Mehr als hundert der insgesamt 577 Wahlkreise hat „La République en Marche“ für Bewerber der verbündeten Zentrumspartei MoDem sowie für mögliche Fahnenflüchtige der Republikaner bisher frei gehalten. Führt der Schachzug der Ernennung eines bürgerlichen Premiers nicht zum gewünschten Ergebnis, könnte dies im Extremfall zu einer jahrelangen Blockadepolitik führen. Adieu Flexibilisierung des Arbeitsrechts inklusive betriebsinterner Absprachen über Arbeitszeiten und einer Deckelung der Abfindungen im Kündigungsfall. Adieu Reform der großzügigen und teuren Arbeitslosenversicherung. Adieu Modernisierung der unübersichtlichen Rentenkassen.
Was Macrons Sieg für Europa bedeuten könnte
Wichtig ist der Erfolg Macrons vor allem deswegen, weil sonst Marine Le Pen Staatschefin geworden wäre. Die Rechtspopulistin hatte im Wahlkampf für eine Abkehr Frankreichs von der Europäischen Union und vom Euro geworben. Ein EU-Austritt Frankreichs würde das komplette europäische Einigungsprojekt infrage stellen - vor allem vor dem Hintergrund des bevorstehenden Brexits.
Frankreich ist nach Deutschland das bevölkerungsreichste EU-Land. Zudem wird es nach dem Brexit das einzige EU-Land mit Atomwaffen und ständigem Sitz im UN-Sicherheitsrat sein. Auch die Wirtschaftleistung ist enorm.
Macron will sich für tiefgreifende Reformen der Union einsetzen. Die Eurozone mit 19 Ländern soll einen eigenen Haushalt, ein Parlament und einen Finanzminister bekommen. Zudem spricht er sich für europäische Mindeststandards in Bereichen wie Gesundheitsvorsorge und Arbeitslosenversicherung aus.
Macron sagt: „Ich bin ein Pro-Europäer.“ Er verteidige die europäische Idee und die europäische Politik, weil er glaube, „dass sie sehr wichtig für die französische Bevölkerung und für unser Land in Zeiten der Globalisierung sind.“
Auf absehbare Zeit gering. Vieles, was Macron fordert, wird in der EU schon seit langem diskutiert. Mangels Einigkeit gab es allerdings kaum Fortschritte. In Brüssel wird darauf gehofft, dass sich das nach dem für 2019 vorgesehenen EU-Austritt Großbritanniens ändern könnte. Macron warnt davor, sich zuviel Zeit zu lassen. Wenn in der EU alles beim Alten bleibe, drohe der „Frexit“ (Austritt Frankreichs) oder ein weiteres Erstarken der Front National.
„Ich bin überzeugt, das Emmanuel Macron ein guter Partner für Deutschland sein wird.“ Mit diesen Worten hatte Frankreichs scheidender Präsident François Hollande in der vergangenen Woche auf den möglichen Wahlsieg seines früheren Wirtschaftsministers geblickt. Das dürfte jedoch nicht heißen, dass Macron immer ein leichter Partner sein wird.
Das ist schwer zu sagen. Macron selbst sagt, er sei „weder rechts noch links.“ Im Wahlkampf bekam der frühere Sozialist deswegen sowohl von Unionspolitikern als auch von Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen Unterstützung. Kanzlerin Merkel sagte jüngst mit Blick auf einen möglichen Wahlsieg Macrons: „Sein Erfolg wäre ein positives Signal für die politische Mitte, die wir ja auch hier in Deutschland stark halten wollen.“ Nachdem Merkel ihn im März im Kanzleramt empfangen hatte, sprach Macron von „großer Übereinstimmung“.
Der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz stellte schon einmal selbstbewusst fest: Macron als Präsident in Frankreich und „ich als Kanzler der Bundesrepublik Deutschland“ würden die Reform der EU in Angriff nehmen. Für Schulz etwas misslich ist nur, dass er sich in der ersten Wahlrunde für Benoît Hamon von den französischen Sozialisten stark gemacht hatte. Der Kandidat der SPD-Schwesterpartei PS war dort mit einem deutlich linkeren Programm angetreten als Macron und klar gescheitert.
Abgesehen von der Reform der Euro-Zone vor allem in der Finanz- und Wirtschaftspolitik. Macron ist - wie US-Präsident Donald Trump - ein scharfer Kritiker des deutschen Exportüberschusses. Neulich sagte er: Deutschland müsse zu der Einsicht kommen, „dass seine wirtschaftliche Stärke in der jetzigen Ausprägung nicht tragbar ist“. Deutschland profitiere vom Ungleichgewicht in der Eurozone und erziele sehr hohe Handelsüberschüsse. „Hier muss ein Ausgleich geschaffen werden.“
Der deutsche Exportüberschuss könnte zum Beispiel abgebaut werden, indem die Bundesregierung die Überschüsse im Bundeshaushalt nutzt, um mehr zu investieren, etwa in den Straßenbau. Zudem fordern manche Ökonomen, dass die Löhne in Deutschland stärker steigen müssten, um die Binnennachfrage zu stärken. Die Kaufkraft ließe sich auch über Steuersenkungen erhöhen.
Macron hat zwar angekündigt, die ersten Reformen schnell mit Hilfe von Verordnungen auf den Weg zu bringen. Er werde „auf nichts von dem verzichten, was ich im Wahlkampf zugesagt habe“, betonte er am Sonntag noch einmal bei seiner offiziellen Amtseinführung. Frankreich dürfe sich nicht „in Gewohnheiten und Gebräuche flüchten, die aus der Zeit gefallen sind“. Nicht zuletzt will er damit Berlin beweisen, dass Frankreich nicht nur Entgegenkommen auf EU-Ebene verlangt, sondern hausgemachte Probleme sehr wohl anpackt, um Deutschland erneut ein Partner auf Augenhöhe zu sein. Am Spätnachmittag wird Macron bei Kanzlerin Angela Merkel zum Antrittsbesuch in Berlin erwartet.
Doch Verordnungen sind keine Dekrete. Für Verordnungen braucht der Präsident vorab die Zustimmung einer Mehrheit der Parlamentarier. Für einen begrenzten Zeitraum können sie einwilligen, ihm gewisse Handlungsfreiheit zu gewähren. Nicht nur Frankreichs Linke macht bereits Wahlkampf dagegen. Auch Laurent Wauquiez, der nach der Niederlage des Republikaner-Kandidaten Fillon in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen die Führung der Partei übernommen hat, sowie Wahlkampfchef François Baroin verfolgen einen strengen Oppositionskurs. Das ganze Wochenende über bearbeitete Baroin mögliche Abtrünnige, ja nicht fahnenflüchtig zu werden. Republikanern, die gemeinsame Sache mit Macron machen wollen, drohte er mit Parteiausschluss.
Leicht dürfte der Schritt Philippe nicht gefallen sein. Das erklärt womöglich, warum die ursprünglich bereits für Montagmorgen erwartete Amtseinführung des Premierministers schließlich erst am Nachmittag über die Bühne ging. Philippe sei „kein Schwergewicht“, versuchte der Senator Roger Karoutchi den Schaden für seine Partei zu minimieren. Dennoch beweist der Schritt Mut - und dass Leute wie Philippe sich bei den Republikanern von Wauquiez und Baroin nicht mehr uneingeschränkt zu Hause fühlen. Auch der ehemalige Minister Bruno le Maire hat Macron bereits öffentlich seine Zusammenarbeit angeboten. Christian Estrosi, Bürgermeister von Nizza und ein einflussreicher Politiker der Republikaner, hatte Baroin öffentlich gewarnt, sein Oppositionskurs werde genauso ins Verderben führen wie die Kandidatur von Fillon.
Macron übernimmt Amt des französischen Staatspräsidenten
Philippe war wie auch Macron in seiner Jugend ein Anhänger des sozialistischen Premierministers und späteren Parteivorsitzenden Michel Rocard. Auch wenn er später auf die bürgerlich-konservative Seite wechselte, ist er ein Politiker des Ausgleichs geblieben. Es ist noch gar nicht so lange her, dass er Macron durchaus zwiespältig betrachtete: „Macron, der für nichts einsteht, aber alles verspricht, mit jugendlichem Ungestüm und dem Zynismus eines alten Fernfahrers - wofür wird sein Name einmal stehen? Für eine gescheiterte Revolution oder für einen Blitz-Sieg? Für einen gemeinen Verrat oder für vermessenen Ehrgeiz? Niemand kann das heute sagen“, urteilte er im Januar. „Denn eines ist sicher seit Beginn dieses Wahlkampfs: Was Politik angeht, sind wir Gallier mindestens so verrückt wie unsere Vorfahren, die Römer.“
In seiner Freizeit boxt Philippe. Diese Erfahrung könnte ihm nun durchaus im politischen Ring nutzen.