Maria Elena Boschi Maria, hilf!

Die 35-jährige Maria Elena Boschi sollte Italiens wichtigste Verfassungsänderung durchboxen. Das Land liebte sie – bis ihr Vater in einen Bankenskandal verwickelt wurde und ihr Ministerpräsident in Umfragen zurückfiel. Wer ist die Politikerin, die Italien jetzt noch vor dem Chaos retten soll?

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Dem Saal, in dem Italiens einstige Hoffnungsträgerin zu retten versucht, was noch zu retten ist, hätte man in den 1980er Jahren Grandezza bescheinigt. Und damit fängt das Drama für Maria Elena Boschi an diesem Abend am Comer See schon an: Die Kulisse ist so beschädigt wie ihr Traum von einer großen Zukunft für Italien. Es ist das dritte Auditorium, vor dem die 35-jährige italienische Reformministerin an diesem Tag auftritt, um für ein Referendum über die Vereinfachung der italienischen Verfassung zu werben, und sie möchte sich nicht schon jetzt am Anfang entmutigen lassen.

Boschi wirkt ein wenig müde, als sie die 400 Gäste anschaut, dann geht ein Ruck durch ihren Körper, sie drückt den Rücken durch und ruft: „Wie viele von Euch haben sich schon mit der Frage für den 4. Dezember beschäftigt?“ Kaum ein Finger geht hoch. Dabei sitzen vor ihr viele Parteifreunde aus ihrem sozialdemokratischen Partito Democratico. Boschi seufzt.

„Die Frage für den 4. Dezember“, der Albtraum für Italiens Regierung. Seit Wochen beschäftigen sich die Krisen geplagten Italiener mit der Frage, ob ihre sozialdemokratische Regierung unter Ministerpräsident Matteo Renzi am 4. Dezember ein Referendum überleben wird. Boschi, lange gefeiertes Super-Talent der italienischen Politik, sollte mit ihrer Beliebtheit, ihrer Jugend, ihrem Charme und der Brillanz ihrer Gedanken an vorderster Front dafür sorgen.

Doch nach Monaten des Wahlkampfes springt der Funke zwischen ihr und dem Wahlvolk, das ihr einst zu Füßen lag, nicht mehr über. Und so wirken sie beide etwas müde – die Wähler und Boschi. „Renferendum imBoscato“, ätzte Italiens wichtigstes Nachrichtenmagazin, L’Espressso zuletzt, „Verstecktes Referendum“, und spielte damit zum einen auf Boschis Formschwäche an, zum anderen darauf, dass der eigentliche Anlass des Referendums, eine an sich beliebte Verfassungsreform, längst hinter einem Wust an anderen Gründen versteckt ist. Und der wichtigste davon: die Italiener mögen Renzis vor zweieinhalb Jahren gestartete, jugendliche Regierung nicht mehr. Und niemand, neben dem Premier, verkörpert diesen Stimmungsumschwung mehr als Boschi.

„Die Verlobte Italiens“

Boschi, das wird auch bei jenem Termin weit im Norden der italienischen Republik, am Comer See an der Grenze zur Schweiz, klar, ist nicht die große Volkstribunin. Ihre Stimme ist dünn, manchmal fast emotionslos. Und doch verzauberte sie die Italiener massenweise, als Renzi die damals 33-Jährige zur jüngsten italienischen Ministerin machte. „Verlobte Italiens“, nannten die Medien sie. Die Tochter aus konservativem Haus, die schon zu Renzis Zeiten als Florenzer Bürgermeister für ihn gearbeitet hatte, stand für den epochalen Wandel, den Italien unter Renzi einleiten wollte. Endlich war da eine junge Frau, die anders als die vielen Show-Girls der Ära Silvio Berlusconis, intellektuell ernst zu nehmen war. Die nicht mit gemachten Brüsten und aufgespritzten Lippen sondern mit scharfer Rhetorik und klaren Visionen für Italiens Zukunft eintrat. Dass die Juristin im jugendlichen Alter sogar schon im Vorstand eines toskanischen Wasserversorgers gearbeitet hatte, brachte ihr zusätzlich Respekt.

So beauftragte Renzi sie mit dem wohl wichtigsten Projekt dieser Legislaturperiode: Sie sollte aus dem komplizierten Zweikammersystem des italienischen Parlamentarismus, bei dem sich jede der beiden Kammern jederzeit querstellen kann, ein System nach deutschem oder amerikanischem Vorbild formen. Das ist die Reform, über die das Referendum am 4. Dezember abgehalten wird.

Und zu Beginn lief es gut für Boschi. Der Entwurf passierte beide Parlamentskammern, die Italiener waren entzückt von der Aussicht, dass ihre Politbetrieb – der teuerste Europas - endlich vereinfacht und entschlackt würde. „Wir geben dem Land seit zwei Jahren Stabilität“, sagte Boschi in einem Gespräch mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ im Frühsommer dieses Jahres. Die Freude freilich kam etwas zu früh.

Fluch der Familie

Denn über den Sommer passierten zwei Dinge in Italien, die nicht nur Renzi sondern auch unmittelbar Boschi betrafen: Renzis Reformen brachten Italien nicht den Aufschwung, den viele Italiener sich gewünscht hatten und so bröckelt die Zufriedenheit mit der Regierung. Für Boschi aber noch schlimmer: Ihr Vater geriet in eine unschöne Geschichte rund um Italiens Bankenkrise.

Pier Luigi Boschi, ein Unternehmer, geriet als Aufsichtsrat einer der gestürzten Banken des Landes in die Schlagzeilen. Die Banca Etruria, deren Geschäftsmodell dem einer deutschen Sparkasse ähnelt, hatte ihre Sparer getäuscht und wurde 2015 vom Staat gerettet. Die Oppositionspartei Cinque Stelle behauptete damals, die Tochter habe teilgenommen an der Sitzung, bei der die Bank des Vaters aus ihrer Not befreit wurde.

Sie strengten einen Misstrauensantrag an gegen die Ministerin. Der scheiterte zwar, aber die Gerüchte verstummten nicht. Zudem es in der Folge Beispiele weiterer Banken gab, zu deren Rettung nicht der Staat einschritt, sondern Sparer und private Anleihegläubiger Geld verloren. Seitdem glauben viele Italiener, die Banca Etruria sei nur gerettet worden, weil ihr Aufsichtsrat Boschi gute Verbindungen in Rom habe.

Stück für Stück bröckelt seitdem die Zustimmung der Italiener zu ihrer Regierung. Manche in Rom glauben denn auch schon, dass Maria Elena Boschi ihren politischen Zenith bereits überschritten habe. Schließlich ist kein Politiker, außer vielleicht Renzi, so mit der aktuellen Verfassungsreform verbunden wie sie. Und so ist "La Boschi" gerade überall und kämpft gegen den Negativtrend. Argentinien, Uruguay, Brasilien. London. Boschi wirbt in Italien wie bei Auslandsitalienern. "Lasst uns auf höfliche Art die Unentschlossenen belästigen", hat sie jüngst die Anhänger der Bewegung „Basta un Si“, „Es reicht ein Ja“, aufgefordert. "auch im Bus, im Supermarkt."

„Italiens Verlobte“ kämpft

Wer Boschi in diesen Tagen begleitet, erlebt eine Frau mit zwei Gesichtern: Mal wirkt sie resigniert ob der schlechten Umfragen. Dann wieder kämpferisch, überzeugt von der Mission, mit der sie und Renzi einst antraten. Und ein Stück weit sind sie auf dem Weg ja vorangekommen: Sie haben eine Wahlrechtsreform und eine Verfassungsreform immerhin durchs Parlament gebracht, das ist mehr, als jede andere Regierung der Nachkriegszeit die politische Systematik des Landes ändern könnte.

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Und sie haben Wirtschaftsreformen durchgesetzt, über die seit 20 Jahren geredet wurde. Etwa die Arbeitsmarktreform, die bisher immerhin fast 500.000 feste Stellen schuf. Auch eine Verwaltungsreform ist auf den Weg gebracht, ebenso eine Justizreform und ein drei Milliarden Euro schweres Investitionsprogramm für die Schulen. Nicht zu vergessen, dass das Land seit etwa einem Jahr als einziges EU-Land zu hunderttausenden Flüchtlinge aufnimmt.

„Wir machen das alles“, sagte Boschi in jenem Zeit-Gespräch, „in erster Linie im Interesse unserer Bürger, aber es ist uns auch wichtig, im Ausland Vertrauen zu gewinnen. Es ist doch so: In Deutschland haben Sie zwar vor Jahren notwendige Reformen umgesetzt, aber in anderen europäischen Ländern herrscht immer noch Stillstand.“ Allein: Vielen Italienern fehlt der Glaube an die Wirksamkeit, weil das Wirtschaftswachstum bisher kaum anspringt. Und das nehmen sie Renzi, der viel fordere und wenig gebe, übel.

Immerhin am Abend des vergangenen Montags hängen die Menschen wieder an ihren Lippen wie früher, als das Land und sie am Anfang ihrer Romanze standen. Es ist nach acht Uhr im Teatro Elisio in Rom, die Ministerin hat schon einen langen Tag hinter sich. Und doch wirkt sie wacher noch als bei jenem Termin am Comer See; vielleicht auch, weil im Saal überwiegend Sympathisanten sind. Der Zuspruch tut ihr sichtbar gut.

Als sie die Stimme erhebt, ist schon ein halbes Dutzend Redner vorangegangen. Gekommen aber sind die Leute wegen ihr. Als ihre leise Stimme irgendwann unterzugehen droht, murren die Zuhörer: „Lauter“, „Nutz das Mikrofon“. Boschi lacht. Sie tourt nun seit Monaten herum, sie hat alles gesagt, was es zu der Reform zu sagen gibt. Und dennoch wollen die Leute hier in Rom offenbar noch jedes Wort von hier hören. Vielleicht geht da doch noch was.

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