Neuer Premierminister in Frankreich Macrons Coup im bürgerlichen Lager

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Macron braucht Rückhalt im Parlament

Mehr als hundert der insgesamt 577 Wahlkreise hat „La République en Marche“ für Bewerber der verbündeten Zentrumspartei MoDem sowie für mögliche Fahnenflüchtige der Republikaner bisher frei gehalten. Führt der Schachzug der Ernennung eines bürgerlichen Premiers nicht zum gewünschten Ergebnis, könnte dies im Extremfall zu einer jahrelangen Blockadepolitik führen. Adieu Flexibilisierung des Arbeitsrechts inklusive betriebsinterner Absprachen über Arbeitszeiten und einer Deckelung der Abfindungen im Kündigungsfall. Adieu Reform der großzügigen und teuren Arbeitslosenversicherung. Adieu Modernisierung der unübersichtlichen Rentenkassen.

Was Macrons Sieg für Europa bedeuten könnte

Macron hat zwar angekündigt, die ersten Reformen schnell mit Hilfe von Verordnungen auf den Weg zu bringen. Er werde „auf nichts von dem verzichten, was ich im Wahlkampf zugesagt habe“, betonte er am Sonntag noch einmal bei seiner offiziellen Amtseinführung. Frankreich dürfe sich nicht „in Gewohnheiten und Gebräuche flüchten, die aus der Zeit gefallen sind“. Nicht zuletzt will er damit Berlin beweisen, dass Frankreich nicht nur Entgegenkommen auf EU-Ebene verlangt, sondern hausgemachte Probleme sehr wohl anpackt, um Deutschland erneut ein Partner auf Augenhöhe zu sein. Am Spätnachmittag wird Macron bei Kanzlerin Angela Merkel zum Antrittsbesuch in Berlin erwartet.

Doch Verordnungen sind keine Dekrete. Für Verordnungen braucht der Präsident vorab die Zustimmung einer Mehrheit der Parlamentarier. Für einen begrenzten Zeitraum können sie einwilligen, ihm gewisse Handlungsfreiheit zu gewähren. Nicht nur Frankreichs Linke macht bereits Wahlkampf dagegen. Auch Laurent Wauquiez, der nach der Niederlage des Republikaner-Kandidaten Fillon in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen die Führung der Partei übernommen hat, sowie Wahlkampfchef François Baroin verfolgen einen strengen Oppositionskurs. Das ganze Wochenende über bearbeitete Baroin mögliche Abtrünnige, ja nicht fahnenflüchtig zu werden. Republikanern, die gemeinsame Sache mit Macron machen wollen, drohte er mit Parteiausschluss.

Leicht dürfte der Schritt Philippe nicht gefallen sein. Das erklärt womöglich, warum die ursprünglich bereits für Montagmorgen erwartete Amtseinführung des Premierministers schließlich erst am Nachmittag über die Bühne ging. Philippe sei „kein Schwergewicht“, versuchte der Senator Roger Karoutchi den Schaden für seine Partei zu minimieren. Dennoch beweist der Schritt Mut - und dass Leute wie Philippe sich bei den Republikanern von Wauquiez und Baroin nicht mehr uneingeschränkt zu Hause fühlen. Auch der ehemalige Minister Bruno le Maire hat Macron bereits öffentlich seine Zusammenarbeit angeboten. Christian Estrosi, Bürgermeister von Nizza und ein einflussreicher Politiker der Republikaner, hatte Baroin öffentlich gewarnt, sein Oppositionskurs werde genauso ins Verderben führen wie die Kandidatur von Fillon.

Macron übernimmt Amt des französischen Staatspräsidenten

Philippe war wie auch Macron in seiner Jugend ein Anhänger des sozialistischen Premierministers und späteren Parteivorsitzenden Michel Rocard. Auch wenn er später auf die bürgerlich-konservative Seite wechselte, ist er ein Politiker des Ausgleichs geblieben. Es ist noch gar nicht so lange her, dass er Macron durchaus zwiespältig betrachtete: „Macron, der für nichts einsteht, aber alles verspricht, mit jugendlichem Ungestüm und dem Zynismus eines alten Fernfahrers - wofür wird sein Name einmal stehen? Für eine gescheiterte Revolution oder für einen Blitz-Sieg? Für einen gemeinen Verrat oder für vermessenen Ehrgeiz? Niemand kann das heute sagen“, urteilte er im Januar. „Denn eines ist sicher seit Beginn dieses Wahlkampfs: Was Politik angeht, sind wir Gallier mindestens so verrückt wie unsere Vorfahren, die Römer.“

In seiner Freizeit boxt Philippe. Diese Erfahrung könnte ihm nun durchaus im politischen Ring nutzen.

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