




WirtschaftsWoche: Herr Irwin, was zeichnet einen guten Notenbanker aus?
Neil Irwin: Es ist ein fast unmöglicher Job. Um ein guter Zentralbanker zu sein, muss man zunächst natürlich ein brillanter Ökonom sein. Aber das ist bei Weitem nicht genug. Ein guter Notenbanker kann gut kommunizieren und managen – und besitzt diplomatische Fähigkeiten. Schließlich muss er auch auf politischer Ebene Diskussionen führen und Entscheidungen durchsetzen können. Fast kein Notenbanker hat all diese Fähigkeiten, wenn er neu in die Position kommt.
Welche Rolle spielen Verschwiegenheit und Vertrauen in dem Beruf?
In der Weltwirtschaftskrise von 2008 haben die Zentralbanker der wichtigsten Industriestaaten eng zusammengearbeitet. Einige ihrer Entscheidungen lassen sich nur durch persönliche Beziehungen und das Vertrauen ineinander erklären.

Ich gebe Ihnen ein konkretes Beispiel: Kurz nach dem Ausbruch der Krise entschieden die wichtigsten Notenbanken, die Swap-Geschäfte auszuweiten. Hierbei leihen sich Zentralbanken untereinander Geld. So ist die US-amerikanische Notenbank, die Federal Reserve (Fed), zum Beispiel permanent bereit, der EZB US-Dollar zu leihen. Die Europäische Zentralbank gibt dieses Geld an die Geschäftsbanken weiter. Das sicherte in der Krise vor allem den europäischen Banken die Möglichkeiten, auf Dollar-Notfallkredite zuzugreifen. Zu Spitzenzeiten im Dezember 2008 hatte die amerikanische Zentralbank, Zugang zu 580 Milliarden US-Dollar bereitgestellt und so Banken in Deutschland, Singapur oder Australien von Untergang bewahrt. Ein Grund dafür, warum die Fed bereit war, dies zu tun, war das Vertrauen in die anderen Notenbanken und ihren Chefs, das über Jahrzehnte aufgebaut wurde.
Zur Person
Neil Irwin ist Journalist und arbeitet seit über 10 Jahren für das Wirtschaftsressort der Washington Post. Er hat direkten Zugang zu allen führenden Zentralbankern und ist einer der wenigen Journalisten, die bei ihrem jährlichen Treffen in Jackson Hole dabei sind. Für seine Artikel hat Neil Irwin zahlreicher Auszeichnungen erhalten.
Wie entsteht so ein enges Vertrauensverhältnis?
Das entsteht nur durch regelmäßige persönliche Treffen. Sechs Mal im Jahr kommen die wichtigsten Zentralbanker in Basel, in der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, zusammen. Dort findet Sonntagsabends die exklusivste Dinner-Party der Welt statt. Bei Wein und gutem Essen reden die mächtigsten Notenbank-Chefs über Politik und Wirtschaft, aber auch über Hobbies und das Wetter. Das sind keine verschwörerischen Treffen, wie Kritiker monieren, sondern zentrale Treffen, um sich auszutauschen.

Wie bewerten Sie die Arbeit von Jean-Claude Trichet, EZB-Präsident von 2003 bis 2011, in der europäischen Schuldenkrise?
Trichet sah sich selbst immer als Hardliner gegen lockere Geldpolitik. Er hat seine gesamte Karriere immer gegen Inflationstendenzen angekämpft und sich so einen Namen gemacht. In der Schuldenkrise musste er dann eine 180-Grad-Drehung vollziehen. Er war lange strikt gegen einen Schuldenschnitt für Griechenland. Nach langem Zögern schwenkte er um. Ähnliches gilt in der Frage, ob die Europäische Zentralbank Staatsanleihen von Krisenländern aufkaufen sollte. Trichet war stets unglaublich gut darin, seine Prinzipien immer einen Realitätscheck zu unterziehen und reagierte auf die Gegebenheiten.