Markus C. Kerber „Die EZB verfälscht den Wettbewerb“

Markus C. Kerber, Professor für Finanzwirtschaft und Wirtschaftspolitik, klagt gegen die Europäische Zentralbank. Er wirft ihr vor, sie betreibe Staatsfinanzierung und könnte bald schalten und walten, wie sie will. Am Dienstag verhandelt der Europäische Gerichtshof darüber.

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Finanzwissenschaftler Markus C. Kerber Quelle: imago images

Herr Kerber, der Europäische Gerichtshof (EuGH ) verhandelt am Dienstag über die Frage, ob die Europäische Zentralbank (EZB) mit ihren Plänen von 2012, Staatsanleihen aufzukaufen, ihre Rechte überschritten hat. Das entsprechende Programm, kurz: OMT, wurde nie umgesetzt. Wieso fahren Sie überhaupt nach Luxemburg?

Markus C. Kerber: Allein die Ankündigung, im Notfall Staatsanleihen zu kaufen, verfälschte den Wettbewerb auf dem Markt für Staatsschulden in der Eurozone. Die Renditen für kurzfristige Staatsanleihen von Deutschland und Frankreich etwa kennen keine nennenswerten Unterschiede – obwohl die Länder in dramatisch unterschiedlicher Verfassung sind. Das OMT-Programm ist ein Beitrag zur permanenten Suspendierung des Wettbewerbs auf den Staatsschuldenmärkten der Euroländer. Zudem vernichtet die Nullzinspolitik der EZB Jahr für Jahr das Vermögen deutscher Sparer und schmälert die langfristigen Refinanzierungsmöglichkeiten des Bundes. Das muss aufhören.

Ihre Erfolgsaussichten sind aber schlecht. Der EuGH hat zuletzt immer pro-europäisch entschieden, etwa beim Euro-Rettungsschirm ESM.

Der EuGH hat enorme historische Verdienste. Er hat das Binnenmarktkonzept der Europäischen Union in den 1960er-Jahren überhaupt erst juristisch operationalisiert und so einen für die Mitgliedstaaten maßgeblichen Rahmen geschaffen. In den letzten Jahren ist er aber zu einem politischen Organ geworden, das sich als Integrationsmotor versteht. Dass der ESM  durchgewunken wurde, ist hanebüchen und  könnte ein böses Omen  für die anstehende Verhandlung sein. Dennoch: Alles ist möglich. Wir werden bestens vorbereitet in die mündliche Verhandlung gehen, um das Gericht von unserer Argumentation zu überzeugen.

Was wird Ihr Kernargument sein?

Die EZB überschreitet ihr Mandat. Sie betreibt, auch wenn EZB-Präsident Mario Draghi das abstreitet, monetäre Staatsfinanzierung. Das ist ihr nach Artikel 123 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union verboten und passiert dennoch. Ganz einfach: Der ESM kann auf dem Primärmarkt Anleihen der Krisenländer bis zu 80 Prozent der Emission zeichnen und diese anschließend auf dem Sekundärmarkt an die EZB verkaufen. So fließt frisches Geld der EZB über den ESM in die Staatshaushalte der Krisenländer. Dieses geschieht auch, wenn der ESM Hilfskredite an die Krisenländer vergibt und diese durch die Ausgabe eigener Anleihen finanziert. Die Banken können die ESM-Anleihen zeichnen und als Sicherheiten für Geldleihgeschäfte bei der EZB hinterlegen. In diesem Fall fließt das Geld von der EZB über die Banken an den ESM und von dort an die Staatshaushalte der Krisenländer.

Ein zweites Argument: Die EZB organisiert die Wettbewerbsverfälschung auf den Staatsschuldenmärkten. Die OMT-Verkündung ist eine Marktmanipulation. Noch einmal: Der Spread bei Kurzläufern zwischen Frankreich und Deutschland ist nahezu verschwunden. Der Wettbewerb wird zugunsten französischer Emissionen verfälscht. Das hat einen fatalen Effekt: Frankreich fühlt sich nicht mehr dem Zinsdruck der Märkte ausgesetzt und suspendiert jedwede Reformpolitik.

Die Fürsprecher des OMT-Programms sagen, es  sei keine  Staatsfinanzierung, weil sich die Krisenländer ja nicht darauf verlassen könnten, dass die Zentralbank ihre Anleihen aufkauft und so stets für ausreichend Geld in der Staatskasse sorgt.

Das ist für mich nicht stichhaltig. Die EZB argumentiert, das Kaufprogramm sei durch die Fokussierung auf Anleihen der Krisenländer mit einer Laufzeit von bis zu drei Jahren auf rund 524 Milliarden Euro beschränkt. Doch das ist lediglich eine unverbindliche Angabe der EZB. Das Programm macht ja auch nur dann Sinn, wenn sich die EZB nicht selbst begrenzt. Sie will den Euro verteidigen und die Refinanzierungskosten für die Länder erträglich halten. Das gelingt nur, wenn die Notenbank bei entsprechend hohen Renditeforderungen der Investoren eingreift. Und zwar immer und immer wieder. Die Regierungen werden so nicht diszipliniert.

Sie fühlen sich schon vor der Anhörung am Dienstag benachteiligt: Jede der fünf Kläger-Parteien – also auch Sie – darf in der mündlichen Verhandlung zwölf Minuten sprechen, die EZB zwanzig. Was haben Sie dagegen, dass die Notenbank auf die Kritik von fünf Klägern ausführlich eingeht?

EZB und Europäische Kommission werden privilegiert behandelt. Die deutschen Verfassungsbeschwerdeführer wurden vom Gerichtshof aufgefordert, sich auf maximal 30 Seiten zu erklären. EZB  und Kommissionen schrieben doppelt so viele Seiten. Meine Verfahrensrüge wurde abgetan. Das gibt es in keinem Gericht der Welt. Zweiter Punkt: Die Kläger wurden aufgefordert, sich untereinander auszutauschen, um Wiederholungen zu vermeiden. Das setzt ein Zusammenwirken voraus, das es nicht geben kann. Die unterschiedlichen Redezeiten sind das Tüpfelchen auf dem „i“. So sieht kein faires Verfahren aus.

Sollten Sie mit Ihren Argumenten kein Gehör finden, könnten Sie mit Ihrer Klage gleich doppelt zum Verlierer werden. Nicht nur, dass die Richter das OMT-Programm durchwinken könnten. Das Urteil könnte auch ein Freifahrtschein für künftige EZB-Entscheidungen bedeuten.

Die europäischen Institutionen – die EZB, aber auch die Europäische Kommissionen und das Europäische Parlament – wollen ein Urteil, das die Zentralbank zur weiteren Selbstermächtigung ermutigt. Auch perspektivisch. Das Parlament geht so weit, dass es -  stark vereinfacht -  sagt: Die EZB ist unabhängig und muss daher frei von Rechtsbindungen sein. Die EZB könnte demnach schalten und walten wie sie will. Ihre Allmacht hätte diktatorische Züge. Es ist bezeichnend, dass ausgerechnet ein Deutscher, Clemens Ladenburger, dieses Papier für die Kommission ausgearbeitet hat.

Was, wenn der EuGH das OMT-Programm billigt. Ist die Schlacht dann geschlagen – oder hoffen Sie, dass das Bundesverfassungsgesetz erneut prüft, ob ein Verstoß gegen das Grundgesetzt vorliegt?

Das Verfahren vor dem EuGH ist mitnichten das Ende der Debatte. Das Bundesverfassungsgericht hat bei seiner Entscheidung im Februar bereits angedeutet, dass es Zweifel hat, ob Anleihekäufe durch die EZB nicht außerhalb des geldpolitischen Mandats stattfinden – und angekündigt, eventuell erneut einzugreifen. Die Karlsruher Richter könnten erkennen, dass das OMT-Urteil des EuGH in flagranti europäisches Recht verletzt und damit für Karlsruhe unverbindlich wird.

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