WirtschaftsWoche Online: Der Europäische Gerichtshof verhandelt am Dienstag über die Frage, ob die EZB mit ihren Plänen von 2012, Staatsanleihen aufzukaufen, ihre Rechte überschritten hat. Das entsprechende Programm, kurz: OMT, wurde nie umgesetzt. Wieso fahren Sie überhaupt nach Luxemburg?
Markus C. Kerber: Allein die Ankündigung, im Notfall Staatsanleihen zu kaufen, verfälschte den Wettbewerb auf dem Markt für Staatsschulden in der Eurozone. Die Renditen für kurzfristige Staatsanleihen von Deutschland und Frankreich etwa kennen keine nennenswerten Unterschiede – obwohl die Länder in dramatisch unterschiedlicher Verfassung sind. Das OMT Programm ist ein Beitrag zur permanenten Suspendierung des Wettbewerbs auf den Staatsschuldenmärkten der Euroländer. Zudem vernichtet die Nullzinspolitik der EZB Jahr für Jahr das Vermögen deutscher Sparer und schmälert die langfristigen Refinanzierungsmöglichkeiten des Bundes. Das muss aufhören.
Zur Person
Markus C. Kerber, 58, ist Professor für Finanzwirtschaft und Wirtschaftspolitik an der TU Berlin. Er studierte an der Uni Bielefeld und in Paris. Neben seiner Lehrtätigkeit arbeitet er seit 1992 freiberuflich als Anwalt und Unternehmensberater in Berlin, Brüssel und Paris. Kerber ist Autor mehrerer Bücher und Schriften – und wurde einer breiten Öffentlichkeit als Kläger gegen die Euro-Rettungspolitik bekannt.
Ihre Erfolgsaussichten sind aber schlecht. Der EuGH hat zuletzt immer pro-europäisch entschieden, etwa beim Euro-Stabilitätsmechanismus ESM.
Der EuGH hat enorme historische Verdienste. Er hat das Binnenmarktkonzept der Europäischen Union in den 1960er-Jahren überhaupt erst juristisch operationalisiert und so einen für die Mitgliedstaaten maßgeblichen Rahmen geschaffen. In den letzten Jahren ist er aber zu einem politischen Organ geworden, das sich als Integrationsmotor versteht. Dass der ESM im Pringle-Urteil durchgewunken wurde, ist hanebüchen und ein böses Omen für die anstehende Verhandlung sein. Dennoch: Alles ist möglich. Wir werden bestens vorbereitet in die mündliche Verhandlung gehen, um das Gericht von unserer Argumentation zu überzeugen.
Die Reaktionen zum OMT-Programm
"Draghi hatte viel von den Ankündigungen schon vorweg genommen, deshalb geben die Märkte jetzt etwas nach. Deshalb sind seine Ankündigungen aber nicht als negativ zu werten. Mit einem Kursfeuerwerk war ja nicht unbedingt zu rechnen. Die erhofften Punkte hat Draghi alle ziemlich klar angesprochen.
Wenn die Regierungen der betroffenen Länder, wie zum Beispiel Spanien, das Angebot der EZB annehmen sollten und die Reformen unter den Rettungsschirmen einleitet, dann ist das ein koordiniertes Vorgehen, das zur Beruhigung der Märkte für längere Zeit geeignet ist. Jetzt hängt es von der Politik und nicht von der EZB ab, das Angebot anzunehmen.
Es wäre nicht gut gewesen, wenn die EZB Grenzen in Umfang oder Zinshöhen beim Anleihenkaufprogramm aufgezeigt hätte, denn dagegen wäre wieder spekuliert worden. Das Wort 'unbegrenzt' ist von der EZB als Zeichen der Stärke gewählt worden."
"Die EZB hat den großen Revolver zwar gefunden, aber es fehlt an Munition, um eine langfristig positive Auswirkung auf die Märkte zu tätigen. Obwohl heute nützliche Maßnahmen verabschiedet wurden, die sicherlich kurzfristig eine Erleichterung für die Peripheriestaaten bringen, hinkt die Kapazität der EZB und des europäischen Parlaments hinterher, um Spanien UND Italien aus der Klemme zu helfen. Ein Bail-Out von Spanien UND Italien sollte erst dann möglich sein, wenn die EZB und Deutschland erkennen, dass als effektives Instrument nur eine quantitative Lockerung im Stil der amerikanischen Notenbank in Frage kommt."
"Mit einer begrenzten Ankaufpolitik der EZB im Gegenzug zu stringent überwachten Reformen in den entsprechenden Staaten kann Zeit für dringend notwendige Wirtschaftsreformen gewonnen werden. Auf keinen Fall dürfen diese Maßnahmen der EZB aber dazu führen, dass eine bestehende Problemlage nur verlängert und die Rechnung, gerade für Deutschland, am Ende noch umfangreicher wird. Deshalb muss das Volumen der Aufkäufe begrenzt bleiben."
"Beim Ankaufprogramm für Staatsanleihen ist große Vorsicht angebracht. Interventionen verpuffen, wenn die nötigen Reformen in den Mitgliedsstaaten ausbleiben. Bislang zeigt sich die EZB aller Risiken bewusst und sollte ihrer vorsichtigen Linie treu bleiben. Das gilt auch für all die Rufe, die EZB solle mehr Fed und weniger Bundesbank sein. Die Krise hat gezeigt, dass die Finanzmärkte Reformbemühungen durchaus honorieren.
Für die Reformen und die Staatsfinanzierung sind vor allem die einzelnen Staaten selbst verantwortlich. Der Ruf nach der EZB ist verständlich - ihm vorschnell nachzugeben allerdings nicht. Die Politik ist gerade hier gefordert, den Druck auf die EZB durch Strukturreformen und Haushaltskonsolidierung in den Ländern zu mildern, damit diese wieder ihren eigentlichen Job machen kann: Die Geldwertstabilität sichern."
"Die EZB hat genau das beschlossen, was in den letzten Tagen vermehrt diskutiert und auch teilweise eingepreist wurde. Insofern ist der Beschluss der EZB keine echte Neuerung. Unmittelbare Inflationsgefahren werden durch die Sterilisierung des Anleihekaufprogramms (MOT) in Grenzen gehalten, dennoch besteht für die EZB im Vergleich zu Repo-Geschäften ein erhöhtes Ausfallrisiko."
"Die Entscheidung der EZB, den Leitzins unverändert zu lassen ist richtig. Sie hat durch die vergangene Zinssenkung bereits anerkannt, dass sie den konjunkturellen Einbruch im Euroraum zur Kenntnis genommen hat. Das Problem des Euroaums liegt aber derzeit nicht in der Höhe des Leitzinses, sondern im fehlenden Vertrauen in dessen Stabilität.
Dem kann die EZB nur mit dem angekündigten unbegrenzten Aufkaufprogramm für Staatsanleihen begegnen. Dies ist der entscheidende Schritt, der die Voraussetzungen für eine Überwindung der Krise schafft. Nur mit diesem Programm im Rücken werden die Märkte ihre Spekulation gegen den Euro aufgeben und es dank sinkender Risikoaufschläge den Staaten ermöglichen, ihre Schulden auf Dauer wieder aus eigener Kraft - also ohne die Hilfe eines Rettungsschirms - zu bedienen."
"Die Zentralbank ist nicht dazu da, Staatsfinanzierung zu betreiben. Anleihekäufe sind der falsche Weg, da sie dringend notwendige Sparbemühungen und Strukturänderungen in den öffentlichen Haushalten der hoch verschuldeten Länder unterlaufen und Anreize nehmen. Die Europäische Zentralbank darf nicht in die Rolle einer Ersatzregierung gedrängt werden."
"Die Entscheidung der EZB ist nicht überraschend. Sie kauft nun unbegrenzt Staatsanleihen von Krisenstaaten und nähert sich damit der monetären Staatsfinanzierung. Zudem akkumuliert sie mit den Käufen zusätzliche Bilanzrisiken. Da sie zusätzlich die Sicherheiten-Erfordernisse für ihre Liquiditätsoperationen weiter senkt, können die Ausfallrisiken im Prinzip unbegrenzt zunehmen. Selbst wenn das Bundesverfassungsgericht gegen den Rettungsschirm ESM entscheiden würde, ist eine klare Begrenzung der deutschen Haftungssumme in weite Ferne gerückt.
Indem die EZB ihre Käufe daran knüpft, dass die Staaten ein EU-Anpassungsprogramm durchlaufen, mischt sie sich deutlich in die Finanzpolitik ein. Umgekehrt wird der politische Druck groß sein, die Käufe lange beizubehalten. Wie strikt die von der EZB betonte Konditionalität tatsächlich ist, könnte sich demnächst am Fall Griechenlands entscheiden, wenn die Troika dort nicht nachhaltige Staatsfinanzen vorfinden und das Rettungsprogramm dennoch ausweiten sollte."
"Der Schritt ist getan. Jetzt muss die Politik liefern. Es fällt auf, dass sich die Märkte halten, obwohl das meiste erwartet worden war. Wenn wir dieses Niveau verteidigen können, wäre das ein positives Zeichen."
"Über die heute berichteten Maßnahmen bin ich zwar nicht sehr glücklich, aber sie waren kaum zu umgehen und sind letztendlich das Ergebnis der institutionellen Entwicklung im Euroraum. Würde die EZB nicht in den Markt eingreifen, könnten einzelne Länder weiter in die Abwärtsspirale gedrängt werden - bis hin zum Austritt. Insofern kann es nur ein Zusammenspiel geben zwischen Geldpolitik und Reformbemühungen, um ein solche Entwicklung zu verhindern. Es gibt derzeit genau zwei Optionen: Entweder wir finden den Weg zu einer teilweise Vergemeinschaftung der Schulden oder die bereits sichtbaren Zentrifugalkräfte in der Währungsunion verstärken sich weiter.
Die Märkte hatten die Ergebnisse weitgehend vorweg genommen, so dass auch für die kommenden Tage keine deutlicheren Marktreaktionen zu erwarten sind. Alle Augen sind nun auf das Bundesverfassungsgericht gerichtet. Hier erwarte ich keine negativen Überraschungen."
"Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Die Zinssenkung kommt in einer der nächsten Sitzungen. Die EZB hält ihr Pulver trocken. Sie wird später nachlegen.
"Die EZB hat alle wichtigen Zinssätze wie erwartet unverändert gelassen. Wir sind der Ansicht, dass eine konventionelle Lockerung der Geldpolitik keine angemessene Antwort auf die Probleme ist, denen der EZB-Rat derzeit gegenübersteht. Deutschland benötigt derzeit keine Zinssenkung - und Spanien würde eine Zinssenkung nicht retten."
Was wird Ihr Kernargument sein?
Die EZB überschreitet ihr Mandat. Sie betreibt, auch wenn Herr Draghi das abstreitet, monetäre Staatsfinanzierung. Das ist ihr nach Artikel 123 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union verboten und passiert dennoch. Ganz einfach: Der ESM kann auf dem Primärmarkt Anleihen der Krisenländer bis zu 80 Prozent der Emission zeichnen und diese anschließend auf dem Sekundärmarkt an die EZB verkaufen. So fließt frisches Geld der EZB über den ESM in die Staatshaushalte der Krisenländer. Dieses geschieht auch, wenn der ESM Hilfskredite an die Krisenländer vergibt und diese durch die Ausgabe eigener Anleihen finanziert. Die Banken können die ESM-Anleihen zeichnen und als Sicherheiten für Geldleihgeschäfte bei der EZB hinterlegen. In diesem Fall fließt das Geld von der EZB über die Banken an den ESM und von dort an die Staatshaushalte der Krisenländer.
Ein zweites Argument: Die EZB organisiert die Wettbewerbsverfälschung auf den Staatsschuldenmärkten. Die OMT-Verkündung ist eine Marktmanipulation. Noch einmal: Der Spread bei Kurzläufern zwischen Frankreich und Deutschland ist nahezu verschwunden. Der Wettbewerb wird zugunsten französischer Emissionen verfälscht. Das hat einen fatalen Effekt: Frankreich fühlt sich nicht mehr dem Zinsdruck der Märkte ausgesetzt und suspendiert jedwede Reformpolitik.
"EZB und Kommission werden vor Gericht privilegiert behandelt"
Die Gegenseite sieht dieses Problem nicht. Sie sagt: Das OMT-Programm sei keine Staatsfinanzierung, weil sich die Krisenländer ja nicht darauf verlassen könnten, dass die Zentralbank ihre Anleihen aufkauft und so stets für ausreichend Geld in der Staatskasse sorgt.
Das ist für mich nicht stichhaltig. Die EZB argumentiert, das Kaufprogramm sei durch die Fokussierung auf Anleihen der Krisenländer mit einer Laufzeit von bis zu drei Jahren auf rund 524 Milliarden Euro beschränkt. Doch das ist lediglich eine unverbindliche Angabe der EZB. Das Programm macht ja auch nur dann Sinn, wenn sich die EZB nicht selbst begrenzt. Sie will den Euro verteidigen und die Refinanzierungskosten für die Länder erträglich halten. Das gelingt nur, wenn die Notenbank bei entsprechend hohen Renditeforderungen der Investoren eingreift. Und zwar immer und immer wieder. Die Regierungen werden so nicht diszipliniert.
Die Rolle der EZB nach dem Maastricht-Vertrag
Artikel 104 (1) Überziehungs- oder andere Kreditfazilitäten bei der EZB oder den Zentralbanken der Mitgliedstaaten (...) für Organe oder Einrichtungen der Gemeinschaft, Zentralregierungen, regionale oder lokale Gebietskörperschaften oder andere öffentlich-rechtliche Körperschaften, sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentliche Unternehmen der Mitgliedstaaten sind ebenso verboten wie der unmittelbare Erwerb von Schuldtiteln von diesen durch die EZB oder die nationalen Zentralbanken.
Artikel 104 b (1) Die Gemeinschaft haftet nicht für die Verbindlichkeiten der Zentralregierungen, der regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften oder anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, sonstiger Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentlicher Unternehmen von Mitgliedstaaten und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein. (...)
Artikel 107 Bei der Wahrnehmung der ihnen durch diesen Vertrag und die Satzung des ESZB übertragenen Befugnisse, Aufgaben und Pflichten darf weder die EZB noch eine nationale Zentralbank, noch ein Mitglied ihrer Beschlussorgane Weisungen von Organen oder Einrichtungen der Gemeinschaft, Regierungen der Mitgliedstaaten oder anderen Stellen einholen oder entgegennehmen.
Artikel 105 (1) Das vorrangige Ziel des ESZB (Europäisches System der Zentralbanken, d. Red.) ist es, die Preisstabilität zu gewährleisten. Soweit dies ohne Beeinträchtigung des Zieles der Preisstabilität möglich ist, unterstützt das ESZB die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Gemeinschaft, um zur Verwirklichung der in Artikel 2 festgelegten Ziele der Gemeinschaft beizutragen.
Sie fühlen sich schon vor der Anhörung am Dienstag benachteiligt: Jede der fünf Kläger-Parteien – also auch Sie – darf in der mündlichen Verhandlung zwölf Minuten sprechen, die EZB zwanzig. Was haben Sie dagegen, dass die Notenbank auf die Kritik von fünf Klägern ausführlich eingeht?
EZB und Kommission werden privilegiert behandelt. Die deutschen Verfassungsbeschwerdeführer wurden vom Gerichtshof aufgefordert, sich auf maximal 30 Seiten zu erklären. EZB und Kommissionen schrieben doppelt so viele Seiten. Meine Verfahrensrüge wurde abgetan. Das gibt es in keinem Gericht der Welt. Zweiter Punkt: Die Kläger wurden aufgefordert, sich untereinander auszutauschen, um Wiederholungen zu vermeiden. Das setzt ein Zusammenwirken voraus, das es nicht geben kann. Die unterschiedlichen Redezeiten sind das Tüpfelchen auf dem "i". So sieht kein faires Verfahren aus.
Zahlen und Fakten zur Geldschwemme
...hat die EZB verteilt. Auch 460 deutsche Banken haben zugegriffen. Den meisten fehlte kein Geld, aber es war günstig, und es gab so viel, wie jede wollte. Jetzt legen sie es zu drei Prozent an, überweisen ein Prozent an die EZB und genießen den Gewinn.
...der Gelder, die Kunden eingezahlt haben, investieren Londoner Hedgefonds in Aktien. Im Dezember waren es erst 80 Prozent. Sie können mehr als 100 Prozent einsetzen, weil sie von Banken wieder Kredit bekommen.
...will der Versicherer Allianz neu in Immobilien und Ökoenergie stecken. Bei Versicherern werden Gelder frei, weil Banken eigene Anleihen zurückkaufen. Das freie Geld wandert jetzt in neue Anlageformen.
Sollten Sie mit Ihren Argumenten kein Gehör finden, könnten Sie mit Ihrer Klage gleich doppelt zum Verlierer werden. Nicht nur, dass die Richter das OMT-Programm durchwinken könnten. Das Urteil könnte auch ein Freifahrtschein für künftige EZB-Entscheidungen bedeuten.
Die europäischen Institutionen – die EZB, aber auch die Europäische Kommissionen und das Europäische Parlament – wollen ein Urteil, das die Zentralbank zur weiteren Selbstermächtigung ermutigt. Auch perspektivisch. Das Parlament geht so weit, dass es, stark vereinfacht, sagt: Die EZB ist unabhängig und muss daher frei von Rechtsbindungen sein. Die EZB könnte demnach schalten und walten wie sie will. Ihre Allmacht hätte diktatorische Züge. Es ist bezeichnend, dass ausgerechnet ein Deutscher, Clemens Ladenburger, dieses Papier für die Kommission ausgearbeitet hat.
"Die EZB hat die Agonie der Euro-Zone verlängert"
Auch die deutsche Bundesregierung verteidigt das OMT-Programm der EZB. Wie bewerten sie deren Rolle?
Die Ausführungen der Regierung, die vorab an den EuGH gingen, sind ein peinlicher Schriftsatz. Es heißt: "Die EZB müsse ihr OMT-Programm noch konkretisieren!". Das ist lächerlich. Die Regierung hätte angesichts der seit dem OMT beschlossenen Maßnahmen ihre Vorbehalte gegenüber der EZB deutlicher machen müssen. Warum traut sie sich nicht?
Stimmen aus dem Ausland zur EZB-Politik
„Bei der Verkündung der EZB-Maßnahmen war ein Hauch von Verzweiflung zu spüren. Europa befindet sich im Sog eines Deflationsstrudels. Es ist zwar gut, zu wissen, dass sich die EZB dessen bewusst ist. Aber die Erleuchtung könnte zu spät gekommen sein.“
„Die Notenbank in Frankfurt hat ihr wirksamstes Instrumentarium weitgehend ausgereizt, die Strukturschwäche in der Euro-Zone kann und wird sie mit ihren Mitteln nicht überwinden können. […] Die EZB will um jeden Preis den Eindruck vermeiden, ihr gingen im Kampf um die Erhaltung der Währungsunion und des Euro die Mittel aus. Doch ihr Präsident gibt inzwischen unumwunden zu, dass es immer schwieriger werde, allein mit der Geldpolitik für Preisstabilität in der Euro-Zone zu sorgen.“
„Jetzt ist die perfekte Zeit für eine fiskalische Expansion und nicht für eine weitere Schrumpfung. Europa kommt gerade aus einer schweren Rezession, die von unzureichender Nachfrage verursacht wurde. Die Rentenerträge sind auf einem historischen Tiefpunkt, und viele Länder haben ungenutzte Kapazitäten im Bausektor. Wer glaubt, die EZB könne die Lage mit noch niedrigeren als den ohnehin schon minimalen Zinsen retten, der irrt.“
„Genau in dem Moment, als die amerikanische Notenbank Fed ihre Geldpolitik strafft, entschied sich die EZB, ihre zu lockern. Das Zusammenwirken wertet logischerweise den Euro ab, zur Zufriedenheit Frankreichs. Doch Draghi kann die Wirtschaften Europas nicht allein ankurbeln. Jetzt liegt es an jedem Land selbst, sich zu reformieren.“
„Es ist keine starke Waffe, wie das Quantitative Easing, um die Stagnation zu bekämpfen. Doch das neue Programm, das Mario Draghi zum Ankauf von Bankpapieren angekündigt hat, könnte sich trotzdem als sehr effizientes Instrument erweisen.“a
Was, wenn der EuGH das OMT-Programm billigt. Ist die Schlacht dann geschlagen – oder hoffen Sie, dass das Bundesverfassungsgesetz erneut prüft, ob ein Verstoß gegen das Grundgesetzt vorliegt?
Das Verfahren vor dem EuGH ist mitnichten das Ende der Debatte. Das Bundesverfassungsgericht hat bei seiner Entscheidung im Februar bereits angedeutet, dass es Zweifel hat, ob Anleihekäufe durch die EZB nicht außerhalb des geldpolitischen Mandats stattfinden – und angekündigt, eventuell erneut einzugreifen. Die Karlsruher Richter könnten erkennen, dass das OMT-Urteil des EuGH in flagranti europäisches Recht verletzt und damit für Karlsruhe unverbindlich wird.
Sie haben bereits angekündigt, auch gegen die Bankenunion klagen zu wollen. Was treibt Sie eigentlich an?
Die Währungsunion hat sich in eine Transferunion verwandelt. Verträge werden von den Handelnden so interpretiert, wie es ihnen gerade passt. Die EZB weist darauf hin, dass ihr Kaufversprechen die Finanzmärkte beruhigt habe. Ohne ihre "Schuldenversicherung" wären Krisenländer und Banken vom Kapitalmarkt abgeschnitten worden, was die Euro-Rettung für Deutschland noch teurer gemacht hätte. Ich sehe das völlig anders: Das Kaufversprechen der EZB hat die Agonie der Euro-Zone verlängert.
Wer behauptet, die EZB habe Deutschland noch höhere Kosten für die Euro-Rettung erspart, ignoriert die Option, die Deutschland bleibt: Das Euro-Experiment an einem bestimmten Punkt geregelt und mit seinen Partnerländern zu beenden. Diese Option wird von allen Beteiligten unterschätzt. Die deutsche Bevölkerung steht der Euro-Rettung äußerst skeptisch gegenüber. Zurecht: Das Euro-Projekt ist eine Falle für Europa, der wir entkommen müssen. Dafür kämpfe ich.