Markus C. Kerber "Die Bundesbank muss sich gegen die EZB wehren"

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Politisch naive Fehldiagnose

Die Entscheidungsträger über den Euro
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Derartige Einflussnahmen, also der politisch-faktische Versuch, die EZB zum Objekt der nationalen Politik zu machen, mussten im Bundesbank-Modell am esprit de corps des Bundesbank-Personals scheitern oder blieben auf einzelne Versuche beschränkt, die – kamen sie an die Öffentlichkeit – von derselben so massiv verurteilt wurden, dass die Politik sofort zurückwich. Einen vergleichbaren Rückhalt in der Öffentlichkeit gibt es bei der EZB mangels einer europäischen Öffentlichkeit genauso wenig wie einen esprit de corps. Wenn also die Bundesbank meinte, EZB und Euro-System wären institutionelle Garanten gegen die Politik der Selbstermächtigung und gegen das konzeptionelle Aufweichen der Stabilitätspolitik, so handelte es sich um eine politisch naive Fehlprognose. Sie konnte nur so ausfallen, weil das Personal der Bundesbank – mit allen Vor- und Nachteilen – von beamtenhafter Tugend und mit einer unübersehbaren Tendenz zum technokratischen Spießertum geprägt war und ihm wegen dieser Begrenztheit die Dynamik politischer Prozesse verschlossen blieb.

Grünes Licht trotz Vorbehalten

Jene Geldverwalter in der Wilhelm-Epstein-Straße verstanden nichts vom ungebändigten Willen zur Macht der anderen Zentralbanken, besonders der Banque de France. Sie meinten sogar, dies ignorieren zu können, und zwar so, als habe Geldpolitik im deutschen Sinne aufgehört, Politik im eigentlichen Sinne zu sein. Dabei hatte die Bundesbank in der entscheidenden Phase der auch von Frankreich geforderten Währungsunion mit Hans Tietmeyer einen politisch erfahrenen und gewieften Verhandler an ihrer Spitze. Dennoch gab die Bundesbank unter der Leitung dieses westfälischen Realpolitikers bei ihrem Gutachten zur EWU trotz aller Vorbehalte grünes Licht, indem sie das Vorhaben als "vertretbar" qualifizierte. Wie war ein solches Urteil fachlich zu rechtfertigen angesichts der flagranten Unstimmigkeiten im Euro-System?

Bundesbank wird Erfüllungsgehilfe der Politik

Die Regel der Stimmparität im EZB-Rat musste besonders in Krisenzeiten höchst problematische politische Interessenkonflikte mit sich bringen, die durch geldpolitische Fachdiskussionen – ohne Willen zur Macht – nur zum Nachteil der Bundesbank zu lösen waren. Die Weisungsbefugnis der EZB gegenüber der Bundesbank machte Letztere potenziell zum Erfüllungsgehilfen einer Politik, die sie im EZB-Rat zuvor erfolglos bekämpft hatte. Diese Situation ist nunmehr eingetreten, und sie wäre politisch vorhersehbar gewesen, weil sie die Prämie der Südländer einschließlich Frankreichs für die institutionellen Anpassungen ihrer nationalen Zentralbanken sowie ihr öffentliches Gelöbnis zur Stabilitätspolitik darstellte. Wenn die Bundesbank die Umsetzung dieser EZB-Beschlüsse nicht verweigert, setzt sie Anreize dafür, dass die Nehmerländer sich weiterhin der Bundesbank-Bilanz bedienen können.

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