Aufstand Theresa May übersteht Misstrauensvotum

Theresa May Quelle: imago images

Theresa May gewinnt das Misstrauensvotum in ihrer Fraktion und bleibt Parteichefin der Tories. Damit behält sie auch ihr Amt als Premierministerin, kündigt aber ihren Rückzug an.

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Die britische Premierministerin übersteht einen Aufstand in ihrer Fraktion. Was das wert ist, wird sich erst noch zeigen. Eine Mehrheit für ihr Brexit-Abkommen im Parlament ist ungewiss.

Die britische Premierministerin Theresa May hat die Misstrauensabstimmung um ihr Amt als konservative Parteichefin gewonnen. Das teilte der Vorsitzende des zuständigen Parteikomitees, Graham Brady, am Mittwochabend mit. May erhielt die Stimmen von 200 der 317 konservativen Abgeordneten im Unterhaus. Das teilte der Vorsitzende des zuständigen Parteikomitees, Graham Brady, am Mittwochabend nach Auszählung der Stimmen um 22 Uhr mit. Sie kann damit als Parteichefin und Premierministerin weitermachen. Ob sie für ihren Brexit-Deal eine Mehrheit im Parlament finden kann, ist mehr als fraglich.

Klares Votum, dennoch geschwächt

May rief nach der Ergebnisverkündung zur Geschlossenheit auf. Politiker aller Seiten müssten nun zusammenkommen, sagt sie vor ihrem Amtssitz. Jetzt komme es darauf an, den Brexit zu liefern. Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz begrüßte den Ausgang des Votums vor dem EU-Gipfel am Donnerstag. Österreich hält gegenwärtig die EU-Ratspräsidentschaft inne. Bei dem Gipfel soll es insbesondere um den Brexit gehen. Auch May wird erwartet.

Die nordirische Partei DUP, Koalitionspartner der Tories in der britischen Regierung, kündigte an, ein Misstrauensvotum gegen May im Unterhaus nicht mitzutragen. Sollte das Brexit-Abkommen in seiner jetzigen Form durchkommen, könne sich dies aber ändern, sagte Parteivize Nigel Dodd.

Bis 21 Uhr hatten die Abgeordneten der Tory-Fraktion ihr Votum über ihre Parteichefin abgegeben. 48 Tory-Abgeordnete hatten mit ihrer Forderung nach einem Rücktritt Mays die innerparteiliche Misstrauensabstimmung durchgesetzt. May benötigte mindestens 159 Unterstützer in den eigenen Reihen, um an der Spitze der Konservativen Partei zu bleiben. Bei einem klaren Misstrauensvotum der Tories wäre sie auch im Amt der Premierministerin nicht mehr zu halten gewesen. Als sich am Abend nach Umfragen unter den Abgeordneten eine deutliche Mehrheit für den Verbleib Mays abzeichnete, verzeichnete das britische Pfund am Devisenmarkt den höchsten Anstieg seit einem Monat.

Kurz vor dem Beginn des Wahlgangs hatte sich die Regierungschefin mit einer Ansprache an ihre Parteifreunde gewandt. „Kraftvoller und bewegender Moment“, schrieb ein konservativer Abgeordneter auf Twitter über den Auftritt Mays hinter verschlossenen Türen. Mehrere Minister berichteten, May habe in Aussicht gestellt, bei der nächsten regulären Parlamentswahl 2022 nicht mehr anzutreten. Zuvor hatte sie nochmals deutlich gemacht, was bei der Misstrauensabstimmung auf den Spiel steht. Es gelte, die Hoheit über den Brexit nicht der Opposition zu überlassen.

Nie aufgeben ist Mays Stärke

Theresa Mays großer Lebenstraum war es von klein auf, Premierministerin zu werden. Das war der Pfarrerstochter aus der Provinz nicht unbedingt in die Wiege gelegt. Ehrgeizig, aber niemals charismatisch arbeitete sich die inzwischen 62 Jahre alte Politikerin Stück für Stück hoch. Im Juli 2016 nach dem knappen Brexit-Votum der Briten hatte sie ihr Ziel erreicht: Sie beerbte den zurückgetretenen David Cameron.

Oft wurde May mit der „Eisernen Lady“ Margaret Thatcher oder mit Bundeskanzlerin Angela Merkel verglichen. Doch keiner dieser Vergleiche trifft zu. May ist weder eine mitreißende Anführerin, die auf den Tisch haut, noch ist sie geschickt darin, Kompromisse zu schmieden. Ihre Stärke liegt eher darin, nie aufzugeben. Sie selbst bezeichnete sich einmal als „bloody difficult woman“, als eine verdammt schwierige Frau.

Unter ihrem Vorgänger Cameron hatte sie sich als Innenministerin einen Namen gemacht, die eine harte Linie gegen illegale Einwanderer fährt. Ihre Politik wurde als „hostile environment“ - „feindliche Umgebung“ bekannt, bei der Arbeitgeber, Vermieter und Ärzte illegal ins Land gekommenen Menschen das Leben schwer machen sollten. Sechs Jahre hielt sie es auf dem Posten aus, der oft als Schleudersitz bezeichnet wird.

Kompromisskandidatin ohne Kompromisse

Beim Brexit-Referendum im Jahr 2016 hatte sie sich für den Verbleib in der EU ausgesprochen, aber so zaghaft, dass es kaum jemand merkte. Das machte sie zur idealen Kompromisskandidatin. May schlug von Anfang an einen harten Brexit-Kurs ein. „Brexit bedeutet Brexit“ wurde zu ihrem Mantra. Was sie damit meinte, machte sie in ihrer ersten großen Rede nach dem Referendum zum EU-Austritt Anfang 2017 deutlich: Austritt aus dem EU-Binnenmarkt, Austritt aus der Zollunion und keine Rolle mehr für den Europäischen Gerichtshof in Großbritannien.

Viele EU-Politiker und EU-freundliche Briten hatten gehofft, May könne zur Versöhnerin werden, einen Mittelweg finden, der Brexit-Befürworter und europafreundliche Briten wieder zusammenbringt. Dass sie für ihre Brexit-Pläne im Parlament keine Mehrheit sah, wollte May schließlich mit einer Neuwahl ins Lot bringen. Sie rechnete sich einen Erdrutschsieg gegen den Labour-Chef, den Altlinken Jeremy Corbyn aus, der ständig mit Revolten in seiner eigenen Fraktion zu kämpfen hatte. Doch es kam anders. Der Wahlkampf wurde zum Desaster.

Statt einen haushohen Sieg einzufahren, verloren Mays Konservative ihre absolute Mehrheit. Eiligst zimmerte sie eine Minderheitsregierung mit Hilfe der nordirisch-protestantischen DUP (Democratic Unionist Party) zusammen. Das erwies sich am Ende als verhängnisvoll, weil die DUP-Abgeordneten jeglichen Kompromiss in der schwierigen Irland-Frage ablehnten.

Nach einer katastrophalen Parteitagsrede im Herbst 2017 wurde sie bereits abgeschrieben. Doch May rappelte sich wieder auf. Ende des Jahres erreichte sie ein Etappenziel mit der ersten Phase der Brexit-Gespräche.

Niemand ist zufrieden

Nachdem es danach monatelang bei den Brexit-Verhandlungen nur schleppend voranging, wagte sich May im Juli 2018 aus der Deckung. Sie überraschte ihr Kabinett in einer Klausursitzung auf dem Landsitz Chequers mit einem Plan für die künftigen Beziehungen zu Europa, der alles möglich machen sollte: klarer Austritt aus den EU-Institutionen, aber keine wesentliche Nachteile für die Wirtschaft und keine Grenzkontrollen zwischen der britischen Provinz Nordirland und dem EU-Mitglied Irland.

Mit dem Vorschlag war niemand zufrieden. Weder die EU, die ihn als Rosinenpicken verurteilte noch die Brexit-Hardliner in Mays Partei, die darin eine zu enge Bindung an Brüssel sahen. Brexit-Minister David Davis und Außenminister Boris Johnson traten zurück. Mays Regierung wackelte, aber sie klammerte sich fest.

Das sind die möglichen May-Nachfolger
Ex-Außenminister Boris Johnson gilt als aussichtsreichster Kandidat. Quelle: dpa
Auch dem ehemaligen Brexit-Minister Dominic Raab werden Chancen auf den Top-Job ausgerechnet. Quelle: AP
Außenminister Jeremy Hunt hatte beim Brexit-Referendum 2016 gegen den EU-Austritt gestimmt, später aber eine Wandlung zum Brexiteer vollzogen Quelle: REUTERS
Auch der britische Gesundheitsminister Matt Hancock will Nachfolger der Premierministerin werden. Quelle: REUTERS
Umweltminister Michael Gove gilt als bestens vernetzt, nicht nur im britischen Parlament, sondern auch bei den Mächtigen in der Welt der Medien. Quelle: REUTERS
Auch Innenminister Sajid Javid wechselte nach dem Brexit-Referendum auf die Gewinner-Seite. Quelle: AP
Andrea Leadsom war nach dem Brexit-Referendum und dem Rücktritt von David Cameron 2016 neben Theresa May in die engere Auswahl als Parteichefin gekommen. Quelle: AP

Ähnlich war es, als sie im November schließlich ein Abkommen mit der EU präsentierte. Ihr neuer Brexit-Minister Dominic Raab und weitere Regierungsmitglieder warfen hin. Doch May ließ sich nicht beirren. Die Stunde der Wahrheit wäre eigentlich am vergangenen Dienstag gekommen, als Mays Brexit-Deal den Abgeordneten vorgelegt werden sollte. Doch die Regierungschefin verschob die Abstimmung kurzfristig, weil ihr Brexit-Deal mit der EU keine Aussicht auf eine Mehrheit im britischen Parlament hatte. Zuletzt kündigte sie lediglich an, den über 500 Seiten starken Austrittsvertrag mit der EU vor dem 21. Januar erneut zur Abstimmung zu stellen.

Am Donnerstag beschäftigt sich der EU-Gipfel noch einmal mit den britischen Austrittsplänen. Bundeskanzlerin Angela Merkel und die übrigen Staats- und Regierungschefs wollen dazu beitragen, dass der fertige EU-Austrittsvertrag eine Mehrheit im britischen Parlament findet und eine chaotische Trennung Ende März vermieden wird. Wie dies ohne Nachverhandlungen geschehen soll, ist offen.

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