Nach der Wahl Italien, die größte Baustelle Europas

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Die drei wirtschaftspolitischen Herausforderungen

Wie das gehen soll? Das weiß in Italien niemand. Zu offen sind die Widersprüche. Bis auf den PD, der immerhin noch zweitstärkste Einzelpartei wurde, meldeten alle großen Parteien im Laufe des Montags Regierungsansprüche an. Am wahrscheinlichsten ist nun, dass das große Überbieten in Versprechungen, für was man Geld ausgeben könnte, einsetzt, um möglichst viele Partner zu gewinnen. Wegen der heterogenen Interessenslage im Land dürfte das schwierig werden. Dabei steht das Land vor drei ökonomischen Großbaustellen, die dringend bearbeitet werden müsste: 

Da ist etwa die Staatsschuld, die 132 Prozent des Bruttoninlandsproduktes beträgt. Es gibt einen von Finanzminister Pier Carlo Padoan verabschiedeten Plan zu deren Rückbau. Nur ist dieser Plan mit den Wahlen obsolet. Und er lebte davon, dass die Zinsen niedrig und die Risikoaufschläge für Staatsanleihen ebenso moderat bleiben. Womit Italiens politische Hängepartie auch zum Problem für die Euro-Zone wird.  Die Versprechen der „Fünf-Sterne“-Protestbewegung etwa mit konstantem Haushaltsdefizit und Verringerung der Staatsschulden setzen ein jährliches nominelles Wachstum von sieben Prozent voraus. Zudem muss Italien dieses Jahr ohnehin 55 Milliarden Euro neu finanzieren, rund drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die EU-Regeln zur Verschuldung? Sparmaßnahmen? „Scheißegal“, sagte Lega-Chef Matteo Salvini, der sich als neuer Regierungschef in Rom sieht, im Verlauf des Montags. 

Fast noch schwerer wiegt das zweite Großproblem: Zwar siedelt im Norden des Landes eine mittelständisch geprägte Unternehmenslandschaft, mit der in Europa allenfalls Schwaben mithalten kann, nur übertüncht selbst sie die Schwäche nicht. Südlich davon darben die Firmen. Im Jahr 2016 etwa ging die Produktivität um 0,4 Prozent zurück. Seit 1995 stieg sie nur um 0,3 Prozent.

Szenarien nach unklarem Wahlausgang

Das liegt an maroden Industrien, von denen sich keine Regierung verabschiedete. Das Stahlwerk Ilva im apulischen Tarent etwa will die Regierung erhalten, weil im abgekoppelten Süden sonst 10 000 Arbeitsplätze gefährdet wären. Die Fluglinie Alitalia wiederum wurde bereits staatlich aufgefangen. Beide Fälle müsste eine Regierung entscheiden. Nur: Solange keine neue im Amt ist, wird sich nichts tun. Zwei Zombiefirmen leben weiter.

Damit aber dürfte auch das dritte Problem ungelöst bleiben: In Italien wächst eine Generation der Hoffnungslosen heran, weil der Wirtschaft vor allem im Süden des Landes jede Dynamik fehlt. Im Kalabrien, Kampanien oder Sizilien sind mehr als 30 Prozent der unter 30-Jährigen arbeitslos. Keine Partei – weder Mitterechts noch Mittelinks – hat das bisher in den Griff gekriegt. Folge: Allein in 2017 wanderten mehr als 300.000 Italiener ins Ausland ab. 

Es entsteht eine starre Gesellschaft. Der Ökonom Gianluca Violante hat anhand von Statistiken über die Einkommensteuer der Italiener erforscht, wie sich der soziale Status innerhalb von zwei Generationen unterscheidet. „Warum ist das interessant?“, fragt Violante. „Weil sozialer Aufstieg Ausweis einer Gesellschaft im Fluss ist.“ Violantes Ergebnis: In Italien ist nichts im Fluss, es gibt so gut wie keine Aufstiegsgeschichten. Italiens Eltern sind so wohlhabend, wie ihre Kinder nicht werden. Kaum ein junger Italiener schafft es, sich im Vergleich zu den Eltern zu verbessern. Jüngere Italiener lernen so von Beginn an, sich vor allem auf die eigene Familie zu verlassen – sie haben schlicht keine andere Möglichkeit. So entsteht aus den ersten beiden wirtschaftlichen Problemen wiederum die Basis für Protestparteien. Ein Teufelskreis. 

Wie geht es weiter?

Zwar versuchen vor allem wirtschaftsnahe Italiener das Chaos klein zu reden. Ganz wohl ist ihnen aber nicht. Giovanni Zanni, Ökonom der Credit Suisse, sagt: „Wir erwarten allenfalls kurzfristig negative Reaktionen der Märkte. Auf mittlere Sicht gehen wir davon aus, dass Paolo Gentiloni als eine Art Babysitter-Ministerpräsident im Amt bleibt und für Stabilität sorgt.“ Und weiter: „Fakt ist: Die moderaten Parteien der Mitte haben zunächst keine Mehrheit, die radikalen Protestparteien doch.“

Wirtschaftsanwalt Fioruzzi fürchtet auch: „Investoren werden zunächst mal schauen und es kann schon sein, dass sie eine Zeit lang Investitionen zurückhalten und einige IPOs verzögert werden.“ Auch die bereits angelaufenen Privatisierungsprozesse für die staatliche Post und die Zuggesellschaft dürften zunächst stocken. 

Wie es nun weitergeht? Die beiden Kammern des Parlaments kommen erstmals am 23. März zu einer Sitzung zusammen. An diesem Tag sollen die Präsidenten des Senats und des Abgeordnetenhauses gewählt werden. Erst danach beginnen eventuelle Koalitionsverhandlungen. Hier kommt Staatspräsident Sergio Mattarella eine tragende Rolle zu, der alle parlamentarischen Gruppen zu Gesprächen einlädt - das könnte Ende März oder Anfang April passieren. Er muss dann abwägen, wer die besten Chancen hat, eine Regierung zu bilden. Er wählt dann eine Person, die diese Aufgabe übernehmen soll. In Italien muss ein Regierungschef nicht notwendigerweise Parlamentsmitglied sein. Falls sich keine Lösung findet, kann Mattarella das Parlament auflösen und Neuwahlen ansetzen. 

Fioruzzi fasst seinen Tag so zusammen: „Wir sind enttäuscht, aber optimistisch. Am Ende ist Italien sehr konservativ. Auch wenn es diese zwei populistischen Parteien gibt, wird sich zunächst einmal nicht so wenig ändern.“

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