Mitgliederentscheid FDP-Basis versagt die Stimme

Die Liberalen lassen ihre Mitglieder über die Euro-Rettung entscheiden. Doch das Parteivolk ist gar nicht so scharf darauf.

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FDP-Generalsekretär Christian Lindner Quelle: dpa

Der Gastgeber hat extra ein Schild aufgestellt, damit die Besucher den Abzweig am Ende des Dorfes überhaupt finden. Im Flecken Schernebeck in der sachsen-anhaltischen Altmark macht heute die Euro-Krise, macht die große Politik Station.

Ludolf von Engelbrechten-Ilow und seine Frau haben in der Stube Gartenstühle zu den Sesseln arrangiert, rote Weihnachtssterne und gelbe Fähnchen schmücken die Tische. Der FDP-Kreisverband Stendal hat zur Weihnachtsfeier geladen und die von Engelbrechtens stellen ihr Forsthaus zur Verfügung. Immerhin hat sich hoher Besuch angesagt, um über den Mitgliederentscheid zur Euro-Rettung zu diskutieren: Generalsekretär Christian Lindner. Willkommen an der Basis.

35 Parteifreunde wollen den Disput zwischen Lindner und seinem Bundestagskollegen Jens Ackermann hören, dem örtlichen liberalen Abgeordneten. Er hat den „Antrag A“ des Euro-Rebellen Frank Schäffler angekreuzt. Lindner verteidigt den Gegenentwurf des Bundesvorstandes. Und das ist nötig: Gegen den bisherigen Trend lieferte der Postbote Ende vergangener Woche plötzlich wieder mehr Stimmzettel in die Parteizentrale. Gewinnen die Zweifler die Mehrheit, steht die FDP vor einer Zerreißprobe. Noch größer aber würde der Druck auf Bundestagsabgeordnete, gegen weitere Rettungsversuche zu stimmen und damit die Koalition zu verlassen.

Kein Kapitalmarkt-Experte

„A“ darf anfangen, aber für Angriff steht das nicht. Zwar will die Schäfflergruppe den bisherigen Kurs der FDP ändern, immer teureren Rettungsversuchen zuzustimmen. Aber der ruhige Mann aus der Börde ist keiner für die Abteilung Attacke.

Die Stabilitätskriterien des Maastricht-Vertrages seien vielfach gebrochen, die Rettungsschirme immer größer geworden. „Ich war sehr lange auf der Linie der Fraktion“, sagt Ackermann. „Ich war auch finanziell solidarisch und habe für das erste und zweite Griechenlandpaket gestimmt.“ Doch dann kam der Rettungsschirm EFSF mit seinen 211 Milliarden Euro Verpflichtungen für Deutschland. „Die Summe wollte ich nicht mehr verantworten, das ist eine Nummer zu groß.“ Als er berichtet, der sachsen-anhaltische Finanzminister rechne allein für die Rückzahlung der heutigen Schulden des Landes mit 400 Jahren, geht ein Raunen durch die kleine Gesellschaft.

Ackermann fühlt sich unwohl, er ist kein Experte für Europa und Kapitalmarkt. Der diplomierte Medizinpädagoge sitzt im Gesundheits- und im Tourismusausschuss. „Ich möchte mich darum kümmern, dass genug Landärzte in die Altmark kommen“, seufzt er den Zuhörern entgegen. Tapfer und ehrlich ergänzt er: „Von finanzpolitischen Dingen verstehe ich nicht ganz so viel. Ich weiß nur: Der bisherige Weg ist nicht der richtige.“ Und bekennt realistisch: „Es soll sich niemand einbilden, dass 21 000 Stimmen die Richtlinien vorgeben für 80 Millionen Menschen.“ Wenn 21 499 Liberale mitmachen, ist das Ergebnis verbindlich wie ein Parteitagsbeschluss.

Plan der Rebellen

Das Duell zwischen Philipp Rösler und Frank Schäffler besuchten gerade mal 150 Zuhörer. Quelle: dpa

Die ratlose Offenheit Ackermanns macht es dem Generalsekretär leicht. „Wir sprengen das alles, wir legen Dynamitstangen rein“, beschreibt Lindner den Plan der Rebellen. Dann kollabierten die Finanzmärkte. Die Staaten Europas müssten aber im nächsten Jahr 1500 Milliarden Euro umschulden.

„Oh Gott“, tönt es entsetzt aus den Reihen. „Wo soll das Geld denn herkommen“, wenn die Investoren nach einem Griechen-Kollaps streiken? „Wer würde noch eine italienische Anleihe kaufen? Hand hoch! Ich nicht!“ Eloquent zaubert Lindner unter dem Geweih eines Zehnenders „kaskadierende Staatsbankrottfälle“ in die Forsthausstube, aber auch Fragezeichen in die Gesichter der Zuhörer. Nur mit den Brandmauern der aktuellen Regierungspolitik ließe sich die „realwirtschaftliche Anpassung vornehmen“.

Der Erfolg der Aufklärung ist dennoch begrenzt. „Sehr schwierig“ findet einer der Zuhörer die Materie. Der Herr schräg gegenüber mutmaßt, dass „beide Rezepte nicht greifen“. Ein Herr Krömer ruft von hinten scherzhaft, er sei „bald wieder für die Monarchie, die ist billiger“. Aber immerhin kann Lindner mit seiner flotten Art punkten. „Die anderen wollen ja diesen Fonds“, sagt eine ältere Dame in völliger Verkennung der wahren Positionen. „Da hat mir der Lindner schon besser gefallen.“ Dann wenden sich die Liberalen der Zahlungsmoral öffentlicher Auftraggeber zu, den ausufernden Subventionen, schließlich dem Wildschwein mit Pflaumen.

Zu kompliziert

So ein kompliziertes Thema – ganz abgesehen von der finanziellen und europapolitischen Tragweite – eignet sich vielleicht doch nicht für die direkte Demokratie. In den vergangenen zwei Wochen hat der Zulauf zu den FDP-Veranstaltungen deutlich nachgelassen. „Viele Leute sagen: Das ist so kompliziert, wir verstehen es nicht, wir stimmen nicht ab“, berichtet Gabriele Heise, die Generalsekretärin im Landesverband Baden-Württemberg.

Selbst in Stuttgart, seit der Bahnhofsabstimmung heimliche Hauptstadt des Plebiszits, läuft es ähnlich. Vielleicht ermattet vom Schienenstreit, sind Dienstag vergangener Woche gerade mal 150 Zuhörer ins Le-Meridien-Hotel gekommen, obwohl hier das ultimative Duell steigt. Der Parteivorsitzende Philipp Rösler gegen Frank Schäffler, den Initiator des Mitgliederentscheids. Viele Termine kann Rösler wegen seiner Ministerbelastung nicht ableisten, aber gar kein Disput mit Schäffler – das wollte und konnte er nicht machen. Seine persönlich-politische Zukunft ist mit dem Ausgang des FDP-Referendums verknüpft.

Doch erstaunlich „emotionslos“, so werten es später die Kontrahenten intern, läuft die Debatte. Die Fragen sind sachlich und fast alle freundlich vorgetragen; dass Sparer angesichts niedriger Zinsen heute schon durch die Inflation enteignet werden, empört nicht einmal den Fragesteller.

Schäffler geißelt ohne Eifern den „kollektiven Rechtsbruch“, mit dem die Euro-Länder Maastricht-Kriterien und No-Bail-out-Klausel ruiniert hätten. Dass Standard & Poor’s just am Morgen Deutschlands Rating infrage gestellt hat, schlachtet er nicht aus. Dafür greift er tief in die Geschichte und zitiert Lenin: „Um die bürgerliche Gesellschaft zu zerstören, muss man ihr Geldwesen verwüsten.“ Das, warnt Schäffler, „sollten wir Liberale nicht mitmachen. Wir müssen jetzt klare Kante zeigen.“

Geringe Beteiligung

Die Zahl der eingehenden Stimmzettel zur Frage der Euro-Rettung war gering. Quelle: dpa

Rösler wirbt ruhig, es sei „klug, Absicherungsmaßnahmen zu installieren“, Sanktionen einzubauen, Schulden zu stoppen. „Und jetzt kommt der Hammer: All das, was jetzt diskutiert wird, ist das, was wir gefordert haben.“ Rösler zitiert den „Marktgrafen“ Lambsdorff und hat ebenfalls ein Horrorszenario parat – falls Schäffler gewinnt: „Wir fliegen aus der Regierung raus, die finden sich ganz schnell zu einer großen Koalition zusammen – und dann kommen Euro-Bonds und Interventionen der EZB.“ Die Geschichte – im doppelten Sinne – „geht dann an den Liberalen vorbei“.

Angst machen muss sein, schließlich hatten Rösler und seine Führungskollegen anfangs selbst Angst. So viel sogar, dass sie dankbar die Schützenhilfe der altvorderen Außenminister Hans-Dietrich Genscher und Klaus Kinkel annahmen. Schließlich hatten die Euro-Rebellen seit dem Parteitag im Frühjahr (rund 20 Prozent Zustimmung) auf rund ein Drittel Mitte November zugelegt.

Die Sorge bei Rösler und Co.: Bekäme der Antrag A bei reger Beteiligung die Mehrheit, würden die Medien zum Thema machen, dass der Chef gar nicht die Meinung der Basis vertritt. Und war nicht die damalige (und heutige) Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Januar 1996 von ihrem Amt zurückgetreten, nachdem sie beim ersten Mitgliederentscheid in der Parteigeschichte mit ihrer Position zum sogenannten großen Lauschangriff unterlegen war? Als Schutz für die Koalition gab der Fraktionschef Rainer Brüderle prompt die Parole aus, es gäbe kein imperatives Mandat, also keinen Abstimmungsauftrag durch die Basis.

Spannung steigt an

Aber noch reicht die Beteiligung nicht aus. 14 800 Mitglieder hatten bis Dienstag vergangener Woche ihren Stimmzettel eingesandt, seitdem veröffentlicht das Thomas-Dehler-Haus keine Zahlen mehr. Kamen anfangs täglich rund 1000 Wahlbriefe, sank die Zahl kontinuierlich ab. In der vergangenen Woche liefen im Schnitt nur noch etwa 300 Kuverts ein. Mit einem Schlussspurt rechneten die Strategen in der Parteizentrale nicht mehr, schließlich hätten insbesondere die Rettungsgegner sicher schon in den ersten Tagen ihrer Empörung im Rückumschlag freien Lauf gelassen.

Inzwischen hatten die meisten Vorständler ihr Werben um eine hohe Beteiligung sogar eingestellt. Ein bloßes Stimmungsbild ist für die Führung ohne großes Risiko, egal, wie die Mehrheit ausfällt. Doch dann kam Ende vergangener Woche plötzlich die Wende per Post: rund 700 Stimmzettel pro Tag. Donnerstagabend waren es 16 200. Hält der Trend bis zum Ende (Poststempel 13. Dezember), könnte es doch noch spannend werden, mit vielleicht gravierenden politischen Folgen.

Vor dem Kaminfeuer des Forsthauses in Schernebeck mahnt Hausherr von Engelbrechten: „Wenn Schäffler durchkommt, fürchte ich, dass die Regierung zusammenbricht. Das ist viel schlimmer als das andere, was wir ohnehin nicht verhindern können.“ Und Ackermann, der an den Rebellen-Sieg glaubt, aber das Quorum für unrealistisch hält, hofft, dass der Mitgliederentscheid „keine Konsequenzen für meine Parteiführung hat“. Im Frühjahr habe die FDP schließlich erst ihre neue Führung gewählt. „Wir haben unser Kontingent an Auswechselspielern ausgeschöpft.“

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