen. Sie macht aktiv Politik. Ist das etwa ihr Mandat?
Ich halte diese Sichtweise für falsch. Denn sie suggeriert eine Intention: die EZB und ihr Chef Mario Draghi mache seine expansive Geldpolitik nur, um Italien die Schulden zu erleichtern. Das ist eine Unterstellung, die unsinnig und falsch ist. Die EZB ermöglicht allen Euro-Staaten billige Refinanzierung, auch der Bundesrepublik. Und: Draghi hat dabei die überwältigende Mehrheit der 25 Mitglieder des Zentralbankrats hinter sich.

Marcel Fratzscher ist ein deutscher Ökonom. Er leitet seit 1. Februar 2013 das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung und ist Professor für Makroökonomie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Quelle: imago images

Aber stimmt es denn nicht: in der Krise ist die EZB mit jeder Eskalationsstufe mächtiger geworden, hat zuletzt die Bankenaufsicht bekommen.
Aber die EZB hat nicht nach diesen Aufgaben gegriffen. Sie hat diese Aufgaben übertragen bekommen, weil es keine andere Institution in Europa gibt, die das besser kann. Dadurch, dass vor allem die nationale Politik zu wenig getan hat, wurde die EZB in diese Rolle gedrängt – das hätte man nicht tun sollen. Hätte es nach 2009 eine koordinierte Finanzpolitik gegeben, hätte man marode Banken abgewickelt und die Wirtschaft so gestärkt, dann hätte die EZB vielleicht nie anfangen müssen, Staatsanleihen zu kaufen.

Also ist die Bundesregierung schuld?
In den USA zumindest hat man nach der Finanzkrise eine andere Politik gemacht: niedrige Zinsen, hohe Staatsausgaben, 500 Pleitebanken radikal abgewickelt. Da konnte die Zentralbank Federal Reserve (Fed) ihre expansive Geldpolitik viel früher beenden. Wenn man das so in Europa gemacht hätte, wären Italien und Spanien wahrscheinlich nie so stark in die Schieflage gekommen. Dann hätte die EZB hier nie so einschreiten müssen, wie sie es ab 2012 getan hat.

Jetzt aber wackelt Italien. Muss die EZB womöglich wieder ran?
Ich hoffe nicht, dass wir mit Italien wieder ein Szenario wie mit Griechenland  erleben. Ich hoffe, dass die künftige italienische Regierung, aber auch die französische und die deutsche aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat. Ich hoffe. Aber ich fürchte, dass die Euroskepsis in weiten Teilen Europas inzwischen verankert ist. Und dann wird der Preis unermesslich hoch: die Krise in Griechenland war für die EZB und den Euro zu bewältigen. Italien ist einfach zu groß, um gerettet zu werden. Das sind 20 Prozent der Wirtschaftsleistung im Euroraum. Das macht mir große Sorgen, denn dann wird die Krise nicht auf Italien beschränkt sein. Das entwickelt Fliehkräfte, die nicht beherrschbar sind. Wenn Italien fällt, dann könnte dies das Ende des Euro bedeuten.

Auch, wenn die EZB eingriffe?
Die EZB kann in einem solchen Fall nicht so eingreifen, wie sie es etwa 2012 getan hat. Bisher hat sie ja Regierungen und Unternehmen gegen die Spekulation der Märkte verteidigt. Das ist mit einem geldpolitischen Mandat noch erklärbar. Wenn sich aber die Wähler explizit gegen die Rettungspolitik und gegen den Euro aussprechen, dann kann die EZB nicht sagen: ihr wolltet den Euro nicht, aber wir wollen ihn. Dann würde sie gegen den politischen Willen eines Landes vorgehen, nicht gegen Spekulanten. Da wären der EZB die Hände gebunden. Ein Land daran zu hindern, den Euro zu verlassen, hätte nichts mit Geldpolitik zu tun.

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