
Die EU-Mitgliedstaaten arbeiten an einem beschleunigten Auswahlverfahren, um schnell große Flüchtlingskontingente aus der Türkei aufnehmen zu können. Bereits am Montag treffen sich dazu Experten der 28 Staaten zu weiteren Beratungen, wie die „Welt am Sonntag“ unter Berufung auf EU-Verhandlungskreise berichtete.
Die in der Vergangenheit praktizierte Auswahl durch das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR wird demnach nicht in Betracht gezogen. Der intensive Auswahlprozess durch das UNHCR würde dazu führen, dass pro Jahr nicht mehr als rund 50.000 geeignete Syrer in der Türkei identifiziert werden könnten. Ankara erwartet dagegen die Aufnahme von deutlich größeren Kontingenten in der EU.
Bei einem beschleunigten Verfahren soll der Fokus dem Bericht zufolge darauf gelegt werden, dass von einem ausgewählten Flüchtling keine Gefahr ausgeht. Eine Voraussetzung könnte ein vorhandenes Ausweisdokument sein, das man mit Datenbanken abgleichen kann. Umfangreichere Interviews könnten später in der EU nachgeholt werden. Die Rolle der türkischen Behörden bei dem Auswahlprozess soll deutlich gesteigert werden.
Unterdessen hat Österreichs Bundeskanzler, Werner Faymann (SPÖ), Deutschland aufgefordert, eine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen einzuführen. „Erst wenn Deutschland einen Richtwert nennt und Flüchtlinge nur noch direkt aus den Krisenregionen holt, durchbricht man die Logik der ungeordneten Migration“, sagte Faymann der Tageszeitung „Österreich“ (Sonntag). Gemessen am Wiener Richtwert sollte die Bundesrepublik jährlich 400.000 Flüchtlinge aufnehmen.
Die Balkanroute sollte weiterhin geschlossen bleiben. Männer, Frauen und Kinder, die mit Hilfe von Schleppern an der EU-Außengrenze ankommen, müssten ausnahmslos zurückgeschickt werden. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) soll nach Meinung Faymanns klare Regeln für die Verteilung der Menschen einführen. „Sie muss das Modell durchbrechen, dass in einem Wettlauf jener der Sieger ist, der Deutschland erreicht. Man kann sich das Aufnahmeland nicht aussuchen“, sagte Faymann der „Kronen Zeitung“ (Sonntag).
Reaktionen zu möglichen Grenzschließungen
Anton Börner, Präsident des Außenhandelsverband BGA, warnt im "Tagesspiegel" vor Grenzschließungen. Rund 70 Prozent des deutschen Außenhandels würden innerhalb Europas abgewickelt. "Vor diesem Hintergrund werden sich die Kosten alleine für die internationalen Straßentransporte um circa drei Milliarden Euro verteuern."
"Durch Staus und Wartezeiten, zusätzliche Bürokratie oder zum Beispiel die Umstellung von Just-in-time-Lieferung auf deutlich teurere Lagerhaltung können sich die Kosten für die deutsche Wirtschaft schnell auf zehn Milliarden Euro pro Jahr summieren", mahnt DIHK-Geschäftsführer Martin Wansleben.
Der Vize-Präsident des Europaparlaments, Alexander Graf Lambsdorff (FDP), sagte der "Rheinischen Post": „Die Schließung der deutschen Grenzen wäre ein Debakel für die Flüchtlinge, für die Wirtschaft, aber auch für Millionen Pendler und Urlauber.“
"Verstärkte Kontrollen ist was anderes, aber eine komplette Schließung ist absolut illusorisch. Und man sollte den Leuten da keine Scheinlösungen anbieten“, sagte SPD-Generalsekretärin Katarina Barley im Deutschlandfunk.
"Wenn die Grenzen geschlossen würden, ist Schengen gefährdet. Das hat ebenfalls große Auswirkungen auf Deutschland, auf Arbeitsplätze in Deutschland", sagte der nordrhein-westfälische CDU-Landesvorsitzende Armin Laschet.
Alle Flüchtlinge würden Schutz in Europa finden, aber das Aufnahmeland dürften sie sich nicht selbst aussuchen. „Die Franzosen würden 30 000 Asyl-Suchende nehmen, haben aber nicht einmal 1 000 bekommen, weil alle nach Deutschland und Österreich wollen“, so Faymann zu „Österreich“.