May soll Brexit-Deal nachverhandeln Die Briten wollen die Quadratur des Kreises

Brexit-Abstimmung: Theresa May steht vor unmöglicher Aufgabe Quelle: Getty Images

Das britische Parlament hat Theresa May einen Arbeitsauftrag erteilt, der sich nicht erfüllen lässt. Der Ball liegt nun bei der EU, doch die bleibt – bisher – hart. Eine Aufschiebung des Brexits scheint unvermeidlich.

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So eine Zeitverschwendung. Rund zwei Monate vor dem geplanten Ausstritt aus der EU hat Theresa May eine dramatische Kehrtwende vollzogen. Um ihre Tory-Partei vor der Spaltung zu bewahren schlug sie sich auf Seiten der Brexit-Hardliner und geht auf Konfrontationskurs mit der EU. Ausgestattet mit einem frischen Mandat einer Mehrheit der Abgeordneten will sie zurück nach Brüssel, den Scheidungsvertrag wieder aufschnüren, den kontroversen Backstop streichen und rechtlich verbindliche Alternativen für die irische Notfallregelung aushandeln.

Die EU lehnte das zwar prompt ab und Irlands Außenminister Simon Coveney erklärte: „Das britische Votum heute Abend hat nichts geändert“. Doch May selbst hat ihre Meinung radikal geändert. „Mein Deal, kein Deal oder kein Brexit“, lautete der Spruch mit dem sie monatelang gebetsmühlenartig um Unterstützung für den Entwurf geworben hatte. Also jetzt doch ein Plan B, nach dem Motto: Was schert mich mein Geschwätz von gestern?

Die quälende Brexit-Saga geht also in die nächste Runde. Exakt 14 Tage nach Mays historischen Niederlage im britischen Unterhaus, bei dem der in 18 Monaten mühsam ausgehandelte EU-Scheidungsvertrag mit einer Mehrheit von 230 Stimmen durchfiel, stimmte das Unterhaus am Dienstag über sieben Änderungsanträge zu diesem Entwurf ab. Fünf wurden abgelehnt, zwei mit knapper Mehrheit angenommen, darunter der Antrag des Tory-Hinterbänklers Graham Brady für eine Streichung des „Backstop“.

Doch einen realistischen Ausweg aus der Blockade gibt es damit immer noch nicht. „Der Brady-Antrag weckt falsche Erwartungen und ist deshalb gefährlich“, kritisierte der Chef der Liberaldemokraten Vince Cable. Konservative Politiker, wie die Staatssekretärin im Finanzministerium Liz Truss, haben dagegen keinen Zweifel: „Der Ball liegt im Feld der EU. Sie muss jetzt Flexibilität zeigen“. Ex-Brexit-Minister Dominic Raab hält die laut bekundete Brüsseler Ablehnung von Neuverhandlungen sogar nur für eine „klassische Taktik der EU-Diplomatie“. Erst um fünf Minuten vor Zwölf dürfte EU-Chefunterhändler Michel Barnier Kompromissbereitschaft zeigen, meint der Euroskeptiker. Sabine Weyand, die Stellvertreterin Barniers, betonte jedoch: Die Verhandlungen über das Scheidungsabkommen seien abgeschlossen und würden auch nicht mehr aufgenommen. Das Risiko, dass Großbritannien unabsichtlich ohne Vertrag aus der EU ausscheide, sei „sehr groß“.

Am 13 oder 14. Februar will die Premierministerin ins Unterhaus zurückkehren und die Abgeordneten dann erneut über Alternativen abstimmen lassen, wenn sie bis dahin keinen geänderten Deal vorlegen kann. Im Gepäck hat sie dann vielleicht ein paar neue unverbindliche Zusicherungen zur Irland-Grenze – oder zeigt sich die EU am Ende vielleicht doch noch kompromissbereiter als gedacht? Schließlich brächte ein ungeordneter harter Brexit die Wirtschaft in wichtigen Mitgliedsländern wie Deutschland und Frankreich in eine schwierige Lage. Und Irland, das als einziges EU-Mitglied eine Landgrenze mit Großbritannien teilt, wäre besonders hart betroffen: Es droht beim „No Deal“ schließlich genau das, was der Backstop verhindern soll: eine harte Grenze. 18 Monate lang hatten die Unterhändler der EU und Großbritanniens um eine Lösung für die irische Grenzfrage gerungen. Der Backstop sieht vor, dass Großbritannien so lange in der Zollunion mit der EU bleibt, bis eine andere Lösung gefunden ist, außerdem sollen in Nordirland weiter einige Binnenmarktregeln gelten.

Allerdings signalisierte Brüssel, dass die übrigen 27 EU-Staaten Großbritannien eine Verschiebung des Brexit-Datums am 29. März gewähren könnten – ein Vorschlag, den die britische Regierung bisher ablehnte.

Die Lage ist in jedem Fall total verfahren. Einziger Trost: Mit acht Stimmen Mehrheit sprachen sich die Abgeordneten am Dienstagabend im Rahmen eines rechtlich unverbindlichen Antrags, der von einer Tory-Politikerin und einem Labour-Politiker eingebracht worden war, gegen einen No-Deal-Brexit aus. Beobachter werteten das als deutliches Signal für den Willen einer Mehrheit der Parlamentarier einen EU-Ausstritt ohne Abkommen auf jeden Fall zu verhindern. Nur wie der Weg dorthin konkret aussehen soll, ist weiter völlig unklar.

Wie kann die Quadratur des Kreises gelingen?

„Ich bin verzweifelt, verzweifelt, verzweifelt“

Die Brexitiers fürchten, die Backstop-Klausel könne Großbritannien dauerhaft an die EU binden und die nordirische Protestantenpartei DUP, die Mays Minderheitsregierung stützt, will einen Sonderstatus für Nordirland verhindern. Den Backstop zeitlich zu befristen, so wie sich das viele Briten wünschen, lehnte die EU mit dem nachvollziehbaren Argument ab, ein temporäres Sicherheitsnetz sei nutzlos.

Nur durch den dauerhaften Verbleib im Binnenmarkt oder in der Zollunion ließe sich eine harte Grenze zwischen der Republik Irland und der britischen Provinz Nordirland vermeiden, doch May will weder das eine noch das andere. Technische Lösungen, wo die Grenzen unauffällig durch elektronische Sensoren oder Kameras überwacht und Zollerklärungen nur per Computer möglich wären, sind in der Praxis bisher noch nicht realisierbar.

Mit den Backstop-Nachverhandlungen in Brüssel will May den Widerstand einiger Tories und der DUP gegen ihr Scheidungsabkommen überwinden. Kritiker von der Opposition warfen ihr allerdings vor, auf diese Weise das Karfreitagsabkommen von 1998 zu sabotieren, das in den letzten zwanzig Jahren ein friedliches Zusammenleben von Protestanten und Katholiken in Nordirland ermöglichte. Manche Beobachter spekulieren nun, dass der Brexit mittelfristig die Vereinigung von Nordirland mit der katholischen Republik im Süden der Insel begünstigen könnte. Für die Katholiken in Nordirland war das schon immer das Ziel und die protestantischen, pro-britischen Loyalisten könnten aus wirtschaftlichen Gründen umdenken.

Nachdem Mays Scheidungsvertrag am 15. Januar mit Pauken und Trompeten im Unterhaus gescheitert war, versprach sie Zugeständnisse und eine Lösung, die auch die Oppositionsparteien einbinden würde. Das weckte bei den Pro-Europäern die Hoffnung auf einen Verbleib in der Zollunion oder eine weitere Mitgliedschaft im Binnenmarkt, vielleicht sogar auf eine zweite Volksabstimmung.

Doch am Wochenende begannen Gerüchte zu zirkulieren, wonach die Premierministerin sich unter dem Einfluss ihres Mannes stattdessen entschlossen habe, vor allem die Tory-Hardliner und Euroskeptiker der European Research Group (ERG) um Jacob Rees-Mogg sowie die DUP umzustimmen, um eine Spaltung der Konservativen Partei zu verhindern. Sie habe sich deswegen wider besseren Wissens am Montagabend entschlossen, den Antrag von Graham Brady zu unterstützen. „Ich bin verzweifelt, verzweifelt, verzweifelt“, kommentiert die proeuropäische Tory-Abgeordnete Anna Soubry: „Die Interessen der Partei sollten sekundär sein, wenn es um das Wohl des ganzen Landes geht“.

So rüsten sich Konzerne für einen No-Deal-Brexit
AirbusDer Luftfahrt- und Rüstungskonzern drohte mit der Schließung von Fabriken. „Wenn es einen Brexit ohne Abkommen gibt, müssen wir bei Airbus möglicherweise sehr schädliche Entscheidungen für Großbritannien treffen“, sagte Konzern-Chef Tom Enders jüngst. Es gebe auf der Welt Länder, die gerne Tragflächen für Airbus bauen würden. Im Vereinigten Königreich bündelt Airbus fast den gesamten Tragflächen-Bau - was beim Brexit heikel werden könnte. Zulieferer müssen Teile auf die Insel bringen, danach müssen die fertigen Tragflächen zu Werken in Frankreich, Deutschland, China und den USA. Quelle: dpa
SonyDer japanische Elektronikkonzern verlegt seinen europäischen Hauptsitz von London nach Amsterdam. Damit könne das Unternehmen seinen Geschäftsbetrieb ohne Beeinträchtigung fortsetzen, wenn Großbritannien die Europäische Union verlasse, sagte eine Sprecherin. Quelle: AP
PanasonicDer Konzern erklärte schon im vergangenen August, den Europasitz nahe London nach Amsterdam zu verlegen - auch wegen des Brexits. Panasonic wolle so verhindern, möglicherweise von der eigenen Regierung bestraft zu werden: Sollte Großbritannien die Unternehmenssteuer drastisch senken, könnte das Land von Japan als Steueroase eingestuft werden. Auch der freie Verkehr von Waren und Personen spiele eine Rolle. Quelle: REUTERS
DysonDer Staubsaugerhersteller verlagert seine Zentrale von Großbritannien nach Singapur. Dyson begründete das aber nicht mit dem Brexit, sondern mit der Bedeutung Asiens. Dort befänden sich eine wachsende Mehrheit seiner Kunden und alle Produktionsstandorte. Quelle: REUTERS
Pets at homeDer größte Tierbedarf-Händler Großbritanniens hat angekündigt, seine Lager etwa für Katzenfutter aufzustocken. So will das Unternehmen einem möglichen Chaos in britischen Häfen begegnen und verhindern, „dass Familien das Futter für ihre Tiere ausgeht.“ Quelle: dpa
P&ODie Fährgesellschaft will ihre Flotte für den Verkehr über den Ärmelkanal unter zypriotischer Flagge anmelden. Der Schritt bringe dem Unternehmen deutlich günstigere Steuerbedingungen, da die Schiffe dann unter der Flagge einer EU-Mitgliedslandes liefen, erklärte sie. Quelle: REUTERS
BMWDer Autobauer hat die jährliche Wartungsperiode für seine vier Werke in Großbritannien auf die Zeit unmittelbar nach dem geplanten EU-Ausstieg gelegt. So will BMW verhindern, dass die Versorgungskette der Fabriken wegen Brexit-Turbulenzen unterbrochen wird. Nach der Pause soll die Produktion von Autos und Komponenten reibungslos anlaufen - wie auch immer die Lage dann aussieht. Ferner prüfe BMW, Lagerkapazitäten zu erweitern. Man rüste sich auch in Sachen IT, Logistik und Zollabwicklung für den ungeordneten Brexit. Quelle: dpa
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