Michel Barnier Der Mann, der den Brexit aushandelt

Brüssels Chefunterhändler Michel Barnier geht gelassen in die Brexit-Verhandlungen. Der Franzose hat Ahnung von Deals. Und ganz spezielle Fähigkeiten.

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Michel Barnier Quelle: Getty Images

Was macht Michel Barnier, EU-Chefunterhändler für den Brexit, am Morgen nach der Wahlschlappe der britischen Premierministerin Theresa May? Er arbeitet seinen Terminkalender ab, in aller Seelenruhe, komme, was da wolle: Mögen andere den Zeitplan für die Brexit-Verhandlungen möglicherweise über den Haufen werfen – was kann er dafür? Barnier nimmt es, wie es kommt.

Und so bespricht er sich im fünften Stock des Berlaymont, der Schaltzentrale der EU-Kommission, in seinem penibel aufgeräumten Büro erst einmal mit Kollegen aus der Brexit-Taskforce. Entspannt empfängt er danach einen Neuzugang in seinem Team, Mitarbeiter Nummer 37, einen Fachmann für Zölle – den wird er brauchen. Und trifft sich anschließend mit einem Kommissarskollegen, genau wie vorgesehen.

Business as usual in Brüssel. Auch Normalität kann ein politisches Zeichen sein: Es braucht schon mehr als ein unvorhergesehenes Wahlergebnis bei den britischen Parlamentswahlen, um den EU-Chefunterhändler für den Brexit aus dem Konzept zu bringen.

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Natürlich hätten sich viele in Brüssel einen deutlicheren Wahlausgang in Großbritannien gewünscht, ein eindeutiges Mandat für May; natürlich wäre auch ein wenig mehr Klarheit willkommen, wann die britische Regierung sich geordnet hat und verhandlungsfähig ist, ob May eine Regierungschefin auf Abruf ist oder nicht.

Aber der 66 Jahre alte Barnier – mehrfacher französischer Minister und Ex-EU-Kommissar – ist lange genug im politischen Geschäft, um eines zu wissen: Man darf in der Politik nicht Wunschvorstellungen nachhängen, sondern muss das Maximum aus dem Gegebenen herausholen. Auf seinem Bürotisch steht eine Tasse mit der Aufschrift Keep calm and carry on. Mit diesem Slogan rief die britische Regierung ihre Bürger im Zweiten Weltkrieg zur Gelassenheit auf.

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Während der Rest Europas rätselt, welche Art Brexit die Briten eigentlich verhandeln wollen – hart, weich, halb und halb –, wartet der Franzose auf den Beginn der Verhandlungen: „Der Weg ist lang und steil“, sagt er, „aber ich komme aus den Bergen und bin ein trittsicherer Wanderer.“

Barnier hat sich gut vorbereitet, und zwar nicht nur durch die Lektüre der Verhandlungspositionen aller 27 EU-Mitgliedstaaten. Er hat in seinem weiten Ausfallschritt auch Irlands grüne Wiesen durchquert. Dort ließ sich der Unterhändler zum Beispiel von Bauern erklären, was es bedeute, wenn nach einem Brexit ihre Milch künftig eine EU-Außengrenze überschreiten müsste, um verarbeitet zu werden.

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Barnier wird solche Details brauchen, wenn er künftig alle vier Wochen mit seinem britischen Pendant, vermutlich Brexit-Minister David Davis, die Scheidung Großbritanniens von der EU verhandelt. 18 Sitzungen sind bis Herbst 2018 eingeplant. „Mein Ziel ist ein fairer Deal“, sagt Barnier. Und warnt davor, dass es sowohl für die Briten als auch für den Rest der EU schmerzhaft werden könnte.

Barnier hilft, dass er in seinem politischen Leben viele Verhandlungen begleitet hat. Er gilt als exzellenter Zuhörer, kennt das Geben und Nehmen bis in den frühen Morgen. Der Vertrag von Amsterdam, der Vertrag von Nizza – bei wichtigen Etappen der europäischen Einigung war der Franzose dabei. Nun aber geht es nicht um mehr Einigung, wie früher in Europa. Es geht, zum ersten Mal, um eine Trennung.

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