In der Tat wird Johnson von Anfang an vor demselben Problem stehen, mit dem auch Theresa May seit den verpatzten vorgezogenen Neuwahlen von 2017 zu kämpfen hatte: Die Tories haben im Unterhaus keine eigene Mehrheit und sind auf die zehn Abgeordnete der Democratic Unionist Party (DUP) angewiesen, eine kontroverse Regionalpartei aus Nordirland.
Als wären die parteiinternen Rangeleien und der Brexit nicht schon kompliziert genug, wird sich der kommende Premierminister auch sofort mit einem potentiell noch viel größeren Problem auseinandersetzen müssen: mit der sich zuspitzenden Auseinandersetzung mit Iran.
Am vergangenen Freitag haben Mitglieder einer iranischen Miliz einen britisch beflaggten Öltanker in der Straße von Hormus aufgebracht. Das Schiff wurde in einen iranischen Hafen gebracht, die 23 Besatzungsmitglieder, unter denen keine britischen Staatsbürger sind, werden an Bord festgehalten. Die Aktion wird als Antwort auf die Übernahme eines iranischen Tankschiffs vor Gibraltar durch britische Spezialkräfte Anfang des Monats verstanden. Mehrere westliche Regierungen glauben, das Schiff sei auf dem Weg nach Syrien gewesen, um unter Verletzung internationaler Sanktionen Öl an das syrische Regime zu liefern. Berichten zufolge hat Großbritannien das Schiff auf Bitte der USA hin gestoppt.
Die Auseinandersetzung spielt sich vor dem Hintergrund des Streits um das iranische Atomabkommen ab, das US-Präsident Donald Trump im vergangenen Jahr aufgekündigt hat. Anfang Juli erklärte Teheran, dass es die Menge an schwach angereichertem Uran, die es laut dem Abkommen besitzen darf, überschritten habe und kündigte weitere Überschreitungen an. Die Spannungen zwischen Iran und den USA nehmen unterdessen zu.
In dieses komplexe und hochgefährliche geopolitische Minenfeld könnte in wenigen Tagen Boris Johnson als britischer Premierminister vorpreschen. Und somit ein Mann, der sich in seinen früheren Jobs als Bürgermeister von London und als Außenminister nie durch ein allzu großes Interesse an Details hervorgetan hat. Mehr noch: Seinen folgenschwersten Patzer als Außenminister hat sich Johnson im Zusammenhang mit Iran geleistet. 2017 sagte Johnson einem Parlamentsausschuss, die in Iran gefangengehaltene Britisch-Iranerin Nazanin Zaghari-Ratcliffe habe während ihres Iran-Besuch „doch nur Leuten Journalismus beigebracht“. Die Aussage war offenbar falsch. Ein iranisches Gericht erkannte Johnsons Äußerung daraufhin als Beweis an und verdoppelte Zaghari-Ratcliffe Gefängnisstrafe.
Der Vorfall lässt nicht darauf hoffen, dass Johnson das Fingerspitzengefühl besitzen wird, sein Land aus einer schwierigen diplomatischen Krise zu führen.