Meinhard Miegel "Wir schaffen das"

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"Zuwanderung, die gelingen soll, zwingt zur Auseinandersetzung"

Aber das Geld dafür haben wir nicht auf die hohe Kante gelegt.

So ist es. Es wurde verjubelt. So läuft es eben, wenn eine Generation auf Kosten der nächsten lebt. Vielleicht ist uns Heutigen das eine Lehre.

Sie erwarten also unterm Strich neue ökonomische Dynamik? 

Ich erwarte keine solche Dynamik, halte sie aber für möglich. Wichtiger noch als das Ökonomische ist jedoch aus meiner Sicht der mögliche geistig-kulturelle Impuls. Zuwanderung, die gelingen soll, zwingt zur Auseinandersetzung. Auseinanderersetzung erzeugt Reibungen und Reibungen erzeugen Wärme. An uns liegt es, wie wir diese Wärme umsetzen. Aber immerhin, zunächst einmal steht sie uns zur Verfügung. Länder, die sich dieser Auseinandersetzung von vornherein entziehen, vermeiden Risiken, verpassen aber auch große Chancen.

Grenzen, nicht nur geographische, sondern auch ökologische, schienen in den vergangenen Jahrzehnten vor allem zum Überschreiten da. Doch so wird es nicht weitergehen können.
von Ferdinand Knauß

Viktor Orbán will lieber, dass Ungarn ein homogener Nationalstaat bleibt.

Aus historischen Gründen verstehe ich das. Aber im 21. Jahrhundert ist seine Position anachronistisch.

Seit einigen Jahren herrscht nun in Deutschland der weitgehende Konsens, dass wir ein Einwanderungsland sind. Aber es gibt kein Einwanderungsrecht. Die de-facto-Einwanderung läuft zum großen Teil über das Asylrecht, obwohl alle Beteiligten wissen, dass nur eine kleine Minderheit dieser Einwanderer tatsächlich asylberechtigt sind. Die anderen werden aber „geduldet“.

Das ist ein unmöglicher Zustand, der für uns nur Nachteile hat. Deutschland hat ein im internationalen Vergleich recht restriktives Asylrecht. Konsequent angewendet würden die wenigsten der Ankömmlinge bleiben können. Da es aber keine verbindliche Zuwanderungsregelung gibt, segeln viele unter der Flagge des Asyls, das damit hoffnungslos überdehnt wird. Künftig muss ganz klar entschieden werden, wer einen genau definierten Asylanspruch hat. Der oder die ist dann ohne Wenn und Aber aufzunehmen. Für alle anderen gilt: Hier stehen die Interessen des Aufnahmelandes im Vordergrund. Ob Zuwanderer willkommen sind, hängt von Vielerlei ab: Arbeitsplätzen, Wohnraum, ihrer Altersstruktur, ihrer schulischen und beruflichen Qualifikation und anderem mehr. Erklärte Einwanderungsländer tun sich leichter, ihre Erwartungen an Einwanderer unmissverständlich zu definieren und durchzusetzen. Dadurch vermindern sie Enttäuschungen und Frustrationen bei allen Beteiligten.

Was ist unser nationales Interesse?

Jedenfalls mehr als nur eine florierende Wirtschaft, die über genügend Arbeitskräfte verfügt.

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von Ferdinand Knauß

Zum Beispiel?

Wir müssen zum Beispiel auch die ökologische Tragfähigkeit unseres Landes im Blick behalten und darauf achten, dass die Wärme, die aus kulturellen Reibungen entsteht, nicht zu versengender Hitze wird.

Wer sind Gewinner und Verlierer der gegenwärtigen Entwicklung?

Das kommt auf das Verhalten der Beteiligten an. An sich braucht es überhaupt keine Verlierer zu geben. Dass Menschen, die Asyl oder eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen suchen, in der Regel Gewinner sein werden, liegt auf der Hand. Aber auch die ansässige Bevölkerung profitiert. Aufgrund der in Deutschland extrem niedrigen Geburtenrate, würde die Bevölkerung schon seit vielen Jahren rapide schrumpfen und altern. Durch die Zuwanderung wird diese Entwicklung verlangsamt und dadurch besser steuerbar. Dies dürfte eine grundsätzlich positiv zu bewertende Nebenwirkung der Wanderungsbewegungen im 21. Jahrhundert sein: Die in den einzelnen Ländern und Weltregionen sehr unterschiedlich verlaufenden demografischen Entwicklungen werden durch sie etwas ausgeglichen.

Sie sprachen gerade von der Ökologie, die auch zu den nationalen Interessen gehöre. Die Deutschen gelten als ziemlich umweltbewusst. Aber wird das für die eingewanderten Menschen auch gelten?

Das weiß ich nicht. Einerseits haben die Zuwanderer einen hohen Nachholbedarf, dessen Befriedigung tendenziell umweltbelastend wirken dürfte. Andererseits sind sie an materiell bescheidene Lebensbedingungen gewöhnt. Das könnte sie zu Vorbildern für die ansässige Bevölkerung werden lassen. Das aber ist hochspekulativ.

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