Moskau trotzt Problemen Russischer Impfstoff Sputnik wird zum Exportschlager

Eine Lieferung des russischen Corona-Impfstoffs Sputnik V kommt am Ezeiza International Airport in Buenos Aires an. Quelle: REUTERS

Der Corona-Impfstoff Sputnik V soll nach dem Willen Russlands die Welt erobern. Er findet nach anfänglicher Kritik reißenden Absatz. Zwar hat sich Kremlchef Putin noch nicht spritzen lassen. Doch trotz aller Aufregung um seine Politik sieht er sich schon als Sieger. Auch Deutsche bekommen Sputnik in Moskau für rund 50 Euro und müssen nur den Reisepass vorlegen.

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Das mittlerweile auch in Deutschland von vielen Impffreunden herbeigesehnte russische Präparat Sputnik V wird in Moskau sogar schon beim Shoppen oder in der Oper verabreicht. Wer nicht anstehen will für den Impfstoff mit einer Wirksamkeit von mehr als 91 Prozent gegen das Coronavirus, kann sich auch in einer Poliklinik einen Termin geben lassen. Wartezeit? Nur wenige Tage. Altersbeschränkungen? Keine. Auch Deutsche bekommen Sputnik V in Moskau und müssen etwa in der GMS-Klinik nur den Reisepass vorlegen.

Eine Ärztin untersucht Nase und Rachen, hört die Lunge intensiv ab. Sie informiert über mögliche Nebenwirkungen wie Kopfweh und leicht erhöhte Körpertemperatur - und gibt dann das OK für die Spritze, die das Pflegepersonal aufzieht und setzt. Die Kosten für den ärztlichen Check samt Impfung liegen bei gut 50 Euro. In 21 Tagen muss noch eine zweite Komponente verabreicht werden. Nach 42 Tagen insgesamt soll sich die Immunität dann voll ausgebildet haben. Russische Bürger bekommen die Impfungen gratis.

Zwar sind in Moskau nach städtischen Angaben erst etwa 400.000 Bürger geimpft - von rund 13 Millionen. Doch der Andrang in der größten Stadt Europas werde immer stärker, bestätigen die GMS-Klinikmitarbeiter - wohl auch, weil in der medizinischen Fachzeitschrift „The Lancet“ nun erstmals russischen Daten von unabhängigen Experten bewertet wurden. Das positive Urteil ist für Russland, das wegen der frühen Freigabe im August international kritisch beäugt wurde, ein Triumph.

Präsident Wladimir Putin gab damals den Startschuss für Sputnik V. Staatsmedien feierten das Ereignis wie das Vordringen ins Weltall, als Moskau 1957 mit dem Sputnik – dem ersten künstlichen Erdtrabanten im Kosmos – die Welt in Schockstarre versetzte. Wie damals, als die Sowjetunion einen Sieg im Kampf mit den USA und im Wettbewerb der Systeme Kommunismus und Kapitalismus zelebrierte, wollte Russland wieder eine Vorreiterrolle in der Wissenschaft einnehmen.

Die Kritik aus dem Westen folgte prompt, die Datenbasis sei schwach, das Präparat nicht ausgetestet. Russland wiederum warnte davor, den „Impfstoff für die ganze Menschheit“ schlechtzureden. Putin lässt derweil keine Gelegenheit aus, um etwa bei seinen Online-Auftritten auf internationalen Konferenzen für „den besten Impfstoff“ der Welt zu werben. Dieser sei mit umgerechnet rund 8 Euro je Dose günstiger als viele westliche Vakzine und viel leichter zu lagern - bei zwei bis acht Grad Celsius, heißt es etwa zu den Vorzügen.

Russlands Staatsmedien widmen Sputnik V viel Sendezeit - über immer neue Länder, die das Präparat zulassen und kaufen wollen; über Prominente, die sich impfen lassen wie der mit Putin befreundete US-Regisseur Oliver Stone. Sputnik V ist offiziellen Angaben zufolge mittlerweile in mehr als 15 Ländern registriert. Ungarn hatte als erstes EU-Land zwei Millionen Dosen des Präparats bestellt.



Doch Putin selbst hat ihn sich immer noch nicht spritzen lassen – weshalb auch viele Russen weiter zögern und erst mehr Vertrauen gewinnen möchten. Erst sagte der 68-Jährige, das vom renommierten Gamaleja-Forschungszentrum für Epidemiologie und Mikrobiologie entwickelte Vakzin sei für seine Altersgruppe nicht zugelassen. Dann kam die Zulassung. Und Chefentwickler Alexander Ginzburg hoffte, dass der Präsident nun zum Impfen komme. Im Kreml aber heißt es dazu nur, Putin entscheide selbst, wann er sich immunisieren lasse.

Unbeantwortet bleiben aber auch andere Fragen. Etwa dazu, wie viele Menschen inzwischen geimpft sind oder wie es etwa um die Produktionskapazitäten steht. Russlands staatlicher Direktinvestmentfonds RDIF, der an der Finanzierung der Entwicklung beteiligt ist, hatte angekündigt, dass mehr als eine Milliarde Dosen – für eine halbe Milliarde Menschen – in diesem Jahr produziert werden könnten. Unabhängig überprüfen lässt sich das nicht. Viele Daten werden weiter wie ein Staatsgeheimnis gehütet.

RDIF-Chef Kirill Dmitrijew sagte allerdings mehrfach, dass Russland offen sei für Kooperationen mit westlichen Partnern. Mit Blick auf die Lieferengpässe in der EU hieß es in Moskau, im zweiten Quartal könnten 100 Millionen Dosen bereitgestellt werden für 50 Millionen Menschen. Voraussetzung ist jedoch, dass die Europäische Arzneimittelagentur EMA den Wirkstoff zulässt. Ein entsprechender Antrag sei im Januar eingereicht worden, erklärte der Fonds.

Die EMA teilte auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa) jedoch mit, dass noch kein Zulassungsantrag eingegangen sei. Der Entwickler habe lediglich eine Anfrage wegen wissenschaftlicher Beratung gestellt. Auch der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission (Stiko), Thomas Mertens, sagte der dpa, dass die im Fachblatt „The Lancet“ aufgeführten Daten gut aussähen. „Es muss aber noch ein Zulassungsverfahren unter Vorlage der Originaldaten durchlaufen werden. Das kann aber natürlich relativ rasch geschehen.“ Der Stiko-Chef sprach von einem „Zeitraum von Wochen“.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel und Gesundheitsminister Jens Spahn (beide CDU) halten eine Zusammenarbeit mit Russland für möglich. Auch Putin, der mit Merkel schon mehrfach telefonisch über den Kampf gegen das Coronavirus gesprochen hat, ist an positiven Signalen aus seinem Land interessiert. Denn das Verhältnis zum Westen ist wegen der vielen politischen Konflikte – etwa um die Vergiftung des nun in Moskau auch noch inhaftieren Kremlkritikers Alexej Nawalny – schwer belastet.

Minister Spahn kann sich eine Produktion von Sputnik V in Deutschland vorstellen, wie er sagte. In Moskau feierten Medien zuletzt Sputnik V schon als den größten Exportschlager Russlands seit Jahren, der höhere Milliardenbeträge einbringen könne als der russische Waffenhandel.

Mehr zum Thema: Die EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen gibt zu, bei der Impfstoff-Beschaffung hätte man besser kommunizieren müssen.

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