Mit voller Kraft ins Nirgendwo Solche Sozialdemokraten braucht niemand mehr

Die Fortschrittsidee der Sozialdemokratie hat sich erledigt. Denn ihre alte Klientel fürchtet nichts so sehr wie die Veränderung. Wenn der Fortschritt noch eine Zukunft hat, dann ist er grün.

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Vorwärts? Bewegen die Sozialdemokraten in Europa sich in die richtige Richtung? Quelle: Getty Images

Aus schlechten Filmen und billigen Romanen kennt man diese Szene: Ein Mann steigt hastig in ein Taxi. Der Fahrer fragt: Wohin soll es gehen? Egal, sagt der Gast, aber geben Sie endlich Gas!

An dieses Motiv einfallsloser Autoren erinnert der Jungstar der französischen Regierung, Wirtschaftsminister Emmanuel Macron, mit seiner vor einigen Tagen gegründeten Organisation „En Marche!“ – „In Bewegung!“. Er wolle neue Dynamik in eine blockierte Gesellschaft bringen, „vorankommen“. Nach seiner Ansprache auf der Gründungsveranstaltung in Amiens lief ein Werbespot, in dem eine vitale Frauenstimme verkündet, was die Franzosen angeblich wollen: „Es müsste sich mehr bewegen, wir müssten neue Ideen ausprobieren, weiter voranschreiten, etwas wagen, Schluss machen mit der Unbeweglichkeit.“

Für Macron selbst ist das Ziel klar: Er will nach oben, irgendwann vielleicht sogar Staatspräsident werden. Für alle anderen bleibt das Ziel der Bewegung unbekannt. Macron ist Minister einer sozialistischen Regierung, aber ihm seien auch Anhänger der gaullistischen Oppositionspartei „Les Republicains“ willkommen, sagt er. Die große Koalition in Deutschland scheint ansteckend zu sein.

Die SPD pfeift auf ihre Basis

Macron nennt seine Bewegung kokettierend eine „radikale, etwas verrückte Idee“. Tatsächlich ist sie vor allem eines: leer. Sein Aktionismus demonstriert das intellektuelle Vakuum, das nicht nur in Frankreich, sondern in wohl allen europäischen Wohlstandsgesellschaften die etablierten Parteien prägt.

Hinter den dynamischen Phrasen ist nichts wirklich Politisches zu entdecken, kein Projekt ist in Sicht, keine Idee, die Begeisterung, Idealismus, Engagement hervorbringen könnte. Macron ist jung, aber mit seiner Bewegung sieht er bei genauerem Hinsehen uralt aus. Sie stammt aus der vergangenen Epoche der ökonomischen Expansion.

In Deutschland sieht es nicht viel anders aus. Auch hierzulande versuchen die etablierten Parteien, vorneweg die SPD, mit demonstrativem Dynamismus zu retten, was an Wählerzuspruch verloren geht. Im "Handelsblatt" fordert etwa Henrik Enderlein, einer der letzten Sozialdemokraten mit Vordenker-Anspruch, die SPD solle wieder eine „Partei des Fortschritts“ werden.

Sein Ruf nach „Modernität“ erschöpft sich jedoch in Reform-Evergreens, die selbst Politikjunkies gähnen lassen: „Der Arbeitsmarkt muss offener werden“ und „die Verwaltung braucht eine schlankere und digitale Neuausrichtung“. Schließlich mündet sein Ruf nach einer „fortschrittlichen Reformpartei“ in eine Nestbeschmutzung: Die SPD solle gefälligst „hinausdenken“ über die „Interessen der Basis“.



Die SPD-Basis, auf die Enderlein pfeift, war einmal der „kleine Mann“. Für ihn haben schon die ersten Sozialdemokraten unter Ferdinand Lasalle und August Bebel gekämpft. Ihre Parteizeitung hieß (und heißt noch immer) „Vorwärts“ und der Fortschritt, dem die Partei huldigte, hatte damals im Gegensatz zu heute ein konkretes und drängendes Ziel: wachsender Wohlstand für die kleinen Leute. Dieser Fortschritt war das friedliche Ersatzangebot für die Weltrevolution.

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